personalmagazin 10/2018 - page 55

vorgegeben, sondern von den Circle-Mit-
gliedern selbst gewählt werden. „Lautes
Arbeiten“ entsteht bei WOL durch geziel-
te Netzwerkarbeit, die digital stattfinden
kann, aber nicht muss. Die WOL-Handrei-
chungen schlagen vor, bei der Wahl der
Ziele mit folgenden Fragen zu arbeiten:
Ist es dir wichtig? Kannst du von den Er-
fahrungen anderer profitieren? Kannst
du es als Lernziel gestalten? Kannst du
in zwölf Wochen Fortschritte erzielen?
Die Ziele der Circle-Mitglieder sind
damit nicht zwingend mit denen der
Abteilung oder der Gesamtorganisation
synchronisiert und können es auch nicht
sein. Daran ist zunächst gar nichts falsch
– trägt dies doch dazu bei, dass die Akteu-
re den für WOL notwendigen Mehrauf-
wand betreiben. Mit Blick auf die Gesamt-
organisation wäre es aber naiv, sich allein
von der Etablierung einiger WOL-Kreise
direkte Effekte für die Weiterentwicklung
der Organisation zu erhoffen. WOL ist
eine wirksame Methode, informale Ar-
beitsweisen zu schaffen. Das kann das Er-
leben der beteiligten Akteure verändern
und Schwierigkeiten, die in den Struk-
turen der Organisation begründet sind,
ausgleichen oder umgehen. Damit wer-
den Abläufe geschmeidiger und die Errei-
chung von Zielen wahrscheinlicher – aber
all dies geschieht im Rahmen der weiter
bestehenden Formalstrukturen, die durch
einen Erfolg von WOL eher stabilisiert
als verändert werden. Das ist ein blinder
Fleck des aktuellen WOL-Diskurses.
These 2: WOL fördert cross-
funktionale Zusammenarbeit
– aber es ist kein Gegen­
entwurf zur Arbeitsteilung
WOL stärkt Kooperation und Zusammen-
arbeit, gerade über Abteilungsgrenzen
hinweg. Wer nun aber den Schluss zieht,
WOL sei die Chance, endlich all die aus
der Arbeitsteilung resultierenden Schwie-
rigkeiten zu überwinden, der schüttet das
Kind mit dem Bade aus. Natürlich, die
Anpassung und Weiterentwicklung ihrer
Strukturen waren schon immer und sind
weiterhin ebenso notwendige wie lästige
Herausforderungen für Organisationen.
Was sich dabei immer wieder ändert, ist
die konkrete Ausgestaltung der Struktu-
ren – nicht aber die Notwendigkeit zur
Arbeitsteilung, denn in keiner größeren
Organisation kann jeder alles können
und müssen. Deshalb sind die gesetzten
Grenzen nicht Ausdruck eines Manage-
ment-Versagens, sondern ein Effekt der
notwendigen Arbeitsteilung.
Die Stärke von WOL liegt nun eben
nicht in der Überwindung der Arbeitstei-
lung, sondern im Umgang mit einer ihrer
Hauptfolgen: dem Silodenken. Denn die
arbeitsteiligen Aufgaben bestimmen die
Auffassungen und Meinungen von Organi-
sationseinheiten. Nur das eigene Handeln
erscheint sinnvoll, das der anderen, das
anderen Rationalitäten folgt, problema-
tisch, kurzsichtig oder falsch. Das macht
es dann schwer, wieder zusammenzufü-
gen, was ursprünglich geteilt wurde.
Hier kann WOL einiges leisten: Ein
WOL-Circle bietet die Chance, sich in
die Denkgebäude der anderen Circle-Mit-
glieder einzudenken, ihre Interessen und
Ziele nachzuvollziehen, den Sinn in ihren
Argumenten sehen und für eigene Ar-
gumentationen in Rechnung stellen zu
können. Damit stiftet WOL Verständi-
gung schon im Vorfeld eskalierender und
bremsender Auseinandersetzungen – all
dies aber im Rahmen von arbeitsteiligen
Strukturen, mit denen besser umzugehen
auf diese Weise leichter und einfacher
gelingen kann.
These 3: Die Hierarchie muss
WOL absichern – aber sie
darf WOL nicht als Feigen
­
blatt für schlechtes Manage­
ment benutzen.
Vorsicht ist geboten, wenn WOL als Or-
ganisationsentwickler wirksamer Chan-
geprozesse fungieren soll. Erwarten
Führungskräfte dies, machen sie es sich
zu leicht. Wichtige Fragen werden dann
nicht mehr gestellt: Welche Vorausset-
zungen braucht es, um die Organisation
voranzubringen? Welche formalen Struk-
turen müssen wir dafür schaffen?
Arbeitet man mit WOL innerhalb von
kooperations-unfreundlichen Strukturen,
wird ein WOL-Circle schnell zum Ort,
an dem die Teilnehmenden gemeinsam
kluge Wege entwerfen, um den Stolper-
steinen der bestehenden Strukturen ge-
schickt auszuweichen. In der kleinen,
zwölfwöchigen Parallelwelt ist dann zu
erleben, dass es eben doch anders geht.
Das bringt Vorgesetzte in schwierige Si-
tuationen: Was tun, wenn Mitarbeitende
aus demWOL-Circle kommen und begin-
nen wollen, dauerhaft anders mit und in
der Organisation zu arbeiten? Letztlich
ist das aber das alltägliche und zugleich
produktive Dilemma, in dem Vorgesetzte
ständig stehen: Impulse aufnehmen und
formale Strukturen anpassen.
Diese Notwendigkeiten besser zu er-
kennen und die Hebel an der richtigen
Stelle anzusetze, dabei kann WOL hel-
fen. Aber den Führungskräften die Arbeit
auch an den Formalstrukturen abneh-
men, das kann WOL nicht.
Wie andere Management-Trends re-
agiert WOL auf Nebenfolgen formaler Or-
ganisationen. Keine Methode kann aber
alle Dysfunktionalitäten ausgleichen. Der
Vorteil eines Management-Trends ist die
diskursive Vorbereitung von Veränderun-
gen. Oft genug wird aber unterschätzt,
welche Detailarbeit sich hinter den Ver-
änderungen verbirgt. Deshalb wird, wer
organisationsklug führen will, sich um
eine Balance zwischen kohäsionsstiften-
der Rhetorik und intensiver Strukturar-
beit bemühen. Und dazu gehört, sich den
Mühen der Strukturarbeit auszusetzen.
Für HR-Abteilungen leitet sich daraus der
Anspruch ab, Führungskräfte bei der
Arbeit an guten Strukturen zu unterstüt-
zen. Und gern darf darüber dann auch
laut gesprochen werden.
JUDITH MUSTER ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Organi­
sations- und Verwaltungssoziologie der
Universität Potsdam und Beraterin bei
Metaplan.
JENS KAPITZKY ist Berater bei Metaplan
und leitet die Metaplan-Akademie. Zuvor
war er 15 Jahre in der Medienbranche
tätig, davon fünf als Geschäftsführer.
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