52
ORGANISATION
_ARBEITGEBERVERBÄNDE
personalmagazin 06/17
Branche seien vor allem dort ansässig,
wo einst viel Sand und Wasser war, al-
so in ländlichen Gebieten mit niedrigen
Geburtsraten und hoher Abwanderung.
„Das bedeutet viel Arbeit für Personal-
verantwortliche“, betont Perlitz, HR-Chef
der Gerresheimer AG in Düsseldorf.
Eine dem Projektstart vorgeschaltete
Mitgliederbefragung legte die Marsch-
richtung fest: Für den Auftakt sorgte das
Thema Gesundheit, inzwischen dreht
sich alles um die Arbeitszeitgestaltung.
Folgen werden der Zusammenhalt von
Jung und Alt, Führung und Motivation
sowie die Vereinbarkeit von Beruf und
Privatem. Alle Themen, so das Konzept,
sollen ein halbes Jahr lang zu lebhafter
Mitarbeit in den Betrieben beitragen.
„Praktische Lebenshilfe“ will der
Verband leisten. Unternehmen sollen
inspiriert werden, miteinander in einen
Dialog zu treten und sich auszutauschen,
obwohl sie im Grunde Konkurrenten
sind. Inzwischen ist die erste Etappe des
mehrstufig konzipierten Leistungsange-
bots abgeschlossen. Neben grundsätz-
lichen Fakten zur Glas-Branche liefert der
Verband stichhaltige Argumente, um sich
der Gesunderhaltung ihrer Belegschaf-
ten anzunehmen und beschreibt zentrale
Werkzeuge für eine gesunde Personal-
politik. Wie man rechtzeitig psychische
Überlastung erkennt oder Muskel-Skelett-
Erkrankungen vorbeugen kann, wird hier
ausführlich dargelegt und durch Links zu
Inqa-Ressourcen und Arbeitshilfen von
Krankenkassen oder Berufsgenossen-
schaften ergänzt. Abgerundet wird der
Leitfaden durch „Gelebte Praxis“ bezeich-
nete Beispiele von Branchenfirmen, die
den allermeisten Mitgliedsfirmen damit
als Vorbild dienen können.
Wie fruchtbar sich das Projekt für die
Firmen auswirken kann, skizziert Alice
Kronauer, Personalleiterin der Bonner
Weck Glas GmbH. „Als ich mich erstmals
mit dem Thema Betriebliche Kranken-
versicherung befasst hatte, benötigte ich
etwa zwei Jahre für die Erarbeitung und
Umsetzung des Konzepts.“ Mangels frei
verfügbarer Informationen und Erfah-
rungswerte anderer Unternehmen hätte
ihr eine vergleichbare Initiative seiner-
zeit sehr geholfen. Hervorheben möchte
Kronauer die Informations- und Koopera-
tionsbörse des Arbeitgeberverbands. „So
legt man die Scheu vor demAustausch mit
der Konkurrenz ab und belebt das Net-
working im Interesse aller Beteiligten.“
Gute Ideen weitertragen
Die Marschrichtung des Projekts wird
in Berlin begrüßt. „Man muss nicht alles
selbst erfinden. Gute Ideen lassen sich
in andere Unternehmen übertragen“,
betont Peer-Oliver Villwock, Leiter der
Abteilung Arbeitsschutz im Bundesmi-
nisterium für Arbeit und Soziales. Dass
sich der Verband gemeinsam mit der
IG BCE für gut gestaltete Arbeitsbedin-
gungen einsetze und dafür systematisch
Tools der Inqa anwende, wird begrüßt.
Ähnlich beurteilt die IG BCE das Projekt.
Die Mischung aus Motivation, Unterstüt-
zung bei der Nutzung von Fördermitteln
und einem breiten Informationsangebot
für die Betriebe sei „gut gelungen“, fin-
det Stefan Weis, Leiter der Abteilung Ar-
beitspolitik bei der Gewerkschaft.
Im Rahmen der zweiten Projektpha-
se nimmt man sich nun des Themas
Arbeitszeitgestaltung an. „Auch bei
Weck Glas stehen die Bänder nicht still,
Schichtarbeit wird rund um die Uhr ge-
leistet“, sagt Kronauer, die sich aktiv in
die Verbandsarbeit einbringt. „Dabei gibt
es stets Optimierungsbedarf.“ Der Arbeit-
geberverband will Schichtarbeit nicht
nur effizienter, sondern auch attraktiver
machen: „Idealerweise stellen sich Mitar-
beiter am Smartphone ihren Schichtplan
selbst zusammen“, sagt Perlitz. Dabei
beruft er sich auf die Praxis in der Luft-
hansa-Kabine, wenn Stewardessen ihre
Schichten nicht nur individuell einbu-
chen, sondern über eine spezielle Platt-
form sogar tauschen können.
Natürlich wissen die Protagonisten,
dass die Entwicklungskosten einer Soft-
ware, welche die Bedürfnisse der Betriebe
möglichst facettenreich abbildet, kaum
mit dem verfügbaren Budget zu rechtferti-
gen ist. Daraus folgen zwei Überlegungen:
Entweder sprechen Experten, wie das
bereits zu Rate gezogene Institut für
angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa),
konkrete Empfehlungen für die Branchen-
betriebe aus oder man schließt mit einem
Anbieter einen Rahmenvertrag, der sich
für die Mitgliedsfirmen in vorteilhaften
Konditionen niederschlägt.
WINFRIED GERTZ
ist freier Journalist in
München.
Auch Personalleitertagungen zur Entgeltpolitik gehören zu den Angeboten der
Arbeitgeberverbände (hier eine Veranstaltung von Niedersachsenmetall).
© NIEDERSACHSENMETALL