Personalmagazin 6/2017 - page 43

06/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Integrationskurs sowie einemUnterneh­
menspaten. Kirsten Sánchez Marín, Lei­
terin des Bereichs Corporate Citizenship
bei Henkel, betont: „Über die Teilnahme
erhalten die Menschen einen Arbeits­
nachweis und damit auch eine Einschät­
zung ihrer Qualifikation.“
Kooperation mit dem Jobcenter
Einen wichtigen Baustein sieht Sánchez
Marín in der engen Kooperation mit
dem Jobcenter. Praktische und theoreti­
sche Fertigkeiten werden über Wochen
gründlich geprüft. „Hier können wir feh­
lende Qualifizierungsunterlagen anglei­
chen“, so die Fachfrau. Das bedeutet für
alle Zertifizierten, dass sie etwas in der
Hand haben, was deutsche Arbeitgeber
verstehen. Sánchez Marín betont, dass
auch die Mitarbeiter – in der Düssel­
dorfer Zentrale kommen sie aus 60 Län­
dern – „mit ehrenamtlichen Projekten
der Flüchtlingshilfe die Firmenkultur
positiv prägen“: Alphabetisierungskur­
se, Lesepatenschaften, Musikunterricht
werden von Henkel mit bis zu acht Frei­
stellungstagen im Jahr unterstützt.
Mittelständische Unternehmen ste­
hen Konzernen bei ihren Aktivitäten
in nichts nach. Sie bringen als einzelne
Firma oder in Kooperationen Geflüchtete
auf den Arbeitsmarkt. Im Februar 2016
suchte der Märkische Arbeitgeberver­
band (MAV) in Südwestfalen 15 Prakti­
kumsplätze für das Projekt „Berufliche
Qualifikation von Flüchtlingen mit er­
gänzender Sprachförderung“. 30 Firmen
der Metall- und Elektroindustrie boten
60 Plätze. Mit an Bord waren die Agentur
für Arbeit Iserlohn, die verbandseigene
Ausbildungsgesellschaft Mittel-Lenne
und die Euro-Schulen Märkischer Kreis.
Wahrscheinliches Bleiberecht, jünger
als 27 Jahre, Freude am Handwerk,
ernsthaftes Lerninteresse, Zuverlässig­
keit sowie Pünktlichkeit waren Auswahl­
kriterien. 15 junge Männer, die meisten
aus Syrien, starteten mit dem Sprach­
kurs – wie Azubis im Blaumann und mit
Sicherheitsschuhen. „Alle müssen min­
destens die Sicherheitsunterweisungen
lesen können, wenn sie später in den
Unternehmen ein Praktikum beginnen
wollen“, sagt Josef Schulte, stellvertre­
tender Geschäftsführer des MAV. Ein
halbes Jahr später stiegen von zwölf
Praktikanten zehn Flüchtlinge in den re­
gulären Arbeitsmarkt ein – Ausbildung,
Einstiegsqualifizierung, Arbeitsstelle.
Schulte sieht für diese gute Quote zwei
Gründe: „Integration ist Netzwerkarbeit
vor Ort, dort, wo man sich kennt. Und wir
haben das Projekt von vorneherein als Ko­
operation konstruiert.“ Mit geändertem
Konzept gehen die märkischen Unterneh­
mer seit Jahresbeginn in die nächste Run­
de: Der Vollzeitsprachunterricht wurde
von sechs auf acht Wochen verlängert und
auch während der technischen Kurse geht
es mit dem Deutschunterricht weiter. Al­
tenloh, Brinck & Co (ABC) in Ennepetal hat
seine Ausbildungswerkstatt für Integrati­
onsprojekte in Zusammenarbeit mit der
Volkshochschule Gevelsberg zertifizieren
lassen. Thyssenkrupp Bilstein beteiligt
sich. Seit März feilen, bohren, drehen
und fräsen 15 Flüchtlinge im Praktikum.
Die Metall-Ausbilder werden durch zwei
versierte Rentner unterstützt, die noch
im Prüfungsausschuss für Auszubilden­
de aktiv sind. Schon jetzt zeigt das Modell
Integrationserfolge: Die Azubis und die
Geflüchteten spielen Fußball miteinander.
Im Sommer wird sich entscheiden, wer es
in die Lehre schafft. „Wir haben zusätzli­
che Ausbildungskapazitäten geschaffen“,
sagt ABC-Ausbildungsleiter Hans-Jürgen
Barth.
Eine praxisnahe Vorbereitung auf
Ausbildung und Arbeit muss seinen
Mittelpunkt nicht zwangsläufig in Un­
ternehmen finden. Auch Berufsschulen
und -kollegs können junge Flüchtlinge
systematisch voranbringen.
Die Rolle der Berufsschulen
So sind in den Beruflichen Schulen Alt­
ötting von rund 2700 Schülern sechs
Prozent Geflüchtete. Die Schule hat
ihr bewährtes Unterrichtskonzept für
Schüler mit und ohne Migrationshin­
tergrund erweitert, sich mit Behörden
und ehrenamtlichen Helfern vernetzt
und kann auf einen Pool von 500 Prak­
tikumsstellen zurückgreifen. Basis des
schulischen Lernens und der Bewer­
tung sind Kompetenzraster, nach denen
die unterschiedlichsten Fähigkeiten
entwickelt werden – für den Lebens­
alltag ebenso wie für den jeweiligen
Fachschwerpunkt und Ethik. Wie gut
die Schüler Verkehrszeichen, Kaufver­
träge, die Vielfalt der Religionen, die
deutsche Sprache, Web-Recherche und
Excel kennen, wird im Detail erfasst.
Die Ergebnisse aus den Kompetenzfel­
dern werden in eine Art Spinnennetz
eingetragen. So entsteht eine Fläche,
die die Ausbildungsreife zeigt. Für
das ausgeklügelte System der Berufs­
orientierung konnte Schulleiter Carlo
Dirschedl mit seinem Team 2016 den
Deutschen Arbeitgeberpreis entgegen­
nehmen. Für ihn ist klar: „Die 10 000
Euro Preisgeld gehen ins Kerngeschäft
Unterricht und in die Effizienzsteige­
rung, etwa durch die Entwicklung einer
bedienungsfreundlichen Software für
Kompetenzraster.“ Und: Das Modell aus
Altötting können interessierte Schulen
adaptieren. Bundesweit.
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„Unsere Mitarbeiter prägen auch mit
ehrenamtlichen Projekten der Flücht­
lingshilfe die Firmenkultur positiv.“
Kirsten Sánchez Marín, Henkel
RUTH LEMMER
ist Journalistin in Duisburg.
ONLINE
Ein Video über das Flüchtlingsprojekt des
märkischen Arbeitgeberverbands sehen Sie
unter
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