DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2017 - page 26

NEUBAU UND SANIERUNG
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10|2017
so fein, dass man noch nach der Fertigstellung
eines Gebäudes feststellen kann, ob dort während
der Bauphase einmal geraucht wurde oder nicht.
Ferner haben wir für äußerste Sauberkeit auf der
Baustelle gesorgt und veranlasst, dass die Bau-
stoffe rechtzeitig angeliefert wurden, so dass sie
vor der Verarbeitung z. B. ausgasen konnten, wenn
sie flüchtige Stoffe enthielten.
Diese Erfahrungen haben wir dann auf den Woh-
nungsbau übertragen. Damit verfügen wir jetzt
über einen Katalog, dessen Einhaltung wir ver-
traglichmit Generalunternehmern und Handwer-
kern vereinbaren. Zudemnehmenwir vier Wochen
vor Übergabe und dann nach ÜbergabeMessungen
vor. Diese Systematik übertragen wir nun auf die
Sanierung von Altbauten.
Axel Gedaschko:
Herr Prof. Wiesmüller, welche
Aspekte unseres Themas kommen bei Ihnen in der
Praxis an?
Prof. Gerhard A. Wiesmüller:
Oft kommt es vor,
dass die Bewohner Wohnungen beziehen, die noch
mit problematischen Stoffen belastet sind. Wenn
diese Stoffe bestimmte Konzentrationen über-
schreiten oder wenn gewisse Stoffe zusammen-
treffen, dann kann es zu Reizerscheinungen der
Haut und der Schleimhäute sowie zu Kopfschmer-
zen und Konzentrationsstörungen kommen.
Ein anderes Thema sind Gerüche. Häufig nehmen
Menschen unangenehme Gerüche wahr, obwohl
messtechnisch alles in Ordnung ist. Besonders in
öffentlichen Gebäudenwie Kitas und Schulen kann
es dann passieren, dass man ein Gebäude vorüber-
gehend, ggf. teilweise aus der Nutzung nehmen
muss. Durch Lüften, Aufheizen des Gebäudes und
evtl. nachträgliche Baumaßnahmen lassen sich die
Schadstoffe dann reduzieren, so dass das Gebäude
wieder genutzt werden kann.
In der Zwischenzeit sind die Betroffenen im Inter-
net auf den Begriff des Sick-Building-Syndroms
gestoßen. Und dann beginnt eine wilde Diskussion,
die für den Eigentümer des Gebäudes sehr unange-
nehmwerden kann. Denn selbst wenn er schon alle
nötigen Messungen durchgeführt hat, verlangen
die Betroffenen oft noch weitere Messungen. Aus
umweltmedizinischer Sicht ist es deshalbwichtig,
nach Ende der Bau- oder Sanierungsarbeiten eine
vernünftige Feinstreinigung durchzuführen und
ausreichend Zeit vorzusehen, damit die flüchtigen
Komponenten ausdünsten können.
Axel Gedaschko:
Wie lange sollte diese Ruhepha-
se vor Inbetriebnahme dauern?
Prof. Gerhard A. Wiesmüller:
Diese Frage ist
nicht leicht zu beantworten, da dazu meines Wis-
sens keine zuverlässigen Untersuchungen vorlie-
gen. Die Dauer hängt zudem entscheidend von
den verbauten Substanzen ab. Bei aller Vorsicht
würde ich sagen, dass der angemessene Zeitraum
zwischen vier und acht Wochen beträgt.
Axel Gedaschko:
Für dieWohnungsunternehmen
ist eine schnelle Bauzeit wichtig. Erfolgt diese
Ausdünstung denn schonwährend der Bauphase?
Prof. Gerhard A. Wiesmüller:
Sicherlich kann
man das Risiko deutlich verringern, indem man
die Baustoffe schon während der Bauphase aus-
dünsten lässt. Problematisch aber ist es, wenn
am Schluss noch die klassischen flüchtigen Kom-
ponenten, die stark riechen, dazukommen. Und
es ist eben häufig der Fall, dass ganz am Schluss
noch die letzten Malerarbeiten an den Türzargen
ausgeführt werden.
Axel Gedaschko:
Jetzt bin ich gespannt, wie die
Vertreter der Baustoffindustrie das ThemaWohn-
gesundheit beleuchten.
Till Reine:
Sie haben recht, Herr Gedaschko: Unser
heutiges Thema ist ausgesprochen wichtig. Beim
Wohnungsbau spricht man heute jameist nur über
Energieeffizienz. Aber der Bewohner will nicht in
einer energetischen Maschine wohnen, sondern
erwartet ein Gesamtpaket, das einen hohenWohn-
komfort und energetische Qualität bietet. Dabei
macht mir eine Entwicklung Sorge: Durch die Kon-
zentration auf den Klimaschutz und die Bezahlbar-
keit – beides zweifellos wichtige Ziele – besteht die
Gefahr, dass andere Ziele ausgeblendet werden.
Man denkt, man könne das später nachholen. Bei
Asbest hat man das auch gedacht. Asbest ist ja
ein hervorragendes Produkt, umden Brandschutz
sicherzustellen. Es wäre aber gut gewesen, sich am
Anfang etwas mehr Zeit zu nehmen und die ver-
schiedenen Disziplinen an einen Tisch zu bringen.
Außerdem solltenwir nicht nur den Neubau in den
Blick nehmen, sondern auch den Gebäudebestand.
Wir haben in Deutschland viele Wohnhäuser aus
der Nachkriegszeit, in der es hauptsächlich darum
ging, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu
bieten. Die Frage, ob genügend Licht in die Woh-
nung gelangt, war nachrangig. Wenn wir jetzt
diese Gebäude anfassen, dann sollten wir darauf
achten, ein Gleichgewicht aus energetischer Qua-
lität und Wohngesundheit zu erreichen. Ich plä-
diere deshalb dafür, nicht einseitig nach vorne zu
preschen, sondern interdisziplinär zu arbeiten und
darüber nachzudenken, welches die beste Lösung
ist. Denn wir sind alle verantwortlich, dass wir zu
einer ganzheitlichen Qualität kommen und damit
bei den Kunden Vertrauen schaffen.
Heinz-Werner Schmidt:
Um das Thema des
wohngesunden Bauens ganzheitlich einzufan-
gen, fehlen mir noch zwei Elemente: Wärme und
Wasser. Zu Recht haben Sie, Herr Reine, darauf
hingewiesen, dass wir den Bestand nicht außer
Acht lassen dürfen.
ZumEinsatz des Elementes Wärme kann ich Sie in
diesem Zusammenhang zu einem sehr gut gelun-
genen Praxisbeispiel informieren. Hier haben wir
mit einemProjekt in Hamburg – einer Wohnanlage
aus den Jahren 1928 und 1932 – sehr positive Er-
fahrungen gemacht. Imhohen Norden scheint die
Sonne nun mal nicht so oft wie in Freiburg, und
es trifft auch öfter einmal ein Schlagregen auf die
Fassaden. Das betroffene Gebäude wies deshalb in
der Außenwand einen sehr hohen Feuchtigkeitsan-
war bis 30. Juni 2017 Geschäftsführer
der Stadtsiedlung Heilbronn GmbH, eines
kommunalen Wohnungsunternehmens mit
3.700 eigenen Mietwohnungen. Seit dem
1. Juli 2017 ist er Mitglied des Vorstands
und der Geschäftsführung der „Immobili-
engruppe Rhein Neckar“.
ROBERT AN DER BRÜGGE
arbeitet als Vertriebsdirektor bei Knauf
Gips KG und ist verantwortlich für die
Produktsparte Putz- und Fassadensystem.
Weltweit vereinfachen Knauf Bausysteme
das Planen und Bauen, bieten Komplettlö-
sungen und Qualitätssicherheit.
GERHARD WELLERT
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