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personalmagazin 05/18
RECHT
_BUSINESS-TRANSFORMATION
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
schließt im nächsten Schritt das Mit-
bestimmungsrecht über das Wie aus
§ 98 BetrVG an: Die Dauer der Qualifi-
zierungsmaßnahme unterliegt ebenso
der Mitbestimmung wie der Inhalt und
Umfang der zu vermittelnden beruf-
lichen Kenntnisse, Fähigkeiten und
Fertigkeiten. Mitbestimmungsfrei ist
nach § 98 Abs. 1 BetrVG zwar die Höhe
der bereitgestellten Mittel. Hier schließt
sich aber der Kreis zu den Sozialplan-
verhandlungen: Die Beteiligungsrechte
bezüglich des Sozialplans dürften hier
die Dotierung von Qualifizierungsmaß-
nahmen zulassen.
Zudem sind Mitwirkungsrechte nach
§§ 92 Abs. 1 und 2, 92 a, 96 und 97 Abs. 1
BetrVG denkbar. Über die erzwingbaren
Mitbestimmungsrechte hinaus können
sie die Interessenausgleichs- und Sozial-
planverhandlungen beeinflussen, soweit
es um Qualifizierungsfragen geht.
Qualifizierungssozialplan:
zwei Vorteile, eine Vereinbarung
Der technologische Wandel löst infolge
veränderter Arbeitsplatzanforderungen
häufig Betriebsänderungen aus. Das
Zusammenspiel der Beteiligungsrechte
aus §§ 111 ff. und §§ 96 ff. BetrVG er-
öffnet den Betriebsparteien die Möglich-
keit, Qualifizierungsmaßnahmen für die
neu entstehenden Arbeitsplätze in soge-
nannten Qualifizierungssozialplänen zu
vereinbaren. Eine ausbalancierte Rege-
lung kann für Unternehmen den Vorteil
der Einsparung von teuren Abfindungen
mit dem – in Zeiten des Fachkräfteman-
gels – Vorteil der Qualifizierung vorhan-
dener Stammkräfte kombinieren.
ranzuführen (was zumeist den Interes-
sen des Betriebsrats entspricht), kann
– verglichen mit einem weitreichenden
Personalabbau – bei entsprechenden
Betriebsänderungen auch im Unterneh-
mensinteresse liegen.
Erforderlich ist eine Kosten-Nutzen-
Analyse: Den Qualifizierungskosten
stehen eingesparte Sozialplan- und Ab-
findungskosten gegenüber. Der Aufbau
einer qualifizierten und bereits „einge-
spielten“ Belegschaft kann gerade in
Zeiten des Fachkräftemangels sinnvoller
sein als unter Umständen schwierige
und langwierige Neueinstellungen quali-
fizierten Personals bei gleichzeitiger, oft
teurer Abfindung der Stammbelegschaft.
Sind entsprechende Qualifizierungsmaß-
nahmen (gegebenenfalls neben einem
Personalabbau) geplant, müssen sie rich-
tig vereinbart werden.
Qualifizierungsmaßnahmen:
Interessenausgleich oder Sozialplan?
Strategisch gilt dabei: Den Interessen-
ausgleich, das heißt die Vereinbarung,
die das Ob und das Wie der Betriebsän-
derung (also die abweichende Arbeitsor-
ganisation) regelt, kann der Betriebsrat
nicht erzwingen. Den Sozialplan, der
den Ausgleich der durch die Betriebsän-
derung entstehenden Nachteile betroffe-
ner Mitarbeiter regelt, hingegen – even-
tuell im Einigungsstellenverfahren – in
Grenzen schon (§§ 112 f. BetrVG). Nach
der Rechtsprechung des BAG können
„Umschulungspflichten“ indes nicht
Gegenstand eines erzwingbaren Sozial-
plans sein (BAG, Urteil vom 17.09.1991,
Az. 1 ABR 23/91). Sie können also nur
im Interessenausgleich geregelt wer-
den. Letztlich hat es damit der Arbeitge-
ber in der Hand, über das Ob von Qua-
lifizierungsmaßnahmen zu entscheiden.
Neben den klassischen Abfindungs- und
Transferregelungen ist die erzwingbare
Mitbestimmung des Betriebsrats auf die
Finanzierung der Bildungsmaßnahme
beschränkt.
Da die in einem gewöhnlichen Inte-
ressenausgleich geregelten Qualifizie-
rungsmaßnahmen für die einzelnen
Arbeitnehmer aber keinen Rechtsan-
spruch auf Qualifizierung begründen,
muss – wenn ein Anspruch gewollt ist
– ein sogenannter qualifizierter Interes-
senausgleich abgeschlossen werden. Da-
runter ist eine gemischte Vereinbarung
zu verstehen, die hinsichtlich der Quali-
fizierungsregelungen eine Betriebsver-
einbarung ist. Das ist in der Praxis mit
Qualifizierungssozialplan gemeint: eine
freiwillige, anspruchsbegründende Re-
gelung – meist im Interessenausgleich.
Mitbestimmungsrechte in Bezug auf
einen Qualifizierungssozialplan
Die Veränderung von Arbeitsplätzen
infolge von Industrie 4.0, Digitalisie-
rung, E-Mobilität et cetera wird jedoch
häufig auch die Beteiligungsrechte nach
§§ 96 ff. BetrVG (Berufsbildung) auslö-
sen. So sind Qualifizierungsmaßnahmen
in diesen Fällen zumeist vomMitbestim-
mungsrecht nach § 97 Abs. 2 BetrVG
umfasst. Diese Norm greift ein, sobald
sich der Arbeitgeber zur Durchführung
einer den Qualifizierungsbedarf auslö-
senden Maßnahme entschlossen hat.
Dieses Mitbestimmungsrecht hinsicht-
lich des Ob von Bildungsmaßnahmen
entsteht mit der Entscheidung, entspre-
chende Maßnahmen umzusetzen, im
Rahmen einer Business Transformation
also nahtlos nach dem Abschluss des
Interessenausgleichsverfahrens. Hieran
DR. PATRICK MÜCKL
ist
Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner der Kanzlei Noerr
LLP in Düsseldorf.
MAREIKE GÖTTE
ist Rechts-
anwältin in der Kanzlei Noerr
LLP in Düsseldorf.
In der Praxis ist dies
unter einem Qualifizie-
rungssozialplan ge-
meint: eine freiwillige,
anspruchsbegründende
Regelung – meist im
Interessenausgleich.
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