Schwerpunkt
personalmagazin 09.18
Viele Unternehmen sprechen auch davon, dass man den
Menschen den Sinn der Arbeit vermitteln sollte …
Der Sinn ist sehr wichtig, aber das Wort wird oft zu oberfläch-
lich gedacht. Man hat sich so an den Ausdruck gewöhnt, dass
man kaum merkt, was man da sagt. Dagegen wehre ich mich.
Neue Arbeit ist mehr als Sinn.
Existenzangst und die Notwendigkeit, Geld zu verdienen,
hält viele Menschen davon ab, sich mit dem zu beschäfti-
gen, was sie wirklich wollen. Was tun, wenn man mit dem
Wunschberuf nicht genug verdienen kann zum Leben?
Man sollte nicht um den heißen Brei herumreden: Man kann
nicht leben, wenn man kein Geld verdient. Das gehört für mich
zur Neuen Arbeit dazu und ist Teil des persönlichen Entwick-
lungsprozesses. Deshalb sollen die Menschen mit dem, was sie
in den Zentren für Neue Arbeit lernen und herausfinden, auch
Geld verdienen.
Wie ist es Ihnen gelungen, von demzu leben, was Siemachen
wollten?
Ich habe länger als Bauer gearbeitet und Tiere aufgezogen. Es
ist nicht so einfach, von der Landwirtschaft zu leben. Aber es
geht, wenn man es wirklich, wirklich will. Natürlich verändert
sich dieses Wollen sehr im Lauf des Lebens und das ist alles
andere als unkompliziert. Ich habe viele verschiedene Dinge
versucht, bevor ich Professor wurde. Gerne erwähne ich meine
Zeit als Boxer, weil es eine gewisse schockierende Wirkung hat.
Ein Philosophieprofessor und Boxen – das passt auf den
ersten Blick nicht so gut zusammen. Was war die Qualität,
die Sie dabei erfüllt hat?
Mich hat daran die Radikalität fasziniert. Wenn man mit je-
mandem boxt, meint man das ernst. Dann darf es auch wehtun
und Du kannst fallen, sonst ist das eine Farce. Eben das war für
mich wichtig. Ich machte eine steile Karriere in der Philosophie
und war an den besten Universitäten. Man hat mich sehr nett
behandelt. Ich wollte aber etwas tun, was schwierig und span-
nend ist. Und Boxen ist etwas, das kann man nicht faken. Es ist
authentisch.
Sie waren auch schon Tellerwäscher, Hafenarbeiter, Fabrik-
arbeiter, Bankangestellter, Schauspieler, Drehbuchautor.
Haben Sie in allen Berufen in verschiedenen Lebensphasen
diese Qualität der Radikalität und Ernsthaftigkeit gesucht
und gefunden?
Das stimmt. In vielen Situationen war für mich immer das er-
kennbar, an demmir viel liegt: der Ernst. Mir hat das manchmal
sehr geholfen, wenn ich versucht habe, die Arbeiter zu unterstüt-
zen. Sie haben gemerkt, ich tue nicht so als ob, es kann hart auf
hart gehen. Ich halte es aus und ich will, dass es auch schwierig
ist. Sie hatten nie das Gefühl, ich mache ihnen etwas vor.
Das heißt, das Können gehört auch zumWollen dazu?
Ja! Viele Leute, die denken, sie können New Work machen,
täuschen sich sehr. Es braucht eine gewisse Begabung. Man
muss Menschen in diesen Angelegenheiten ansprechen können
und sich an das heranwagen, was sie empfinden und denken.
Wenn man sich immer fragt, was man persönlich will, be-
steht da nicht die Gefahr, dass man zumEinzelkämpfer oder
Egoisten wird?
Nein, durch Egoismus wird man New Work nicht erreichen.
Denn es hat sehr viel mit anderen Menschen zu tun. Nur durch
ihr Empfinden ist es oft möglich, sich selbst zu erkennen. Das
war auch bei mir so. Ich habe früher mal Theaterstücke geschrie-
ben. Die Möglichkeit, Professor zu werden, war zunächst alles
andere als das, was ich in demMoment wirklich, wirklich wollte.
Ich bin sehr langsam darauf gekommen, dass Stückeschreiben
nicht das Richtige ist – vor allem durch meine Freunde. Da war
meist ein Hauptdarsteller, der auf der Bühne auf und ab gelaufen
Frithjof Bergmann in seinem
Büro: Der 87-Jährige hat mit
seiner New-Work-Philosophie
ein großes Werk geschaffen,
das heute aber oft nicht im Ur-
sprungssinne diskutiert wird.