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PERSONALquarterly 02/15
SCHWERPUNKT
_CHANGE
D
eutschland leidet unter großem Reformstau“ (Die
Welt, 29.5.2013). An dieses Problem werden wir
nicht nur durch die Schlagzeilen großer Tageszei-
tungen erinnert. Seitdem der Begriff „Reformstau“ in
den 90er Jahren aufkam und damals sogar zumWort des Jahres
gekürt wurde, begleitet er das politische Geschehen in Deutsch-
land. Das deutsche Sozialversicherungs- und Steuersystem gilt
seit Langem als veränderungsbedürftig und ist Gegenstand ei-
ner permanenten Reformdiskussion. Experten sind sich einig,
dass der demographische Wandel mit der zunehmenden Alte-
rung der Bevölkerung und die Globalisierung mit dem damit
einhergehenden weltweiten Standortwettbewerb Reformen der
sozialen Sicherungs- und Steuersysteme unabdingbar machen
(Heinemann, 2007). Häufig aber sind Reformansätze, die unter
ExpertInnen große Zustimmung finden, in der Öffentlichkeit
wenig populär. Wichtige Reformen der letzten Jahre konnten
mitunter nur gegen erheblichenWiderstand in der Bevölkerung
durchgesetzt werden.
Auch wenn viele Reformvorschläge auf den ersten Blick be-
stechend wirken mögen, so scheint es doch, dass sie im Laufe
der öffentlichen Diskussion bis zur konkreten Umsetzung zuneh-
mend an Attraktivität verlieren. Oft ist nach langwierigen, ermü-
denden Diskussionen am Ende nichts mehr von der anfänglichen
Zuversicht übrig, eine zukunftsträchtige Lösung für ein wich-
tiges gesellschaftliches Problem gefunden zu haben. Misstrau-
en und Angst, aber auch Widerstand von verschiedenen Seiten
führen dazu, dass viele zentrale Reformvorhaben immer wieder
aufgeschoben oder nur zögerlich bzw. abgeschwächt umgesetzt
werden. Im vorliegenden Beitrag argumentieren wir, dass ein
hoher Grad an Frustration im Kontext politischer Reformen da-
raus resultiert, dass v.a. während der Diskussion zur Umsetzung
der Reformvorhaben häufig eine Konzentration auf die problema-
tischen Aspekte und Schwachstellen erfolgt. So wichtig die Analy-
se problematischer Aspekte zu Beginn einer Diskussion rund um
eine Veränderungsmaßnahme ist, so dysfunktional ist es, wenn
die Konzentration auf Schwächen und Nachteile der Reform die
Umsetzungsphase dominiert. Dies führt zu Lähmung, Hilflosig-
keit und Hoffnungslosigkeit und damit zu einem Zustand, der in
der Psychologie Vermeidungsmotivation (Avoidance Motivation,
Elliot, 2008) genannt wird. Vermeidungsmotivation ist die Moti-
Annäherung oder Vermeidung?
Eine motivationale Sicht auf Reformprozesse
Von
Prof. Dr. Eva Jonas
und
Christina Steindl
(Universität Salzburg)
vation, potenziellen Strafreizen zu entgehen. Im Kontext einer
Steuerreform führt dies z.B. dazu, dass Personen verstärkt darauf
achten, wie sie finanziellen Verlusten durch die Reform entgehen
können. Um für ein Vorhaben bzw. für Veränderungen Unterstüt-
zung zu bekommen, ist hingegen eine Annäherungsmotivation
(Approach Motivation, Elliot, 2008) notwendig. Annäherungsmo-
tivation bezeichnet die Motivation, potenzielle Belohnungen zu
erreichen. Sie stellt sich dann ein, wenn Personen positive Zielzu-
stände mit einer Veränderung verbinden, wenn sie z.B. verstärkt
auf die potenziellen Vorteile einer Steuerreform achten.
Die Salienz positiver Zielzustände kann also eine wichtige
Funktion für die Aktivierung von Annäherungsmotivation ha-
ben. Die zentrale Funktion positiver Zielzustände stellt auch das
„positive Management“ heraus (Frey/Osswald/Peus/Fischer,
2011; Ringlstetter/Kaiser/Müller-Seitz, 2006), welches davon
lebt, Vision und Sinn zu vermitteln und dadurch Vertrauen zu
schaffen. Dies ist nicht nur bei der Führung von Unternehmen
zentral (Bass, 1999), sondern auch bei der Umsetzung von Re-
formen im politischen Kontext. Durch die verstärkte Betonung
des Positiven sollen Schwächen und Probleme jedoch nicht ver-
drängt oder geleugnet werden. Durch Herausstellen von Stär-
ken und Möglichkeiten werden aber Ressourcen aktiviert, die
bei der Überwindung oder Neutralisierung von Schwächen und
Problemen helfen können (Seligman/Csikszentmihalyi, 2000).
Dies ist v.a. in der Umsetzungsphase von Veränderungsmaß-
nahmen entscheidend. Stehen in der Umsetzungsphase jedoch
mögliche Schwächen und Probleme einer Reform im Vorder-
grund, kann dies zu Lähmung, Frustration und Resignation der
Beteiligten führen oder gar zu dysfunktionalemWiderstand. Die
Probleme scheinen dann unüberwindbar und ein Scheitern des
Reformprozesses vorprogrammiert.
Konstruktive vs. destruktive Reaktionen auf Reformvorschläge
Positive Aspekte einer Reform stellen positive Zielzustände dar,
die aufgrund ihres Belohnungscharakters eine Annäherungsmo-
tivation auslösen sollten. Negative Aspekte haben demgegenüber
den Charakter von Strafreizen, die Personen vermeiden möch-
ten. Die Annäherung an angestrebte Ziele kann allerdings in
konstruktiver oder destruktiver Weise erfolgen (Harmon-Jones/
Harmon-Jones/Price, 2013). Bezogen auf den Reformkontext wä-
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