trollverlust?“ Und es gab auch diejenigen,
die einfach einen anderen Führungsstil
für sich komfortabler fanden. Solange
keiner blockierte, war das in Ordnung.
„Augenhöhe ist ein Kann, kein Muss“ –
das führte zu vielen internen Debatten.
Nach zwei bis drei Jahren kamen Stim-
men auf, mehr Augenhöhe von den Füh-
rungskräften zwangsweise einzufordern.
„Aber das geht ja nicht, dann wären wir
keinen Schritt weiter.“
Für viele war die neue Qualität zu we-
nig greifbar. Für manche war „Augenhö-
he“ ein Schlagwort geworden, das man
nutzte, wenn einem etwas nicht passte.
Einige Mitarbeiter begannen deshalb,
das Ganze zu Papier zu bringen, in einer
Art Whitepaper. Sie wollten schwarz auf
weiß lesen, dass die Dinge nun wirklich
anders sind. Sie trafen sich im Kronenhof,
eine Gaststätte gegenüber des Lilly-Ge-
bäudes, diskutierten viel. „Jeder hat das
so guerillamäßig in seinen Wirkungs-
kreis getragen. Erst später haben wir das
Whitepaper offiziell publik gemacht. Und
trotzdem: Manche denken immer noch,
es geht an ihnen vorbei“, beobachtet die
Communications-Verantwortliche Blank.
Dennoch: Die hierarchische Organi-
sation und die Augenhöhe-Inseln, die-
se beiden Parallelwelten, verschmelzen
Doch erstmal kam direkt eine große
globale Inspektion, die nur alle fünf Jahre
ansteht. „Es kam ein Wirbelwind nach
dem anderen und ich habe nur geschaut,
wie ich den nächsten Tag überlebe“, erin-
nert sie sich. Sie kam in ein Team hinein,
das klare Hierarchien gewohnt war. Ver-
fahrensanweisungen für alle Mitarbeiter
waren das A und O. Wenn jemand nicht
mitmachte, war das Chefsache. Fusch
musste auch operativ mitarbeiten.
Trotzdem entwickelte sie eine Vision
für eine Compliance-Abteilung, die part-
nerschaftlich wahrgenommen wird und
im Rahmen der Regeln zur Selbstverant-
wortung ermutigt. Die Lilly-Mitarbeiter
sollten die Vorgaben nicht auswendig ler-
nen, sondern das nötige Bewusstsein ent-
wickeln, was für Mitarbeitende in einer
Pharmafirma ein ethisch angemessenes
Verhalten ist. Doch sie kam nicht vor-
an, verzweifelte daran, dass anscheinend
niemand in ihrer Abteilung sie verstand.
Vor einiger Zeit kam sie dann mit der
Idee, das Format „Coffee mit Compliance“
einzuführen, trug das schon mal in den
allgemeinen Veranstaltungskalender ein.
Dann erst fragte sie ihre Kollegen, wer
Lust habe, das umzusetzen. Die Antwort
war ernüchternd, aber auch ein Aha-Er-
lebnis: „Da habe ich gemerkt, dass wir
als Team noch gar nicht zusammenge-
wachsen waren. Ich war in alte Muster
zurückgefallen, hatte uns nicht genug
Zeit gegeben, um über Augenhöhe und
unsere Zusammenarbeit zu reden – und
ich habe meine Vorstellung davon selbst
nicht mehr gelebt.“
Ihre Erkenntnis machte den Weg frei
für mehr gegenseitiges Verständnis. „Ich
gebe jetzt zu, dass ich verletzlich bin
und meine Kollegen brauche. Und sie
verstehen inzwischen, wo ich hinwill.“
Heute weiß sie: Sie hätten einfach früher
innehalten und gemeinsam reflektieren
müssen. „Aber vielleicht war auch der
Schmerz, dass wir so wenig vorankom-
men, noch nicht groß genug.“
Falle 2: Angst vor dem totalen
Kontrollverlust
Auch Thomsen weiß, dass der Lernpro-
zess nicht einfach ist: „Alle machten nun
irgendwie alles. Es gab viele Führungs-
kräfte, die damit am Anfang gar nicht
klargekommen sind. Man fragte sich: Was
bedeutet das denn für mich, Führen auf
Augenhöhe? Ist das nicht der totale Kon
immer mehr. „Die neue Philosophie lau-
tet: „Everybody is a Leader“, konstatiert
Stefan Bauer. In seinen Workshops zum
Thema Change Management saßen frü-
her nur Führungskräfte, jetzt kommen
die Teilnehmer bunt gewürfelt aus allen
Hierarchien. Diese Entwicklung wird ge-
fördert und läuft entsprechend weiter.
Im Dezember 2017 galt es vier neue Füh-
rungskräfte auszuwählen – und wesent-
liches Kriterium war Augenhöhe.
Selbstorganisierte Teams
legen los
Ein wesentliches Element der neuen Lil-
ly-Arbeitsweise sind die selbstorganisier-
ten Teams. Jeder, der will, soll Einfluss
auf die Gesamtorganisation haben. Alle
werden nach Ideen gefragt und dafür
Workshops organisiert. Auf eigene Ini-
tiative übernimmt jemand die adminis-
trative Führung, lädt zum Thema ein.
Eine Gruppe nennt sich beispielsweise
„Außendienst im Wandel“. Für die Mit-
arbeiter im Außendienst, die immerhin
die Hälfte der Belegschaft ausmachen,
ist es schwieriger, sich aktiv in derartige
Teams einzubringen. Tagsüber sind sie
beim Kunden und müssen dann abends
nach einem vollen Tag noch ein paar
Stunden für das selbstorganisierte Team
dranhängen. Deshalb kommen viele The-
men, der ganze Wandel, dort nur verzö-
gert an. „Viele Distriktleiter haben das mit
der Service Value Chain zwar schon oft
gehört, aber nicht so richtig verstanden“,
meint Carla Schürmann, die sich in das
Team federführend einbringt. Botschafter
wie Schumann unterstützen deshalb, das
Ganze an die Mitarbeiter weiterzuvermit-
teln. Sie kommen in die Teams eines Dis-
triktleiters und erklären neue Konzepte.
Gerade im Außendienst geht es oft noch
hierarchischer zu als im Rest der Organi-
sation. „Wie müssen dafür Sorge tragen,
dass die Hälfte der Mitarbeiter nicht ge-
danklich abgehängt wird.“
Dieses Thema haben auch Mitarbei-
ter auf interkultureller Ebene: Leute, die
international und sehr virtuell arbeiten,
fühlten sich nicht so angedockt an die
deutsche Kultur. Zudem erleben sie im
Konzernumfeld oft noch eine andere
Führungskultur, die mehr auf „Command
and Control“ ausgelegt ist. Um mehr
integriert zu sein, haben sie Mentoren
aus den deutschen Teams gesucht, eine
Als Geschäftsführerin am Lilly-Standort Bad
Homburg hat Simone Thomsen die Vision
von Augenhöhe im Betrieb angestoßen. Nun
wird sie Vice President International Marke
ting in Indianapolis.
Agilität
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