Wirtschaft und Weiterbildung 10/2016 - page 54

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wirtschaft + weiterbildung
10_2016
reiche, Werke, Fachabteilungen, Länder
und Themen hinweg. Sie sind „getrennt“,
sie wissen oft gar nicht voneinander.
Wenn ein Lokalexperte ein Problem lösen
muss: An wen kann er sich dann wen-
den? Wer hat Ahnung? Diese Art von
Problem hat jeder von uns fast jeden Tag.
Wenn man nun die Fachleute insgesamt
über alle Hierarchien und Bereiche, Län-
der und Kulturen zu einem guten Netz
zusammenbringt, wäre viel erreicht. Ich
kenne Probleme, an denen Leute Monate
brüteten, die sich dann mit einem Anruf
in Australien in 20 Minuten erledigen lie-
ßen. Man braucht ein Netz der Expertise,
eine Art Gehirn in der Organisation. Dazu
müsste man wohl zuerst die Besten im
Unternehmen ein solches Backbrain bil-
den lassen. Diese Leute könnten dann
Probleme lösen helfen, Kontakte herstel-
len und gordische Knoten durchschlagen,
wenn wieder einmal Regeln vernünftige
Entscheidungen blockieren.
Können Sie über diesbezügliche Erfah-
rungen aus Ihrer Zeit bei IBM berichten?
Dueck:
Wir haben bei IBM zuerst die
„Top 100“ zusammengebracht und sie
zum „technologischen Gewissen“ der
Firma ernannt. Ich hatte das Ziel, die
Top-Experten immer wieder zusammen-
zubringen, damit sie sich auch persönlich
kennenlernen. Jeder sollte wissen, wer
was kann, wen man weswegen fragen
und anrufen kann. Wer kann einem Kun-
den weiterhelfen? Wer hilft einem Ver-
triebschef im Verkaufsprozess bei tech-
nisch schwierigen Fragen? Wer ist wann
verantwortlich, das Management in wel-
chen Fragen zu beraten? Schafft es das
Team, positiv auf Strategie und Innovati-
onsfähigkeit des Ganzen Einfluss zu neh-
men? Könnte nicht jeweils ein Techie als
Pate einem Großkunden zur Verfügung
stehen? Könnte nicht jeder Top-Experte
Mentor sein für zehn bis zwanzig her-
anwachsende Top-Talente? So wird dann
aus dem bloßen Backbrain ein immer
größeres Netzwerk – über Mentoring.
Das ganze Nachdenken über die Zukunft
der Arbeit nennen Sie „Metawork“. Wird
Metawork der Praxis weiterhelfen?
Dueck:
Die meisten Menschen sehen
immer nur den Raum um sich herum
und vergessen die übergeordnete Ebene,
wozu das alles gut ist und wie ihre Arbeit
mit anderen zusammenhängt. Das fängt
ja schon in der Schule an. Wir werden
in der Schule zum Teil so erzogen, dass
wir uns immer nur fragen, was sind die
Hausaufgaben. Kein Gedanken an das
übergeordnete Ziel. Und so ist es auch
in den Unternehmen: Die Verkäufer ver-
kaufen professionell, vergessen aber die
langfristige Bindung zum Kunden. An-
gestellte lehnen es ab, zehn Minuten zu
helfen, obwohl der Kollege dadurch einen
Tag Arbeit spart. Sie vergessen den Sinn
des Ganzen beim Tun im Einzelnen. Ich
bitte die Mitarbeiter immer, sich genau zu
informieren und zu interessieren, woran
der Chef, der Bereichsleiter und der Vor-
stand arbeiten – und was die Kunden
wollen. Besonders bei Innovationen ist es
sehr hilfreich, sich im System auszuken-
nen. Die meisten neuen Ideen beinhalten
nicht, was ein Kundenversteher gleich
gewusst hätte. Der Erfinder sollte aufpas-
sen, dass sein Horizont nicht zu eng ist.
Wo könnte man da ansetzen?
Dueck:
Wenn eine Firma ein tolles Back-
brain hat mit einem entsprechenden
Mentoringsystem, wird ja jeder Mitarbei-
ter gleich ab der Einstellung sofort in das
ganze Netzwerk mit hineingenommen.
Er hat seine lokale Arbeit, ist aber auch
Teil des Netzwerks. Dort findet er seine
Vorbilder oder die Meister, denen er nach-
eifert. Ohne ein Backbrain arbeitet sich
ein Mitarbeiter normal ein („Learning by
doing“) und hat keine Ahnung von ver-
schiedenen Exzellenz-Leveln in dieser
Sache. Wenn man Fußball erlernt, schaut
man doch erst einmal Länderspiele an
oder die Champions League. Man muss
doch verstehen, wie es im Prinzip geht.
In den Unternehmen kommt man in ir-
gendeine Zufallsabteilung und stagniert
auf dem Niveau, das man vorfindet oder
vorgesetzt bekommt. In einem Netzwerk
der Expertise kann man seinen Job ma-
chen, aber gleichzeitig zur Meisterschaft
reifen.
Vorbilder und Mentoren sind elementar.
Was aber, wenn Führungskräfte nicht zu
diesem Exzellenznetzwerk gehören und
nicht als Vorbilder „gewählt“ werden?
Dueck:
Es ist der Sinn des Backbrains
und der Mentoringsysteme, dass die Mit-
arbeiter an viele Vorbilder „hautnah“ he-
rangeführt werden. Wenn ein Chef nun
Neidgefühle bekommt, dass er nicht der
Größte ist, dann bitte weg mit ihm! Die
Führungskräfte haben Macht und meist
auch ein höheres Gehalt – und jetzt sollen
sie also auch noch alle Ehre bekommen
und am besten von allen geliebt werden?
Auch die Führungskräfte müssen sich in
einem neuen System verändern. Derzeit
wünscht man sich – offiziell von HR ver-
kündet – coachende Vorbilder. Faktisch
sind Manager aber mehrheitlich Takt-
geber, so etwas wie der kleine Steuer-
mann im Achterboot, der per Megaphon
„schneller, schneller“ ruft.
Auf Facebook schreiben Sie: „Künstliche
Intelligenz und Digitalisierung sind auf
dem Vormarsch. In den Personalabteilun-
gen lernt man bestimmt bald, wie man
Computer anstellt.“ Ein Scherz?
Dueck:
Das Wort „anstellen“ wollte ich in
zwei Bedeutungen gelesen wissen – also
den Knopf anmachen und Leute einstel-
len. Das ist einfach nur ein Kalauer. Da
gab es noch einen zweiten Spruch: „Com-
puter sind bald schlau wie Mitarbeiter.
Jetzt lernen Manager, wie man Computer
anmacht.“ Das wird von vielen grund-
sätzlich nicht verstanden, weil man bei
Facebook meist nur überfliegt. Aber mir
macht es Spaß. Ich freue mich kindlich-
diebisch über irgendwelche Fragen nach
Sicherheitserklärungen wie „Gunter, das
ist zweideutig, kannst du mal erklären,
was Du gemeint hast?“ Dabei ist das
immer nur so assoziativ.
Haben Sie eine Idee, wie der Recruiting-
prozess verbessert werden könnte?
Dueck:
Großunternehmen sollten alle
Uniabsolventen, die sich als Bewerber
R
„Den gesunden Menschenverstand kann man noch
nicht gut genug programmieren. Er braucht zu viele
Spielräume für weise Entscheidungen.“
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