Wirtschaft und Weiterbildung 10/2016 - page 57

wirtschaft + weiterbildung
10_2016
57
Judith Williams.
Die Opern-
sängerin mit großen Bühnen-
erfolgen musste ihre Karriere
krankheitsbedingt aufgeben.
„Ich stand vor dem Nichts, aber
aufgeben war keine Option“,
erinnert sich Williams.
sen. Jeder entscheidet ja selber, wie lange
er am Boden liegt. Ich habe viel mit jun­
gen Leuten zu tun, die lernen oft schon
in der Schule, nach neuen Lösungen zu
suchen, wenn sie sich verschätzt haben.
Wie lässt sich diese Motivation auf die
Mitarbeiter übertragen?
Williams:
Man sollte nicht immer mit
dem anfangen, was nicht geklappt hat.
Ich mache zuerst eine Bestandsaufnahme
dessen, was wir hinbekommen haben. Es
gibt ja nicht die eierlegende Wollmilch­
sau. Wir sind alle Menschen mit Stärken
und Schwächen. Man sollte die Stär­
ken der Mitarbeiter erkennen. Ich frage
meine Mitarbeiter immer: „Was brauchst
du dafür, dass du deinen Job so perfekt
machen kannst, um abends total glück­
lich nach Hause zu fahren?“ Viele sind
oft erst einmal völlig perplex, aber kom­
men dann ins Denken. Sie fühlen sich
wertgeschätzt, weil ich überhaupt diese
Frage stelle. Es geht darum, Mitarbeitern
zu helfen, ihre Ziele zu erreichen und
Erfolgserlebnisse zu haben. Dafür muss
man immer wieder den Kontakt zu den
Mitarbeitern suchen.
Was sagen denn Ihre Mitarbeiter, was sie
für einen glücklichen Arbeitstag
bräuchten?
Williams:
Die sagen nie so Dinge wie:
„Ich brauche eine längere Mittagspause“.
Da geht es hauptsächlich um die Zu­
sammenarbeit und Entscheidungsfrei­
heit. Dann stelle ich oft die Gegenfrage:
„Kannst du das, was du dir wünschst,
auch von deiner Seite aus gewährleisten?
Wenn wir das alle im Team so machen,
wie großartig wäre das denn!“ Da kom­
men die meisten in die Selbstreflexion
und merken, sie könnten auch noch mehr
tun. Dann lasse ich sie größtenteils auch
schon laufen, weil sie kapiert haben,
worum es geht. Denn oft erlebe ich die
Haltung: Wenn die anderen nur machen
würden, dann könnte ich viel besser ar­
beiten. Deshalb versuche ich den Mitar­
beitern zu helfen, diese Schleife auf sich
selbst zurückzuführen.
Sowohl Start-ups als auch etablierte
Unternehmen brauchen gute Ideen für
ihre Produktinnovationen. Wie kann man
die Kreativität der Mitarbeiter
unterstützen?
Williams:
Kreativität braucht eine wert­
freie Atmosphäre, die ohne Vorurteile
auskommt, sodass Ideen in einem Brain­
storming nicht gleich niedergedroschen
werden. Mitarbeiter müssen den Frei­
raum und das Vertrauen haben, dass sie
erstmal rumspinnen können. Wir ma­
chen das so, dass die Leute ihren Ideen
unabhängig von der Machbarkeit erstmal
freien Lauf lassen und wir alles aufschrei­
ben.
Dann gehen wir das gemeinsam in ver­
schiedenen Runden durch und überlegen,
was ist überhaupt umsetzbar. Da über­
lasse ich den Mitarbeitern die Entschei­
dung. Klar, glaubt man als CEO immer,
man weiß alles besser. Ich bin quasi die
Mama des Unternehmens. Als Mutter
möchte ich aber auch, dass meine Kin­
der allein Fahrrad fahren und ich sie nicht
immer auf dem Gepäckträger mitnehmen
muss. Sie sollen irgendwann selbst fahren
und mich mitnehmen.
Was können wir sonst noch von Start-ups
lernen?
Williams:
Start-ups haben eine gewisse
Naivität, die viele etablierte Unternehmen
verloren haben. Je mehr Erfahrung wir
haben, desto mehr wissen wir, was alles
passieren könnte. Aber meistens passiert
das ja gar nicht – das vergessen wir oft.
Deshalb ist dieser leidenschaftliche An­
packwille etwas, was wir auf Unterneh­
men übertragen sollten.
Welche Ziele haben Sie jetzt noch nach
Ihrem Erfolg im TV?
Williams:
Bei mir liegen immer so viele
Dinge auf dem Teller. Ich muss mir gut
überlegen, was ich anpacken möchte,
weil ich so viele verschiedene Angebote
habe. Es bringt ja nichts, überall mitzumi­
schen. Man sollte ausgewählte Projekte
richtig nach vorne bringen. Wir weiten
uns mit unserer Kosmetikmarke gerade
international aus. Die ganzen Start-ups
von der Höhle der Löwen kommen auch
noch dazu, wobei ich bei dem ein oder
anderen inzwischen auch schon ausstei­
gen kann.
Dieses Netzwerk ist mir sehr wichtig. Ich
liebe es, Dinge anzunehmen, bei denen
ich mich selbst coachen muss und wach­
sen kann. Zum Beispiel habe ich vor
ein paar Jahren angefangen, Keynote-
Vorträge zu halten. Das war eine Her­
ausforderung, die ich annehmen und
ausprobieren wollte. Dabei habe ich he­
rausgefunden, dass mir das wahnsinnig
viel Spaß macht. Aber es gilt immer: Der
erste Schritt muss irgendwann gemacht
werden.
Interview: Stefanie Hornung
Foto: Judith Williams GmbH
1...,47,48,49,50,51,52,53,54,55,56 58,59,60,61,62,63,64,65,66,67,...68
Powered by FlippingBook