personalmagazin 9/2016 - page 19

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09/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
die rechtliche Einordnung sind die tat-
sächlichen Hintergründe und die gelebte
Praxis – und nicht die Papierform.
Fehlt jedoch eine fach- und abteilungs-
übergreifende Zusammenarbeit und fo-
kussieren sich die jeweiligen Abteilungen
auf eigene Angelegenheiten, dann besteht
die Gefahr, dass das Unternehmen in ein
erhebliches Compliance-Risiko hinein-
läuft und der Einsatz des Fremdpersonals
als rechtswidrig qualifiziert wird. Dies
kann wiederum erhebliche negative Kon-
sequenzen haben. Schönreden kann das
Unternehmen eine solche Situation im
Nachhinein kaum, hat es doch durch sei-
ne Organisation selbst dazu beigetragen.
HR muss sich auch bei Verdachts­
untersuchungen einbringen
Ähnliches gilt zum Beispiel mit Blick
auf Verdachtsuntersuchungen oder das
Konsequenzen- beziehungsweise Sank-
tionsmanagement, wenn die Compli-
ance-Abteilung zum Beispiel Verdachts-
untersuchungen gegen Mitarbeiter
ohne Einbindung von HR durchführt.
Werden dabei arbeitsrechtliche Maß-
stäbe missachtet und gegen gesetzliche
oder betriebliche Regelungen verstoßen,
riskiert Compliance nicht nur die Un-
wirksamkeit möglicherweise angezeig-
ter arbeitsrechtlicher Maßnahmen. Die
Abteilung wird sich auch den Vorwurf
gefallen lassen müssen, selber nicht re-
gelkonform zu handeln.
Der Compliance-Kultur ist damit kein
Gefallen getan. In solchen Fällen sollte
HR aber auch tatsächlich als lösungsori-
entierter Unterstützer für Compliance
zur Verfügung stehen. Beide können in-
soweit dazu beitragen, etwaig bestehende
Vorbehalte – wie „Compliance kümmert
sich nicht um arbeitsrechtliche Belange“
oder „HR blockiert oder taucht ab“ – ge-
gen den anderen Bereich abzubauen.
Andersherum ist dem Unterneh-
men nicht damit gedient, wenn HR
Abmahnungen ausspricht, die Compli-
ance-relevant sind – ohne jedoch den
Compliance-Bereich in diese Vorgänge
einzubinden. Denn dann wird Compli-
ance dieMöglichkeit genommen, etwaige
Schwächen im System, die das individu-
elle Fehlverhalten erst ermöglicht ha-
ben, zu prüfen und zu beseitigen. Tritt
nun ein ernsthafter Compliance-Störfall
ein, kann sich dies verschärfend zulas-
ten des Unternehmens auswirken. Denn
obwohl imUnternehmen die Schwächen,
wie in den Abmahnungen dokumentiert,
bekannt waren, wurde nichts unternom-
men, um diese abzustellen.
Die Compliance-Koordinationsgruppe:
Ressourcen bündeln
Vorstehende Beispiele zeigen, dass
unter Compliance-Gesichtspunkten in
vielen Bereichen ein fach- und abtei-
lungsübergreifendes koordiniertes Zu-
sammenwirken, insbesondere zwischen
Compliance und HR, erforderlich ist.
Vor diesem Hintergrund kommt die
Compliance-Koordinationsgruppe ins
Spiel, die ein wesentlicher Bestandteil
eines Compliance-Management-Systems
ist. Sie umfasst den Compliance-Beauf-
tragten sowie die Compliance unterstüt-
zenden Funktionen. Dazu gehört HR
sowie Funktionen wie Risikomanage-
ment, Recht, Rechnungswesen, Control-
ling, Revision, Einkauf, Vertrieb und die
vorgeschriebenen Beauftragten.
Bei der Einrichtung und Arbeit der
Compliance-Koordinationsgruppe geht
es vor allem darum, im Unternehmen
bereits vorhandene Compliance-Res-
sourcen und bestehendes Know-how zu
bündeln und Aktivitäten mit Präventiv-
charakter zu koordinieren sowie – wo
notwendig – zu ergänzen und in einem
Format zusammenzuführen.
Wichtiger Bestandteil eines Compliance-Management-Systems ist ein Hinweisgeber-
verfahren. Zwar wurde ein Whistleblowing-Gesetz häufig diskutiert, eine Umsetzung
ist jedoch nicht absehbar. Nun könnte eine neue Vorschrift Vorbildcharakter haben.
Neben der Mitwirkung beispielsweise bei mitbestimmungs- und datenschutzrechtlichen
Fragen kann HR bei der Einführung eines Hinweisgeberverfahrens einen entscheidenden
Beitrag für den Erfolg eines solchen Verfahrens leisten. Mitentscheidend dafür ist unter
anderem, dass potenzielle Hinweisgeber darauf vertrauen, dass ihre Anliegen ernst
genommen werden, ihnen bei der gutgläubigen Nutzung des Systems keine Sanktionen
drohen oder auch, dass ihre Anonymität geschützt wird. Andernfalls werden Mitarbeiter
das Hinweisgebersystem nicht nutzen. Dazu ist mehr als ein gutes Software-System
oder die Bestellung eines Ombudsmanns erforderlich. Gefragt sind Information, Aufklä-
rung, Motivation, Training ebenso wie eine angemessene Behandlung von Hinweisen
und Hinweisgebern in der Praxis.
Wichtig hierfür ist ferner der Schutz der Hinweisgeber vor möglichen Vergeltungsmaß-
nahmen. Abgesehen von dem allgemeinen Maßregelungsverbot in § 612a BGB ist
allgemein gesetzlich ein Hinweisgeberschutz noch nicht verankert. Mit § 4 d Abs. 6 Fi-
nanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) ist nun im Zusammenhang mit der Einrich-
tung eines Hinweisgebersystems bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) erstmals ein gesetzlich vorgeschriebener Hinweisgeberschutz am 2. Juli 2016 in
Kraft getreten. Danach sind, grob gesagt, gutgläubige Hinweisgeber gegen arbeitsrecht-
liche und strafrechtliche Maßnahmen wegen ihrer Meldung geschützt und dürfen nicht
zum Ersatz von Schäden herangezogen werden. Es ist davon auszugehen, dass diese
Vorschrift Vorbildcharakter über den Geltungsbereich des FinDAG hinaus haben wird.
Hinweisgeberschutz erstmals im Gesetz
WHISTLEBLOWING
WIBKE A. KLEBER
ist
Fachanwältin für Arbeitsrecht
und Partnerin bei BKPI Legal
& Compliance in Frankfurt am
Main sowie Leiterin der Arbeitsgruppe HR-
Compliance im Netzwerk Compliance e.V.
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