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06/16 personalmagazin
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Das Interview führte
Michael Miller.
oder ob und in welchem Umfang Ru-
hephasen zur Verfügung stehen. Auch
die Art der Arbeit oder die zu tragende
Verantwortung kann, wie beispielswei-
se bei Ärzten, die nachts operieren müs-
sen, ein Faktor sein – ebenso wie die
konkrete Stressbelastung oder auch die
Häufigkeit, in der Mitarbeiter zur Nacht-
arbeit herangezogen werden.
personalmagazin:
Zählt Bereitschaftsdienst
auch als weniger belastende Arbeit?
Bitsch:
In Bereichen, in denen häufig Be-
reitschaftsdienst abzuleisten ist, kann
ein Zuschlag von weniger als 25 Prozent
genügen. Nehmen wir das Beispiel eines
IT-Unternehmens, das Rechenzentren
betreut. Im Nachtdienst werden die Mit-
arbeiter nur zur Arbeitsleistung heran-
gezogen, wenn ein Computersystem aus-
fällt. Faktisch können sie also häufig im
Bereitschaftszimmer schlafen, sodass
in diesem Fall weniger als 25 Prozent
Nachtzuschlag genügen können. Ob der
Arbeitgeber die Grenze beispielsweise
bei zehn oder 20 Prozent zieht, hängt
dann wieder vom Einzelfall und von den
genannten Indizien ab. Da gibt es aller-
hand Überlegungen, die man anstellen
kann. Für einige Branchen gibt es aller-
dings bereits eine gefestigte Rechtspre-
chung der Landesarbeitsgerichte, an der
man sich orientieren kann.
personalmagazin:
Welche Branchen sind
dies beispielsweise?
Bitsch:
Neben dem aktuellen BAG-Urteil
im Speditionsbereich hielt ein Landesar-
beitsgericht etwa imWachgewerbe einen
Nachtzuschlag von unter 25 Prozent für
zulässig. Im Bereich der Rettungsdiens-
te hat zuletzt das LAG Hamm sogar ei-
nen Nachtzuschlag von zehn Prozent für
ausreichend angesehen, weil die Mitar-
beiter dort häufig Arbeitsbereitschaft
haben. Denn trotz der Nachtzeit bestün-
den in diesen Fällen Ruhephasen und
die Mitarbeiter seien nicht einer ständi-
gen körperlichen Belastung ausgesetzt.
Bereits 2004 hat dagegen das LAG Köln
bei Zeitungszustellern für Dauernacht-
arbeit – also genau den Fall, für den das
BAG nun sogar 30 Prozent Zuschlag zu-
gestanden hat – entschieden, dass 12,4
Prozent genügen. Das zeigt auch, dass
man eventuell den konkreten Einzelfall
anhand der jetzigen Maßstäbe des BAG
nochmals überprüfen muss.
personalmagazin:
Angenommen, die Vergü-
tung ist höher als branchenüblich. Sind
Nachtzuschläge dann anzurechnen?
Bitsch:
Laut BAG können Nachtzuschläge
durchaus anzurechnen sein. Letztlich
wird dies der Tatsache gerecht, dass
beim Gehalt häufig Gesamtpakete ver-
handelt werden. Allerdings genügt der
alleinige Hinweis nicht, dass der Stun-
denlohn über dem Branchenschnitt liegt.
Vielmehr müssen auch konkrete Hinwei-
se vorliegen, dass Nachtzuschläge im Ge-
halt bereits enthalten sein sollen.
personalmagazin:
Gelten die Vorgaben des
BAG auch für ein Unternehmen, in dem
ein Tarifvertrag oder eine Betriebsverein-
barung mit entsprechenden Regeln zum
Nachtzuschlag anwendbar ist?
Bitsch:
Grundsätzlich ist eine Betriebs-
vereinbarung zu dieser Thematik mög-
lich, sie schließt jedoch die gesetzlichen
Vorgaben ebenso wie jene des BAG nicht
aus. Konkret bedeutet dies: Es ist zu
prüfen, ob im Arbeitsvertrag oder über
eine Betriebsvereinbarung Regelun-
gen zum Ausgleich existieren. Sind die
Nachtzuschläge nicht hoch genug, muss
der Arbeitgeber die Differenz bezahlen.
Gilt dagegen eine tarifvertragliche Re-
gelung, so ist nur diese anzuwenden.
In Unternehmen, in denen keine Tarif-
verträge anwendbar sind, könnte jedoch
ein Blick in das jeweilige Tarifwerk
sinnvoll sein. Bei einer entsprechenden
tarifvertraglichen Regelung könnte sich
eine Anwendung durch einzelvertragli-
che Inbezugnahme lohnen. Dann finden
nämlich die gesetzlichen Regelungen
sowie die nun vom BAG gemachten Vor-
gaben keine Anwendung. Das ist ein Ge-
staltungsspielraum für nicht tarifgebun-
dene Arbeitgeber, der eventuell sogar zu
geringeren Zuschlägen führen kann.
personalmagazin:
Zu Beginn sprachen
Sie von möglichen Schwierigkeiten, ein
bestehendes Vergütungssystem an die
Vorgaben des BAG anzupassen. Was
meinten Sie damit?
Bitsch:
Für Unternehmen, die ein Vergü-
tungssystem neu einführen, hat das BAG
klare Regeln vorgegeben. Allerdings
dürften bereits in vielen Betrieben teils
komplexe Vergütungssysteme bestehen,
zum Beispiel mit Boni, Gehaltsband-
breiten und Zuschlägen. Hier ist jedem
Arbeitgeber zu raten, sein Vergütungs-
system und seine Dienstplangestaltung
unter die Lupe zu nehmen. Es gilt zu
überprüfen, ob das Vergütungssystem
die aktuelle Rechtsprechung des BAG
abbildet. Sollte dies nicht der Fall sein
und ist zum Beispiel eine Insellösung
über Tarifverträge nicht möglich, müs-
sen Unternehmen nachbessern. Das ist
bei bestehenden Systemen häufig – bei-
spielsweise aufgrund der damit verbun-
denen Kosten, der Dienstplangestaltung
oder auch eines Mitbestimmungsrechts
des Betriebsrats – nicht so leicht. Ohne
Anpassungen kann es jedoch teuer
werden, wenn eine Mehrzahl von Ar-
beitnehmern, wie im aktuellen BAG-
Fall geschehen, das Unternehmen in
Anspruch nehmen und die Auszahlung
eines höheren Nachtzuschlags verlan-
gen. Ganz zu schweigen von der daraus
resultierenden Unzufriedenheit der Mit-
arbeiter und der damit einhergehenden
Belastung für das Arbeitsverhältnis.
Das BAG hat erstmals
festgestellt, dass 25 Pro-
zent Nachtzuschlag die
Regel ist. Jede darunter
oder darüber liegende
Ausnahme muss geson-
dert begründet werden.