wirtschaft + weiterbildung
10_2016
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R
Gunter Dueck.
Er war
bis 1987 Professor für
Mathematik an der Uni-
versität Bielefeld und
dann bis zu seiner Pen-
sionierung im Jahr 2011
Chief Technology Officer
bei IBM Deutschland.
Wie haben denn Querdenker wie Sie in
Zeiten der Digitalisierung und reinen Ver-
standsorientierung noch eine Chance?
Dueck:
Querdenker bringen wertvolle
Impulse. Aber das hilft wenig. Man muss
den Verstand irgendwie überzeugen. Das
ist das Problem. Ideen zu finden, ist nicht
schwer. Aber die meisten Innovationen
werden vom Verstand erst einmal be-
lacht. Ich habe neulich in einer Rede er-
wähnt, dass es doch gut wäre, dass man
die Hausklingel mit meinem Smartphone
verbindet. Wenn es daheim klingelt, rede
ich einfach mit dem Besuch an der Klin-
gel per Skype und Bildschirm. Jetzt die
Pointe: Das gibt es jetzt bei Google Net
zu kaufen! Mit Bewegungsmelder! Ich
kann lauter Kameras in meinem Haus
verteilen. Und wenn sich zum Beispiel
während meines Urlaubs was bewegt,
dann zeigt mir das mein Smartphone. Das
könnte jetzt Bosch oder Siemens auch ge-
macht haben. Warum überlassen wir das
alles immer wieder und wieder Google?
Ich verstehe es nicht. Oder eigentlich
doch. Das ist kein großes Business, wer-
den sie in den Konzernen gesagt haben.
Inwiefern wandeln sich Organisationen
im Zuge der digitalen Transformation?
Dueck:
In den 60er-Jahren bildeten sich
die klassischen sehr hierarchischen Kon-
zerne. Man gliederte nach der damaligen
Managementlehre alles schön in Bereiche
und Abteilungen. Ein Organisationsdia-
gramm sah aus wie ein Stammbaum. Oft
organisierte man regional, dann waren
Konzern Süd und Nord Teilfirmen, die
separat Rechnungen stellten und eigene
Personalabteilungen und Einkäufer hat-
ten. Warum kann man nicht eine einzige
Personalabteilung für alle Firmenteile
haben? Das spart doch Geld! Warum
nicht einen Zentraleinkauf? Das Matrix-
management war entstanden.
Heute zeigt sich aber, dass das Matrix-
management sehr geeignet ist, stabiles
Langzeitbusiness zu administrieren. Es
funktioniert aber bei Innovationen nicht
richtig. Intuition und Instinkt fallen der
Komplexität zum Opfer. Wir müssten
jetzt also nachdenken, wie die Arbeit und
deren Organisation auf neue Fundamente
gestellt werden kann. Dieses Nachdenken
ist Metawork. Ich würde tippen, die neue
Arbeit muss mehr in Netzwerken als in
Abteilungen organisiert werden. Jeder
steht ja per Mail in Verbindung mit jedem
anderen ...
Wie würden Sie „Führung“ in modernen
Unternehmen organisieren?
Experten sind heute oft viel höher quali-
fiziert als ihre Chefs. Was soll die Hierar-
chie dann noch? Chefs kontrollieren die
Arbeit – aber wenn sie gar nichts davon
verstehen?! Dann kontrollieren sie nur
noch die Zahlen. All das muss in den
höherqualifizierten Unternehmen anders
geregelt werden. Vielleicht sollte man ein
Netzwerk von Fachleuten neben dem Ta-
gesgeschäftsmanagement einziehen. Ich
denke gerade über einen Namen dafür
nach. „Backbrain“ gefällt mir. Das klingt
wie Backbone, also Rückgrat. So heißt
auch das System der Hauptleitungen in
Netzen.
Wie sähe das in der Praxis aus?
Dueck:
Das wäre ein Netz von Experten
eines Unternehmens. Diese Experten ar-
beiten vollkommen verteilt über alle Be-
Fotos: Pichler