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EXPO REAL
2018
I
KOLUMNE
thischer Fluchtpunkt des Kalten Krieges, aus einer Zeit, als West-
Berlin eine korrupte Insel und Ost-Berlin eine Diktatur waren.
Es ist nicht so, dass das Land Berlin gar nicht versucht hätte,
diesen historischenOrt angemessen zu gestalten: Gleich nach der
Maueröffnung solltemit Unterstützung des amerikanischen Kos-
metik-Milliardärs Ronald Lauder ein American Business Center
entstehen. Auf den Brachen rechts und links der Friedrichstraße
waren fünf Bürogebäude mit insgesamt 160.000 Quadratmeter
Bruttogeschossfläche geplant. So richtig Business eben. Die kom-
pakte Blockrandbebauung, das städtebauliche Prinzip der histo-
rischen Friedrichstadt, wurde ohne Rücksicht auch für diesen
historischen Ort zum Dogma erhoben. Drei der Gebäude wur-
den auch so realisiert. Einfach mal volllaufen lassen. Welcome,
capitalism. Danach brach der Berliner Büromarkt zusammen.
Lauder stieg aus und der für den Gebäudekomplex gegründete
Immobilienfonds meldete 2005 Insolvenz an. So long, capitalism.
Damit waren die amerikanischen Business-Pläne Geschichte,
aber die enormen Bürgschaften des Berliner Senats blieben beste-
hen. Und die Grundstücke wurden zu einem Spekulationsobjekt,
wanderten von einem Investor zum anderen. Das Land Berlin
ließ es geschehen. Letztendlich landete das Gelände beim Insol-
venzverwalter, der es zur Zwischennutzung an Budenbetreiber
vermietet. Das ist verständlich, denn Stadtplanung ist nicht seine
Aufgabe. Auf Wiedersehen, Stadtplanung. Und so verkam der
Checkpoint Charlie zum ganzjährigen Klamaukmarkt. Tourists
K
ann es einen gerechten Staat geben, der alleMenschen glück-
lich leben lässt undwohl versorgt? Diese Frage stellteThomas
Morus bereits als Zeitgenosse von Erasmus von Rotterdam
undMartin Luther. DasWerk „Utopia“ ist der erste utopische Ro-
man, Vorbild für viele folgende. Er enthält den Reisebericht eines
Seefahrers, der ein ideales Staatswesen auf einer weit entfernten
Insel erlebt haben will. Thomas Morus diskutiert mit ihm: Soll
es Privateigentum geben? Ist soziale Gleichheit gut? Kann eine
Gesellschaft genügendGüter erwirtschaften, wenn niemand nach
Gewinn strebt? Gibt es das gute und gerechte Staatsoberhaupt?
Morus würde heute seine Fragen vielleicht so stellen:
Wer entscheidet Stadt? Wer entscheidet, was wo und wie ge-
baut wird? Und wie wird Baurecht geschaffen? In einem Rechts-
staat, einer pluralistischen Demokratie, in Berlin? Als mein ame-
rikanischer Freund Ed mich besuchte, wollte er auch den ehema-
ligen Grenzübergang Checkpoint Charlie sehen. Gerne hätte ich
einen Bogen um dieses ranzige Knäuel aus Bussen, Currywurst,
Trabbi-Safari und patrouillierenden Statisten in Phantasieuni-
formen gemacht. Mir ist das dortige kleinkapitalistische Treib-
gut jahrzehntelanger Agonie zum Symbol für Planlosigkeit und
Ideenarmut dieser selbsternannten Kreativmetropole geworden.
Und doch hat mir unser kurzer Besuch wieder gezeigt, dass
der Checkpoint, wie er auf westlicher Seite heißt (GÜSt, Grenz-
übergangsstelle im Osten), eine fast mystische Aura besitzt. Hier
ist in den Jahren ein magischer Ort erwacht, ein Gigant, ein my-
Insellage
Foto: Dirk Weiß