DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2015 - page 20

STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
18
10|2015
Dies führte dazu, dass sich die Bewohner nun mit
demHaus identifizieren. Das Kunstprojekt wurde
maßgeblich durch die Gewobag-Initiative „Urban
Nation“ realisiert, die sich zumZiel setzt, Kunst zu
den Menschen zu bringen und mit künstlerischen
Mitteln zur Aufwertung von Häusern und Quar-
tieren beizutragen. Das ist zurzeit Mainstream in
Berlin – nicht nur bei kommunalen Wohnungsun-
ternehmen (siehe auch DW8/2015, S. 4). Kerstin
Kirsch, Geschäftsführerin der Gewobag MB Mie-
terberatungsgesellschaft, entwickelte und ver-
antworte das Gesamtprojekt „Bunte 111“. „Die
Herausforderungen bei einem solchen Projekt
reichen von sozialen uber kulturelle bis hin zu
mietrechtlichen Fragen, daher ist es wichtig, dass
den Bewohnern fur alle Fragen eine kompetente
Begleitung zur Seite steht“, erklärte sie.
Das erste Teilprojekt
Mit demauf die Dauer von zwei Jahren angelegten
Projekt will die Gewobag modellhaft neue Wege
gehen, wie Kirsch erläuterte. In einemersten Teil-
projekt wurde mit Unterstützung internationaler
Streetart-Künstler die Hausfassade farbenfroh ge-
staltet. Seitdem trägt das Reinickendorfer Miets-
haus zutreffend den Namen „Bunte 111“. Mehr als
eineWoche widmeten sich Bewohner und Künstler
zusammen dieser Aufgabe. Über die gemeinsame
Arbeit mit der Kunst hinaus war Kennenlernen an-
gesagt, Mieter kamen sich näher, lernten, sich zu
akzeptieren und einander zuzuhören. Besonders
für die männlichen Bewohner war und ist das ein
immenser Lernprozess, sagt Daniel Berger von
Phinove. Sie erfahren nun, dass es in Deutschland
z. B. auch keine patriarchalischen Strukturen gibt.
Auch deshalb gibt es Extra-Sprachkurse für die
Roma-Frauen.
Phinove begleitet Roma-Familien in ihrem Alltag
in Berlin: Der Verein berät in sozialen und lebens-
praktischen Belangen, organisiert sowie vermit-
telt bei Problemen mit Behörden. Daniel Berger
kennt die Verhältnisse aus eigener Anschauung.
Der Deutsch-Rumäne aus Siebenbürgen ist 1990
nach Deutschland gekommen und gemeinsammit
seiner Frau Ana-Maria die „gute Seele“ des Vereins,
er spricht selbst außer Deutsch und Rumänisch
auch Romanes. Die Zuwendungen der Stadt Berlin
für den Verein mit nur einer Teilzeit- und einer
Vollzeitkraft für das Bunte-Projekt sind nicht üp-
pig, für die Jahre 2014 und 2015 jeweils 50.000 €
inklusive der Gehälter.
Phinove wurde 2013 umdie Ereignisse in der Har-
zer Straße in Berlin-Neukölln gegründet: Hier gab
es damals eine ähnliche Vorgeschichte wie in der
Scharnweberstraße 111. Berliner Medien frag-
ten: „Ist das so, da wo Roma leben, sind Schmutz,
Müll und Lärm allgegenwärtig?“. Die katholische
Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft
SWG sah das anders (siehe DW 1/2015, S. 8).
Nachdem sie Eigentümerin der 137 Wohnungen
wurde, begannen auch sofort die Sanierungsmaß-
nahmen. Die Bewohner wurden in diese Arbeiten
mit eingebunden, es entstand Vertrauen und eine
Begegnung auf Augenhöhe. Die Öffentlichkeit und
die Medien reagierten erstaunt auf die Entwick-
lung, stellten aber auch ganz offen die Frage:
„Lohnt sich das denn für die ...?“ Viele warteten
darauf, dass die Revitalisierung der Wohnanlage
scheiterte. Doch imSeptember 2012 konnten die
Arbeiten als erfolgreiches Inklusionsprojekt mit
Roma-Familien abgeschlossen werden und bei
einem großen Fest erhielten die Häuser den Na-
men „Arnold Fortuin Haus“, benannt nach einem
katholischen Priester, der im Nazi-Deutschland
vielen Sinti und Roma das Leben rettete.
Das zweite Teilprojekt
Diese Erfahrungen kamen dem Reinickendorfer
Projekt zugute. Phinove kennt die kulturellen Hin-
tergründe der Roma und spricht deren Sprache.
Damit erfüllt der Verein eine wichtige Lotsen-
funktion. Im Seitenflügel der Scharnweberstraße
111 steht für die Arbeit des Vereins ein Gemein-
schaftsraumzur Verfügung. Nunwerden in einem
zweiten Teilprojekt die Höfe verschönert. Dazu ist
die Gewobag eine Kooperation mit Studenten im
Fach Landschaftsplanung und Freiraumgestaltung
an der BTU Cottbus und dem Berliner Stadtpla-
nungsbüro UrbanPlus eingegangen. Gemeinsam
mit Phinove, der Integrationsverwaltung des Se-
nats von Berlin und demBezirk setzten sie sich im
März bei einer Planungswerkstatt mit denMietern
der „Bunten 111“ zusammen.
Bei frühlingshaftemWetter trafen sich die Bewoh-
ner und diskutierten, was sich auf den beiden noch
trist wirkenden Höfen unbedingt verändern müs-
se. Die Kinder drückten ihre Wünsche in Bildern
aus, die Erwachsenen arbeiteten an einemgroßen
Modell des Grundstücks, das die BTU-Studenten
mitgebracht hatten. Gemeinschaftlichwurden alle
Ideen und Vorstellungen am Modell ausprobiert
und zu Papier gebracht. Die wichtigsten Ergeb-
nisse: Kinder wie Erwachsene wünschten Blumen;
auch Hochbeete für das Anpflanzen von Kräutern
zählten zu den Ideen. Und ganz wichtig war ein
Wäschetrockenplatz.
Der vordere Hof soll sich bald in einen ruhigen,
grünen Bereich verwandeln, der hintere Hof mit
Spielgeräten den Kindern zur Verfügung stehen.
Nunmüssen die Studenten ihre Planungen vervoll-
ständigen, dann geht es an die Umsetzung. Beginn
soll im Frühjahr 2016 sein. Und: Selbstverständ-
lichwerden dieMieter die Pflege übernehmen und
alles in Ordnung halten.
Kerstin Kirsch übrigens wurde vom Fachmagazin
Immobilienwirtschaft als „Kopf des Jahres“ der
Branche in der Kategorie „Kreativität“ für ihr in-
novatives Engagement im Rahmen des Modell-
projekts „Bunte 111“ geehrt.
Verleihung des Preises „Köpfe“ der Zeitschrift
Immobilienwirtschaft an Kerstin Kirsch (3. v. l.)
durch Jörg Seifert (l., Immobilienwirtschaft),
Stefani Miseré (v. Arnim Personalberatung) und
Dr. Andreas Mattner (ZIA)
Quelle: Gewobag, Foto: Tina Merkau
Weitere Informationen:
Neubau und Sanierung
Energie und Technik
Rechtssprechung
Haufe Gruppe
Markt undManagement
Stadtbauund Stadtentwicklung
1...,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19 21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,...100
Powered by FlippingBook