personalmagazin 9/2018 - page 48

Schwerpunkt
personalmagazin 09.18
Foto: Lisa Rastl
flexibel und schnell einzuführen oder zu ändern. Im Gegenzug
könnten Arbeitgeber zum Beispiel strengere Informationsver-
pflichtungen gegenüber dem Betriebsrat versprechen. Indes
müssen die zwingenden Regelungen des Arbeitsrechts in jedem
Fall beachtet werden. Zu diesen Vorgaben zählen beispielsweise
das Arbeitszeit- oder das Befristungsrecht.
Arbeitszeit und -ort: Mehr Freiheit innerhalb
der rechtlichen Grenzen?
Gleichsam typisch für New Work und agile Arbeit ist es, Mitarbei-
tern zunehmend die Freiheit zu überlassen, den Zeitraum für die
Erbringung ihrer Leistungen sowie den Arbeitsort zu bestimmen.
Moderne Kommunikation, zum Beispiel via Cloud oder über inter-
netbasierte Videokonferenzen, fördern diese Entwicklung. Es ist
kaum abzusehen, welche Bereiche des Arbeitens zukünftig von
Flexibilisierung und Mobilisierung nicht betroffen sein werden.
Dass Arbeitgeber das strenge Regiment des Arbeitszeitrechts mit
diesen Kommunikationsmöglichkeiten kaum einhalten können,
haben manche Unternehmen bereits erkannt. Als Reaktion hie-
rauf haben diese Organisationen – um die Compliance mit dem
Arbeitszeitrecht zu wahren – Regeln eingeführt, die deutlich
auf das Kommunikationsverhalten der Arbeitnehmer Einfluss
nehmen. So schalten manche Arbeitgeber ihre zentralen Server
zu einer bestimmten Uhrzeit ab. So wollen sie sicherstellen, dass
Arbeitnehmer nicht mehr mobil arbeiten können. Arbeitszeiten
werden folglich regelrecht aufgezwungen. Allerdings: Die Vor-
teile der Flexibilisierung von Arbeit durch mobile Kommunika-
tionsmittel werden dadurch natürlich wieder abgeschafft – um
den Regelungen des Arbeitszeitrechts zu genügen.
Hier echte und nachhaltige Lösungen zu finden, erweist sich
als schwierig. Zwar sind Modelle mit Arbeitszeitkonten eine
denkbare Lösung. Dies setzt jedoch voraus, dass der Arbeitneh-
mer jede Nutzung von Kommunikationsmitteln außerhalb von
„Kernarbeitszeiten“ notiert, damit nachvollziehbar arbeitszeit-
rechtliche Regelungen geprüft werden können. Auch kollektive
Regelungen, also Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen,
sind an das bestehende Arbeitszeitrecht gebunden. Sie können
damit nicht gestatten, dass Arbeitnehmer grenzenlos Kommu-
nikationsmittel unter Missachtung der arbeitszeitrechtlichen
Regelungen verwenden dürfen. Nicht zuletzt aus diesem Grund
greifen, wie oben dargestellt, viele Unternehmen auf das „Ver-
botsmodell“ für die Nutzung von Kommunikationsmitteln nach
Feierabend zurück. Hier bestehen also rechtliche Grenzen, die
die Formen von New Work schlicht aushalten müssen.
Mit der Flexibilisierung von Arbeitszeiten einher gehen auch
kollektivrechtliche Fragen: So ist mit der Nutzung von Kommu-
nikationsmitteln nicht auszuschließen, dass von Arbeitnehmern
Überstunden erbracht werden, bei denen der Betriebsrat gemäß
§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitzubestimmen hat. Der Arbeitgeber
kann jedoch kaum die Arbeitszeiten kontrollieren. Daher kann
er auch kaum Überstunden überwachen – im Übrigen ebenso
wie sie anordnen; er nimmt sie allenfalls hin –, sodass die Ge-
fahr besteht, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
faktisch ins Leere läuft.
New Work und altes Arbeitsrecht: Ist der
Betriebsbegriff neu zu definieren?
Neben den Regeln zur Arbeitszeit wird auch der kollektivrecht-
liche Begriff des Betriebs im Zusammenhang mit New Work
immer stärker in Frage gestellt. Durch die Anwendung neuer
Kommunikationsmedien und durch die flexible und agile Be-
gründung von Arbeitsgruppen wird eine Zuordnung von Arbeit-
nehmern zu einem bestimmten Betrieb zunehmend schwierig.
Dadurch wird klar, dass der klassische Begriff des Betriebs – wie
er durch Rechtsprechung und Lehre entwickelt wurde – kaum
noch zeitgemäß ist. Selbst die Bestimmung eines konkreten
Arbeitsorts scheint nicht mehr selbstverständlich, da eben die
hierfür bestehenden Kriterien des Betriebsbegriffs, mithin die
Mitarbeiter sowie die Arbeitsgeräte, nicht mehr eindeutig zu-
zuordnen sind.
Dass einer der zentralen Begriffe des deutschen Arbeitsrechts
damit zunehmend konturlos wird, stellt eine besondere He­
rausforderung an das Arbeitsrecht dar. Kann zum Beispiel eine
Kündigung noch mit betrieblichen Erfordernissen gerechtfertigt
werden, ohne den genauen Betrieb bestimmen zu können? Ist ein
Betriebsrat für die personellen Angelegenheiten eines Mitarbei-
ters zuständig, der eventuell nicht eindeutig einem bestimmten
Betrieb zuzuordnen ist? Dies sind nur zwei der vielen Fragen, die
sich durch den Zerfall des Betriebsbegriffs stellen.
Insgesamt wird damit das System der Mitbestimmung in
betrieblichen Angelegenheiten geschwächt. Betriebsräte und
Arbeitnehmer können keine feste Zuordnung definieren, die sie
jedoch benötigen würden, um gegenüber dem Arbeitgeber ihre
Was nicht passt, wird
 passend gemacht? Neue
 Arbeitsformen sind oft nur
 schwer in einen auf alte
 Strukturen aufbauenden
 arbeitsrechtlichen Rahmen
 einzufügen.
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