NEUBAU UND SANIERUNG
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10|2017
brauchen eine vernünftige Gebrauchsanweisung,
schriftlich, digital und auch face to face.
Außerdem sollten wir davon wegkommen, den
Nutzern ein uniformes System anzubieten. Ver-
gleichen wir das mit dem Automarkt: Da fährt
der eine nach wie vor gerne seinen VW Käfer,
während der andere sich schon auf das fahrerlo-
se Auto freut. Auf das Wohnen übertragen, heißt
das: Wir sollten auch denjenigen Nutzern ein An-
gebot machen, die mit einem hochtechnisierten
Gebäude nicht klarkommen und deshalb damit
möglicherweise weniger Energie sparen können.
Andere wiederum finden es toll, dass sie hochtech-
nisierte Gebäude nutzen dürfen. Beides sollten
wir akzeptieren.
Axel Gedaschko:
Wer ist eigentlich dafür verant-
wortlich, wenn bei der Umsetzung der Wohnge-
sundheit etwas schiefgeht? Ist es der Architekt
oder der Bauherr?
Robert an der Brügge:
Als Bauträger und Ver-
mieter schulden wir dem Kunden einen Bau, der
dem Stand der Technik entspricht. Als Investor
sollten wir es zusammen mit der Industrie und
den Planern verhindern, dass nicht irgendwann
der Gesetzgeber eingreift und verlangt, dass wir
beim Antrag auf eine Baugenehmigung konkret
nachweisenmüssen, welche Stoffe in einer Tapete
oder im Teppichboden enthalten sind. Das würde
zu einer Riesenbürokratie führen, undwir würden
das Bauen weiter verkomplizieren.
Ich möchte aber noch einen anderen Aspekt beto-
nen:Wir sollten auch an die Entsorgung der Gebäu-
de nach der Nutzungsphase denken. Problematisch
sind z. B. dieWärmedämmverbundsysteme. Irgend-
wann werden unseren Nachnachfolgern Wärme-
dämmverbundsysteme, Wandsysteme, Fenster-
profile, Teppichböden und andere problematische
Baumaterialien große Entsorgungsprobleme berei-
ten. Deshalb ist es gut, dass sich jetzt die Initiative
„Ressourcenschonende Bauwirtschaft“ konstituiert
hat und der Kreislaufgedanke, das „Cradle-to-Crad-
le-Prinzip“, Eingang in die Praxis findet.
Gerhard Wellert:
Ihre Kritik am WDVS kann ich
nicht stehen lassen. Wir haben an der Stelle in den
letzten Jahren sehr viel dazugelernt und bieten
heute Systeme an, die schadstofffrei sind und
ohne Biozide auskommen, die auf natürlichen
Wirkprinzipien wie dauerhafte Alkalität und
Temperaturspeicherung durch Masse beruhen.
Und wir können heute schon auf Baustoffe ver-
zichten, die flüchtige organische Verbindungen
(VOC) beinhalten, oder Baustoffe anbieten, die
diese Schadstoffe katalysieren. Diese Baustoffe
sind komplexer, ohne Frage, und sie brauchen ein
Stück weit Grundlagenforschung. Deshalb be-
treiben wir ja in der Bauindustrie umfangreiche
Grundlagenforschungmit demZiel, wohngesunde
Baustoffe und Bausysteme herzustellen.
Robert an der Brügge:
Wir müssen uns außerdem
mit der Frage befassen, wie wir unsere Gebäude
besser konstruieren. Das betrifft das Building In-
formation Modeling (BIM) und die Vorfertigung
von Bauteilen. Das Ziel muss sein, einfacher zu
bauen, und zwar mit hochintelligenten Bauteilen,
die man am Ende wieder trennen und wiederver-
werten kann.
Gerhard Wellert:
In diesem Punkt stimme ich
Ihnen zu. Warum sollen wir nicht beim BIM künf-
tig auch die Qualität in Bezug auf wohngesundes
Bauen berücksichtigen?
Axel Gedaschko:
Manchmal habe ich den Ein-
druck, dass die wissenschaftliche Erkenntnis so
weit fortgeschritten ist, dass sie selbst dort Ge-
fahren entdeckt, wo diese kaumnachzuvollziehen
sind. Dabei besteht die Gefahr, dass der Gesetzge-
ber aus einer wissenschaftlichen Erkenntnis schnell
eine Verordnung macht. Ob das wirklich sinnhaft
ist, ist die Frage. Wie erleben Sie, Herr Prof. Wies-
müller, dieses Spannungsfeld zwischen wissen-
schaftlicher Erkenntnis und täglicher Praxis?
Prof. Gerhard A. Wiesmüller:
Es hängt alles
an der Kommunikation und am Wording. Es gibt
kein Produkt, das nicht irgendwelche chemischen
Stoffe abgibt. Die Frage ist nur, wie viel es abgibt.
Deswegen spreche ich in der Risikokommunika-
tion nie von schadstofffrei, sondern immer von
schadstoffarm.
Ein zweiter Punkt ist die Messtechnik. Wir sind
heute in der Lage, das Staubkorn im Bodensee
zu messen. Aber was bedeutet das? Wenn wir die
steigende Lebenserwartung betrachten, so kön-
nen die Produkte gar nicht so gefährlich sein, wie
das manchmal dargestellt wird.
Deshalb sollten wir den Blickwinkel verschieben:
Wir sollten nicht Angst wecken, sondern aufzei-
gen, wie man seiner Gesundheit etwas Gutes tun
kann. Manchmal denke ich, wir müssten vielleicht
wieder einmal von einem Löwen gejagt werden,
anstatt uns Gedanken über ein paar Mikrogramm
von irgendeinem Stoff in der Luft zu machen.
Warum treiben denn die Leute Bungee-Springen
und andere Risikosportarten? Sie brauchen den
Kick, den sie im normalen Leben nicht finden.
Und wenn wir mit dem falschen Wording arbei-
ten, dann greift der Mensch das dankbar auf und
generiert sich eine Furcht, die zunächst durchaus
gesund ist. Wenn dann aber falsche Experten auf
den Plan treten, wird aus dieser an sich gesunden
Furcht eine Krankheit, nämlich eine Angststörung
oder Panik.
Gerhard Wellert:
Aber wir sind doch selber ge-
fangen in diesem Wording! Wir diskutieren über
Lärmschutz, über Brandschutz, über Schadstoff-
armut, statt dass wir über ruhiges Wohnen, über
sicheres Wohnen und über gesundes Wohnen dis-
kutieren. Wir kommunizieren in unserer Branche
häufig die Risiken und sind dann erstaunt, dass die
Öffentlichkeit diese Risikodiskussion bereitwillig
aufnimmt.
Axel Gedaschko:
Wir müssen zum Schluss kom-
men. Ich fand die Diskussion hoch interessant und
bin sicher, dass wir sie gut und gern noch zwei
Stunden fortsetzen könnten. Jetzt danke ich Ihnen
aber allen ganz herzlich für Ihre Teilnahme.