DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2017 - page 29

Bewusstsein der Verantwortlichen rückt. Dahin-
ter steckt unseres Erachtens die Erkenntnis, wenn
man die Bauphysik nutzt undmit weniger Technik
auskommt, spart man auf lange Zeit Kosten.
Eins liegt mir aber noch am Herzen: Wenn wir in
Sachen Wohngesundheit im Wohnungsbau vor-
ankommen wollen, muss sich die Ausbildung der
Architekten, Planer und auch der Entscheider in
der Wohnungswirtschaft ändern.
Robert an der Brügge:
Mit dem Nutzerverhal-
ten haben wir in der Tat ein Problem. Mit welchen
Stoffen putzt der Mieter die Wohnung? „Fackelt“
er täglich drei Schachteln Zigaretten in der Woh-
nung ab? Stellt er mit Formaldehyd getränkte
Billigmöbel auf? Wir haben noch keine Antwor-
ten auf die juristische Frage gefunden, ob wir das
Mietrecht so gestalten können, dass unser gutes
Produkt auch dauerhaft gut bleibt. Wir können
noch so unbedenkliche Baustoffe verbauen – das
hilft nicht viel, wennwir das Nutzerverhalten nicht
steuern können.
Till Reine:
Weil die Gebäude komplexer geworden
sind, muss der Nutzer besser informiert werden.
Um das zu verdeutlichen: Wir haben in Hamburg
eine sechs Jahre alte – also noch recht neue –Woh-
nung gekauft. Wie die Haustechnik funktioniert,
hat uns bei der Übergabe niemand erklärt. Und als
ich das Abluftsystemgeöffnet habe, bin ich regel-
recht erschrocken: Ich merkte nämlich, dass der
Filter sechs Jahre nicht ausgetauscht wordenwar.
Trotzdem ist unser Thema nicht nur ein Problem,
sondern auch eine Chance. Denn die Menschen
achten immer mehr auf ihre Gesundheit, wieman
gut bei Lebensmitteln sehen kann. Deshalb ist die
Bereitschaft groß, sich mit dem Thema Wohnge-
sundheit auseinanderzusetzen.
Das belegt das Healthy-Homes-Barometer, das wir
als Velux-Gruppe das dritteMal in Folge durchge-
führt haben. In dessen Rahmen haben wir in 14
europäischen Ländern jeweils 1.000 Bewohner
gefragt, was sie zum Renovieren motiviert. An
erster Stelle unter den Antworten stehen Wohl-
befinden und Wohngesundheit. Auf Platz Zwei
kommt Energieeffizienz, und zwar dann, wenn sie
sich konkret rechnet. Wenn wir also die Wohnge-
sundheit adressieren und die Aspekte Licht, Luft
und Emissionen in die Diskussion einbringen, so
erhöhen wir die Bereitschaft der Nutzer, in das
Gebäude zu investieren.
Axel Gedaschko:
Halten Sie es für richtig, wenn
unsere Unternehmen den Mieter fast dazu zwin-
gen, sich gesund zu verhalten? Man könnte ja
z. B. ein akustisches Signal ertönen lassen, wenn
der Mieter zu lange nicht gelüftet hat.
Robert an der Brügge:
Wir sind als Branche alle
miteinander schuld daran, dass wir unser gutes
Produkt nicht gut genug darstellen. Die Autoin-
dustrie hat es geschafft, den Menschen beizu-
bringen, sich anzuschnallen und die Hände am
Lenkrad zu lassen. Wenn der Sicherheitsabstand
zum Vordermann unterschritten wird, leuchtet
eine rote Lampe auf, und beim Einparken hilft ein
Assistenzsystem. Der Autofahrer ist also bereit,
Kompetenzen abzugeben. Aber wir Wohnungs-
wirtschaftler schaffen es nicht, unseren Mietern
beizubringen, sich selber nicht durch ihr Nutzer-
verhalten zu vergiften.
Gerhard Wellert:
Genau deswegen müssen wir
den Dialogmit den Nutzern intensivieren! Umdas
mit einem ganz anderen Feld zu vergleichen: Die
Medizin hat in den letzten Jahren viel technisiert
und kann heute mit Robotern operieren. Aber am
Ende muss der Patient mitspielen. Was nützt es,
wenn der Patient von einem Roboter erfolgreich
operiert wird und sich nach dem Aufwachen aus
der Narkose als Erstes eine Zigarette anzündet?
Am Ende muss der Patient – in unserem Fall: der
Mieter – mitspielen.
Axel Gedaschko:
Aber die Krankenkasse zahlt
auch dann, wenn sich der Patient hinterher doch
eine Zigarette anzündet.
Gerhard Wellert:
Die Krankenkasse bestraft
nicht, sondern sie belohnt, indem sie für die Prä-
vention Bonuspunkte vergibt. Daraus können wir
etwas lernen: Wir sollten den Nutzer nicht dis-
ziplinieren, sondern ihn für richtiges Verhalten
belohnen.
Heinz-Werner Schmidt:
Da stimme ich Ihnen
zu. Wenn ein Nutzer nicht will, dann erzielen wir
nicht das Verhalten, das wir uns wünschen. Und
das kann zum Desaster werden, wenn man an die
langfristigen negativen Auswirkungen auf die
Bausubstanz denkt.
Prof. Gerhard A. Wiesmüller:
Auf jeden Fall
können wir den Nutzer nicht mit neuen Regula-
rien und Kontrollsystemen auf den richtigen Weg
bringen. Schon heute sind ja die Bürger in vielen
Punkten überreguliert. Die Tatsache, dass dem
Menschen immer mehr von seiner Selbständigkeit
genommen wird und dass er in die Unmündigkeit
getrieben wird, macht ihn krank. Und das wäre
nun wirklich kontraproduktiv, wo doch gesunder
Wohnraum unser Anliegen ist. Vielmehr sollten
wir schon bei den Kindern anfangen und ihnen bei-
bringen, dass Wohnen eine komplexe Angelegen-
heit ist, die man lernen muss. Und die Nutzer
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