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Biel:
Können Sie uns diesen Sachverhalt an ei-
nem Beispiel erläutern?
Nevries:
Wenn beispielsweise der Eigentümer des
Bekleidungsherstellers Trigema sicherstellen will,
dass seine Produkte nicht unter Einsatz von Kin-
derarbeit hergestellt werden, er aber nicht laufend
Entscheidungen anderer Personen (Manager) mit
eigenen Zielsetzungen überwachen will, hat er
eine Herausforderung. Wie soll er die
Einhaltung
dieser Zielsetzung
sichern und gestalten? Das
sind spannende und wichtige Fragen, die über
das Wohl und Wehe des Unternehmens entschei-
den und für die Eigentümer bedeutsam sind.
Biel:
Angesichts dieser Wichtigkeit und Trag-
weite überrascht etwas, wie CG zumindest im
betriebswirtschaftlichen Bereich beachtet wird.
Ein Blick sowohl in die gängigen BWL-Lehrbü-
cher als auch in die Standard-Lehrbücher des
Controllings zeigt eine recht unterschiedliche
Gewichtung unseres Themas.
Nevries:
Das Thema
hat erst nach der Fi-
nanzkrise bzw. Finanzmarktkrise 2007/2008
Fahrt aufgenommen
. Die Finanzkrise sowie
Unternehmensskandale setzten aber auch we-
sentliche
Impulse zur Beschäftigung mit un-
serem Themenfeld frei
. Diese Anstöße kamen,
wie viele andere Entwicklungen auch, vor allem
aus den USA. Dort hatten bereits zu Beginn des
Jahrtausends Skandale um die Unternehmen
Enron und Worldcom einen stärkeren Fokus auf
CG gelenkt und für die Entwicklung zahlreicher
neuer Gesetze und Standards geführt.
Biel:
Dennoch kann man den Eindruck gewin-
nen, dass CG vor allem ein Thema von Juristen,
Wirtschaftsprüfern usw. ist, aber weniger von
Betriebswirten und Controllern. Ihr Lehrstuhl an
der Universität Kassel scheint eine relative Aus-
nahme zu sein.
Nevries:
Ja, das ist richtig. Im Fachgebiet Con-
trolling der Universität Kassel hat CG einen fes-
ten und wesentlichen Platz, und zwar aus be-
triebswirtschaftlicher Perspektive. Mein Lehr-
stuhl ist in Deutschland einer der (noch zu) we-
nigen, der CG betriebswirtschaftlich behandelt.
Biel:
CG wird überwiegend als „rechtlicher und
faktischer Ordnungsrahmen zur Leitung und
Überwachung“ bezeichnet. Das Warum und
Wozu dieses Ordnungsrahmens wird unter-
schiedlich gesehen. Geht es aus Ihrer Sicht
mehr darum, die Verfügungsrechte und damit
die Macht in geordnete Bahnen zu lenken, die
Interessen zu gewichten oder mehr um die nä-
heren Bedingungen und Voraussetzungen er-
folgreicher Unternehmensführung?
Nevries:
Das hängt davon ab, wie CG umge-
setzt und praktiziert wird. Es sind alle Aspekte,
die Sie angesprochen haben, von Belang. Im
Kern geht es darum,
dass Eigentümer Macht
verteilen und Verfügungsrechte so einge-
setzt werden, dass das Unternehmen er-
folgreich geführt wird
, und zwar im Sinne der
Eigentümer. Der Eigentümer oder auch die Ei-
gentümer haben die Verfügungs- und Nut-
zungsgewalt in rechtlicher Hinsicht, aber oft
nicht die tatsächliche Herrschaft über das Un-
ternehmen. Daher muss geregelt werden, wie
ein Unternehmen auch praktisch im Sinne der
Eigentümer geführt und gesteuert wird – wie
Führung und Überwachung in einem Unterneh-
men wahrgenommen wird.
Biel:
Der Deutsche Corporate Governance
Kodex (DCGK)
1
besteht aus verschiedenen
Elementen: Den gesetzlichen Vorschriften zur
Leitung und Überwachung deutscher börsen-
notierter Gesellschaften (Unternehmensfüh-
rung) mit Ausstrahlungswirkung auf andere Un-
ternehmen sowie aus international und national
anerkannten Standards guter und verantwor-
tungsvoller Unternehmensführung in Form von
Empfehlungen und Anregungen. Die Empfeh-
lungen werden im Text des Kodex mit „soll“ und
die Anregungen mit „sollte“ gekennzeichnet.
Wie bedeutsam und vor allem wie wirksam ist
diese Sammlung von Verhaltensempfehlungen?
Nevries:
Dies ist ein vielschichtiges Thema. Der
Kodex ist durchaus sinnvoll
im Sinne eines Rah-
menkonzeptes
und einer allgemeinen Zielset-
zung bzw. Zielvorgabe. Er hat eine unterstützen-
de Funktion und
spiegelt Führungshandeln
an
einem idealen Maßstab. Der DCGK selbst ist
zwar kein Gesetzestext, aber „durch die Hinter-
tür“ werden einige Vorschriften verpflichtend. Es
gibt gesetzliche Vorschriften, die Kodex-Inhalte in
kodifizierte (also gesetzliche) Anforderungen
transformieren. Dazu einige Beispiele:
·
Zunächst ist auf die
Entsprechenserklä-
rung
gemäß § 161 Aktiengesetz (AktG) zu
verweisen, wonach Vorstand und Aufsichts-
rat einer börsennotierten Aktiengesellschaft
jährlich eine Erklärung abgeben, inwieweit
sie den DCGK befolgen.
·
Bedeutsam ist z. B. auch § 91 Abs. 2 AktG:
„Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu
treffen, insbesondere ein Überwachungssys-
tem einzurichten, damit den Fortbestand der
Gesellschaft gefährdende Entwicklungen
früh erkannt werden.“
·
Relevant ist u. a. auch § 289 HGB. Dort finden
wir Vorgaben wie diese: „Im Lagebericht ist
auch einzugehen auf die Risikomanagement-
ziele und -methoden der Gesellschaft ein-
schließlich ihrer Methoden zur Absicherung al-
ler wichtigen Arten von Transaktionen, die im
Rahmen der Bilanzierung von Sicherungsge-
schäften erfasst werden, sowie die Preisände-
rungs-, Ausfall- und Liquiditätsrisiken sowie
die Risiken aus Zahlungsstromschwankungen,
denen die Gesellschaft ausgesetzt ist.“
·
In diesem Zusammenhang darf auch der
Hinweis auf mehrere neue Gesetze nicht feh-
len (z. B. das KonTraG, Gesetz zur Kontrolle
und Transparenz im Unternehmensbereich).
Nicht zuletzt hat der DCGK auch eine
Transpa-
renzfunktion
, weil Aktienanalysten aber auch
interessierte Laien aufgrund der Verfügbarkeit
des DCGK selbst überprüfen können, wie es
das jeweilige Unternehmen mit der „guten Un-
ternehmensführung“ hält. Zusammenfassend
können wir also schon feststellen, dass der
Deutscher Corporate Governance Kodex so-
wohl bedeutsam als auch wirksam ist.
Deutscher Corporate Governance –
Kodex (DCGK)
Inhalt und Struktur
·
Präambel
·
Aktionäre und Hauptversammlung
·
Zusammenwirken von Vorstand und
Aufsichtsrat
·
Vorstand
·
Aufsichtsrat
·
Transparenz
·
Rechnungslegung und Abschluss-
prüfung
·
Anhang – Mustertabellen
Quellennachweis und Leseempfehlung
(zuletzt am 28.11.17 aufgerufen):
Infobox 1
CM Juli / August 2018