Schwerpunkt
personalmagazin 09.18
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Ausgehend von Neuerungen durch Digitalisierung und Auto-
matisierung, von der Zusammenarbeit mit künstlicher Intel-
ligenz und von flexiblen, schrankenlosen Formen der Kom-
munikation, hat sich das gesellschaftliche Verständnis davon
geändert, wie gearbeitet werden sollte. Die Entwicklungen rund
um New Work – zum Beispiel bei agiler Führung, Open-Space-Ar-
beiten oder bei neuen Konzepten der Mitbestimmung – führen
dazu, dass das bisher gelebte Ordnungssystem des Arbeitsrechts
und die Frage, wie sich Rechte und Pflichten zwischen Arbeit-
geber und Arbeitnehmern interessengerecht verteilen, nicht
mehr ohne einen Blick auf die Wirklichkeit der betrieblichen
Praxis untersucht und beantwortet werden kann. Letztlich ist der
Einfluss dieser neuen Arbeitsmethoden für das Ordnungssystem
des Arbeitsrechts regelrecht destruktiv. Er zwingt zu einer neuen
Verortung rechtlich eingeführter Instrumente und Institutionen
und stellt Herausforderungen an die Anwendung des Rechts in
Personalabteilungen und bei der Beratung.
Auf den Verlust gewohnter Konturen in der Arbeitswelt hat das
Arbeitsrecht bislang nur wenig reagiert. Die Herausforderung,
die bestehenden rechtlichen Instrumente und Ordnungen mit
der Realität der Arbeitswelt in Deckung zu bringen, wird zuneh-
mend größer. Dadurch besteht zumindest punktuell die Gefahr,
dass ein Zweck des Arbeitsrechts, mithin der Schutz der Arbeit-
nehmer, nicht erfüllt wird. Mangels unmittelbarer Anwend-
barkeit der arbeitsrechtlichen Normen kann so ein regulatives
„Vakuum“ entstehen, das Arbeitnehmer schutzlos lässt. Dafür
gibt es inzwischen auch einige Beispiele in der New-Work-Welt.
Prinzipiell bleibt jedoch die Frage, wie sich die wesentlichen
Auswirkungen von New Work – zum Beispiel die Verflachung
von Hierarchien bei agilem Arbeiten, neue Arbeitszeitregelungen
oder die Atomisierung des Betriebsbegriffs – auf arbeitsrecht-
liche Instrumente und Grundsätze auswirken.
Agile Arbeit: Mehr Eigenverantwortung,
weniger Hierarchien
Scheinbar immer größerer Beliebtheit erfreut sich das sogenannte
agile Arbeiten. Hierunter versteht man die Organisation von Arbeit
in flexiblen Strukturen mit wechselnder Besetzung von Arbeits-
gruppen und unterschiedlichen Leitungsfunktionen und Verant-
wortlichkeiten dieser Gruppen. Unternehmen versprechen sich
von agilem Arbeiten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
selbstverantwortlich unternehmerische Ziele erreichen, ohne dass
hierarchische Organisationen hierfür eine Voraussetzung wären.
Agil sind die Strukturen, weil sie nicht beständigen Organisationen
gehorchen, sondern sich frei und entsprechend der Arbeitsziele
neu bilden, entfalten und verändern können.
Auswirkungen auf Weisungen und Vertragsverstöße
Rechtlich indes stoßen derartige Arbeitsformen rasch an Gren-
zen. Ohne klare Organisation und Hierarchie ist zum einen
schwer festzustellen, wer befugt ist, Weisungen zu erteilen und
damit zu bestimmen, welche Leistungen arbeitsrechtlich ge-
schuldet sind. Dies kann zu rechtlichen Komplikationen bei
der Auslegung von Arbeitsverträgen und bei der Bestimmung
von Vertragsverstößen führen – insbesondere dann, wenn an-
gezweifelt wird, dass der Weisungsgeber hierzu befugt war. Zum
anderen verflacht die arbeitstechnische Organisation zu einem
„Nebeneinander von Gruppen“, die kaum als einheitliches Ge-
Dass der Betrieb
als ein zentraler
Begriff im Arbeits
recht zunehmend
konturlos wird,
ist eine große
Herausforderung.
bilde im Sinne unternehmerischen Handelns gesehen werden
können. Jedenfalls ist es aus rechtlichen Gründen schwer zu
vertreten, wenn diese Gruppen Arbeitgeberrechte wahrnehmen
dürfen – dazu fehlt die vertragliche Grundlage.
Es ist daher vorteilhaft, in Arbeitsverträgen zu regeln, wie der
jeweilige Arbeitnehmer innerhalb einer Organisation integriert
ist. Dadurch haben die Parteien Klarheit darüber, auf welchen
Vorgesetzten die Weisungsbefugnis zurückzuführen ist. Ferner
sollten Regelungen zu den konkreten vertraglichen Verpflichtun-
gen für den Arbeitnehmer enthalten sein. Nicht zuletzt könnte
der Arbeitsvertrag auch vorsehen, dass die Versetzung in Teams
möglich ist und die Arbeitsleistung auch in agilen Strukturen er-
bracht werden kann. Die Regel sollte jedoch sein, dass ein Arbeit-
nehmer eine bestimmte Aufgabe im Rahmen einer bestehenden
Organisation übertragen erhält. Ansonsten besteht die Gefahr,
dass durch „zu viel Agilität“ das bestehende arbeitsrechtliche
Gerüst derart ins Wanken gerät, dass die Anwendung arbeits-
rechtlicher Vorschriften von Fall zu Fall infrage gestellt werden
könnte. Erst die klare Zuordnung schafft Klarheit bei Weisungen
und der Frage der Einhaltung arbeitsvertraglicher Pflichten.
Auswirkungen auf Kündigungen
Nicht nur die verhaltensbedingten vertragsrechtlichen Bezie-
hungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind beim
agilen Arbeiten Zweifeln ausgesetzt. Agiles Arbeiten kann letzt-
lich auch die rechtliche Wirksamkeit einer betriebsbedingten
Kündigung zumindest erschweren. Dies zeigt sich zum Beispiel
dann, wenn sich ein Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang
darauf beruft, dass er durch die agile Arbeit auch für andere
Beschäftigungen eingesetzt werden kann. Schließlich eröffnet
das agile Arbeiten die fast jederzeitige Versetzungsmöglichkeit
in eine neue andere Gruppe von Arbeitnehmern.