PERSONALquarterly 3/2019 - page 8

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 03/19
potenziale und -grenzen von KI in der Personalarbeit geschaf-
fen werden. Unterschiedliche HR-Stakeholdergruppen, wie
PersonalleiterInnen, HR-AnalystInnen, MitarbeiterInnen oder
ArbeitnehmervertreterInnen, benötigen solche KI-Kenntnisse
sicherlich in unterschiedlicher Breite und Tiefe – ohne sich
grundsätzlich mit den methodischen Grundlagen zu beschäfti-
gen, wird es jedoch m. E. nicht gehen.
PERSONALquarterly:
Wie gut sind die Personalabteilungen deut-
scher Unternehmen auf die Nutzung von KI vorbereitet, die
selbst für Experten wenig transparent sind?
Stefan Strohmeier:
Ich fürchte, dass die Personalabteilungen für
eine kompetente Auswahl, Implementierung und Anwendung
von KI in der Personalarbeit eher schlecht vorbereitet sind.
Zumindest sehen typische personalwirtschaftliche Curricula
derzeit keine vertiefte Beschäftigung mit KI oder Data Science
vor. „Doppelqualifikationen“ in KI und HR dürften eher zufäl-
lig, selten und derzeit sehr gesucht sein.
PERSONALquarterly:
Und für wie groß halten Sie die Gefahr, dass
solche Systeme ohne das entsprechende Wissen und die entspre-
chende Kontrolle genutzt werden?
Stefan Strohmeier:
Wenn man den unbequemen Weg, sich selbst
mit KI zu beschäftigen, nicht gehen kann oder will, besteht
tatsächlich die Gefahr einer „blinden“ Anwendung von KI-Pro-
dukten im Personalbereich. Verantwortungsvolle Anbieter von
KI-Produkten können dem allerdings systematisch entgegen-
wirken, indem sie nicht nur das Produkt verkaufen, sondern an
Trainingsmaßnahmen zur kompetenten Anwendung des ent-
sprechenden Produkts koppeln. Nochmals: Aus meiner Sicht
impliziert das auch die Beschäftigung mit den methodisch-algo-
rithmischen Grundlagen der entsprechenden KI-Anwendung.
PERSONALquarterly:
Wie müsste denn dann ein Team aussehen,
dass KI in HR implementieren möchte?
Stefan Strohmeier:
Als Kernteam sind m. E. HR-Prozess­
eignerInnen, falls davon abweichend zusätzlich auch
HR-DateneignerInnen, MethodenspezialistInnen wie etwa HR-
Data-Scientists, der KI-Anbieter, die Arbeitnehmervertretung
und der/die Datenschutzbeauftragte sinnvoll. Je nach Ausge-
staltung des KI-Projekts werden weitere Positionen relevant.
PERSONALquarterly:
Sie sprachen davon, dass in HR-Abteilungen
häufig die entsprechende Fachkenntnis zum Thema KI fehlt.
Was sind denn häufige Mythen und Fehleinschätzungen zum
Einsatz von KI in Unternehmen, gerade bei Personen, die sich
nicht genug auf das Thema einlassen?
Stefan Strohmeier:
Eine auch im Personalbereich häufige und
gravierende Fehleinschätzung von KI besteht in der Unter-
stellung sogenannter starker KI bzw. in der Verwechslung von
schwacher und starker KI. Während sich die schwache KI mit
konkreten Anwendungsproblemen beschäftigt, geht es bei der
starken KI darum, eine allgemeine Intelligenz zu schaffen, die
dem Menschen gleicht (oder diesen womöglich übertrifft) und
die deswegen selbstständig und zielgerichtet handeln kann.
Gegenwärtige KI-Anwendungen im Personalbereich sind de-
zidiert schwache KI. Sie beschränken sich auf konkrete und
abgegrenzte Anwendungsprobleme, wie etwa die Prognose der
Eignung von Bewerbern. Die teils durchaus ernsthaft geführte
Diskussion um „HR Robotics“ unterstellt aber die Möglichkeit
einer starken HR-KI, die menschliche PersonalerInnen final
ersetzt. Eine starke HR-KI mag eine anregende Idee sein, sie
bleibt aber auf unabsehbare Zeit eine Utopie – oder Dystopie.
PERSONALquarterly:
Dies wirft neben den technologischen
Aspekten auch philosophische Fragen auf. Welche ethischen
Gesichtspunkte sind für Sie beim Einsatz von KI im Personalbe-
reich besonders relevant?
Stefan Strohmeier:
Ein erster relevanter Punkt wurde bereits an-
gesprochen: Es muss vermieden werden, dass Personal durch
KI diskriminiert wird.
Weiter ist die umfassende Aufklärung der „Datensubjekte“
ein zwingendes ethisches Gebot. Dies umfasst keineswegs nur
die Information über die Tatsache, dass KI verwendet wird, son-
dern bezieht sich auf die einbezogenen Daten, die verwendeten
Algorithmen und auch die damit erzielten Ergebnisse.
Diese beiden Punkte sind derzeit rechtlich weitgehend abge-
sichert. Beschäftigte können sich also auf die Einhaltung dieser
Punkte berufen und meines Erachtens auch verlassen.
Ein dritter Punkt bezieht sich auf die zunehmend unklare
Zuschreibung personalwirtschaftlicher Verantwortung. Ein
einfaches Beispiel: Wenn ein Bewerber auf der Basis eines
Algorithmus ungerechtfertigt nicht eingestellt wird und im
Rahmen einer Konkurrentenklage Recht bekommt, ist dann
nach wie vor ausschließlich der/die anwendende PersonalerIn
bzw. der Arbeitgeber verantwortlich oder kann auch der An-
bieter des KI-Produkts haftbar gemacht werden und falls ja, zu
welchem Anteil?
Einen weiteren ethischen Punkt finde ich besonders span-
nungsgeladen: Falls sich die vorhin angesprochene tendenzielle
Überlegenheit von Algorithmen auch für Personalentschei-
dungen belegen lassen sollte, ist die Personalprofession dann
nicht geradezu ethisch verpflichtet, Entscheidungen von Algo-
rithmen fällen oder zumindest überprüfen zu lassen, um Mit-
arbeiterInnen vor schlechten oder schlechteren menschlichen
Personalentscheidungen zu schützen?
Die letzten beiden Punkte zeigen, dass auch ethische As-
pekte von KI im Personalbereich derzeit keineswegs abschlie-
ßend diskutiert und geklärt sind.
PERSONALquarterly:
KI wird in Zukunft viele Aufgaben überneh-
men können, die vorher die Terminkalender von HR-Mitarbeite-
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