Wirtschaft und Weiterbildung 10/2016 - page 55

wirtschaft + weiterbildung
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melden, sorgfältig anschauen und alle
richtig Guten sofort einstellen und sie
erst danach auf die offenen Stellen im
Unternehmen verteilen – auch wenn
Bewerber dann zwei oder drei Monats-
gehälter für Daheim-Warten bekommen,
bis sie zugeteilt werden. Derzeit suchen
sie für jede Stelle einzeln einen Bewerber!
Ich könnte vorrechnen, dass im Schnitt
alle eine Klasse schlechter sind, die man
so einsammelt. Ich habe auch Allergien
gegen Personaler, die bei Gehaltserhö-
hungen an versuchten Diebstahl denken
statt an Leistungsgerechtigkeit. Da wird
nicht nur schwacher Größenwahn ruch-
bar, sondern auch die falsche Grundein-
stellung, sie seien Hüter der Personalkos-
ten. Sie sind die Verantwortlichen für eine
wunderbare Mitarbeiterschaft! Ich habe
schon oft gehört, dass Leute mit abgebro-
chenem Studium im Erstprojekt genauso
gut seien wie Doktoren, aber sie können
dann später doch keine komplexen Pro-
jekte stemmen. Die Kosten eines Mitar-
beiters sind das eine, seine Exzellenz –
das ist mehr als Leistungsfähigkeit – und
seine Entwicklungsfähigkeit das andere.
Wie wäre es, wenn Fachleute und Techies
die neuen Leute selbst aussuchen?
Dueck:
Ja, warum nicht. Vielleicht sollte
man auch Leute aus dem Backbrain da-
beihaben? Oder diese Leute aus dem
Backbrain erst einmal in alle Welt schi-
cken und deren Netz bis hin zum Silicon
Valley ausdehnen? Was tut denn ein Per-
sonaler, wenn er Experten für selbstfah-
rende Autos einstellen soll? Die kennt
doch keiner in einer Motorenfabrik. Da
werden nun aber Batteriefachleute ge-
braucht. Motorentechnik ist mehr wie
Physik, Batterien wie Chemie. Wie be-
kommt man also solche Leute? Müsste
nicht erst einmal die Personalabteilung
verstehen, worum es fachlich geht, zum
Beispiel bei Tesla, oder welche Leute
überhaupt gebraucht werden? Bei wirk-
lich neuen Innovationen müssen doch
alle einmal raus aus dem Unternehmen!
Aber nein, alle machen weiter wie bisher
und die betriebliche Weiterbildung bringt
den Mitarbeitern natürlich nur das Innen-
wissen bei. Eine Backbrain-Organisation,
die sich auch nach außen ausdehnen
darf, würde sehr helfen.
Und die Backbrain-Organisation soll dann
auch wieder Leute ins Unternehmen
holen?
Dueck:
Ja, klar. Und auch eine gute Dosis
neuer Kultur ins Unternehmen herein-
bringen. Man predigt immer, dass sich
eine innovative Kultur ausbreiten soll,
aber Arbeitgeber stellen immer wieder
Klone von sich selbst ein. Die Kultur
bleibt ewig gleich, wenn nicht ganz Pas-
sende sofort als Querdenker, Künstler
und Verschrullte gesehen werden. Ich
selbst bin zum Beispiel ziemlich intro-
vertiert und versuche mal eine Erklä-
rung: In der Mathefakultät einer Uni geht
man tief denkend die Gänge auf und ab.
Man braucht zum wirklichen Denken
so zehn Minuten, um sich sehr stark zu
konzentrieren. Dann kommen die ers-
ten wertvollen Gedanken, man probiert
gedanklich dies und jenes, kommt wei-
ter – und dann: „Hallo Gunter, geht es
Dir gut?“ Zack, vorbei. Ich gequält: „Ja,
gut.“ Der andere geht weiter und findet
mich wohl sehr frostig. Bin ich auch. Es
kostet mich wieder ein paar Minuten zum
Konzentrieren. Überhaupt macht es mich
wütend, dass ich nicht einmal auf dem
Professorengang der Uni ruhig nachden-
ken kann, ohne dass irgendein Hergelau-
fener ein verbindliches Lächeln von mir
verlangt und mir wieder zehn Minuten
stiehlt. So kann man nicht arbeiten. Ich
muss wohl im Wald spazieren gehen
oder mich unter dem Vorwand, duschen
zu müssen, länger im Bad einschließen.
Grüßen von Leuten, die gerade nachden-
ken, ist absolut frech! Daher schaut man
unter Techies, ob der andere denkt oder
ansprechbar ist, dann grüßt man ihn,
aber sehr sachte, man soll nicht so stören.
Inwiefern sehen Sie da die Personaler in
der Bringschuld?
Dueck:
Personaler bauen gern alles nach
ihrem Bilde um. Sie denken, dass Extro-
vertiertheit zu einem guten Menschen
gehört. Also wird telefoniert, gegrüßt,
geteamt und alles auf Großflächen ver-
teilt. „Wir wollen immer alle zusammen
sein, dann kann ich immer sofort einen
Schreibtisch weiter um Hilfe bitten, wenn
ich was nicht weiß.“ Aber Introvertierte
sind bekannt dafür, dass es gegen ihre
Ehre geht, andere zu fragen. Extrover-
tierte finden Großraumbüros großartig
„kommunikativ“, Introvertierte neigen
darin zu Selbstmordgedanken. Es gibt
natürlich noch andere Unterschiede
zwischen Techies, die übrigens meist In-
tuitive sind, und Personalern, die meist
analytischer Verstand antreibt. Ich will
nur sagen: Das Arbeitsumfeld in Unter-
nehmen ist nach den Präferenzen der Per-
sonaler und Manager gestylt – oder nach
Kostenfragen. Die Mitarbeiter leiden viel
und leisten wenig – es kümmert keinen.
Die Verzweiflung, dass mir tatsächlich
auch „Arbeitspsychologen“ ein Umfeld
zumuten, in dem ich körperlich leide,
hört man vielleicht etwas aus meinen
Vorträgen heraus. Hilfe! Die Personalent-
wickler lassen uns alle Psychotests ma-
chen und stellen fest, wie wir sind. Und
dann arbeiten wir in unsinnigen Büros!
Die Manager und Personaler verlangen,
wir müssten uns eben extrovertierter
geben, weil das besser sei. „Geht das?“,
frage ich. „Jeder kann sich ändern!“, ant-
worten sie. „Und warum seid Ihr dann
nicht alle coachende Vorbilder?“
Interview: Stefanie Hornung
Querdenker.
Seinen Ruf als exzellenter Digitalisierungs-Vordenker erwarb er sich
auf vielen Kongressen als lebendiger Keynote Speaker mit kauzigem Vortragsstil.
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