Immobilienwirtschaft 11/2017 - page 62

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TECHNOLOGIE, IT & ENERGIE
I
ENERGIEPOLITIK
ein mögliches Verbot von Heizkesseln
bei Verwendung fossiler Brennstoffe dis-
kutiert. Besonders tiefgreifende Verände-
rungen lassen sich gegenwärtig auf dem
Fernwärmesektor erkennen. So hat etwa
die höchstrichterliche Rechtsprechung in
diesemBereich in den letzten zehn Jahren
mehr Rechtsstreitigkeiten entschieden als
in den gut 50 Jahren zuvor.
FERNWÄRME
Hingewiesen sei auch auf
die erste Sektoruntersuchung des Bun-
deskartellamtes zur Fernwärme aus dem
Jahr 2012 und die dadurch ausgelösten
Diskussionen. Besonders der fernwärme-
rechtliche Ordnungsrahmen in Gestalt
der AVBFernwärmeV bedarf aus hiesiger
Sicht dringend einer grundlegenden No-
vellierung. Auf ein Musterverfahren der
Verbraucherzentrale Bundesverband
(VZBV) hat das OLG Hamm kürzlich
(rechtskräftig) entschieden, dass Preise
und Konditionen von Fernwärmever-
sorgungsunternehmen nicht im Internet
veröffentlicht werden müssen. Die Ver-
ordnung geht auf das Jahr 1980 zurück
und wurde auch im Bereich der Veröf-
fentlichungspflichten an aktuelle Entwick-
lungen nicht oder nur völlig unzureichend
angepasst. Hochaktuell erscheint in die-
sem Zusammenhang auch eine bisher
unveröffentlichte Entscheidung des LG
Darmstadt, nach der grundlegende Verän-
derungen an der Preiszusammensetzung
und an den Modalitäten der Preiskopp-
lung für den Bezug von Fernwärme nicht
durch bloße öffentliche Bekanntmachung
– etwa in der örtlichen Tageszeitung – zu
Lasten der Abnehmer wirksamvorgenom-
men werden können. Über Jahrzehnte
hinweg wurden im Zusammenhang mit
der Fernwärmeversorgung von Immobi-
lien vor allem auch die Vorzüge der ge-
meinsamen Erzeugung von Elektrizität
und Wärme – Kraft-Wärme-Kopplung –
genannt. Die Wärme erschien hierbei als
ein Abfallprodukt der Stromerzeugung,
welches zur Gebäudeheizung sinnvoll
eingesetzt werden kann und ansonsten im
Rahmen der Kraftwerkskühlung nutzlos
an die Umwelt abgegeben werden würde.
KRAFTWERKE
Die grundlegenden Verän-
derungen auf dem Strommarkt führen
jetzt dazu, dass die Stromerzeugung oft-
mals als Nebenprodukt erscheint und die
Kraftwerke vorrangig betrieben werden
müssen, um die vertraglich gebundene
Wärmeversorgung zu gewährleisten.
In Einzelfällen sind bei solchem Kraft-
werkseinsatz sogar negative Strompreise
zu beobachten. In der Konsequenz hat
beispielsweise Uniper (vormals E.ON)
am20.10.2017 gegenüber der Bundesnetz­
agentur angezeigt, dass mit dem Stein-
kohlekraftwerk Staudinger Block 5 das
größte Kraftwerk in Hessen künftig in
den Sommermonaten (01.06. bis 31.08.)
stillgelegt werden wird. Entsprechende
Entwicklungen sind aktuell an vielen
Standorten zu beobachten.
KLIMASCHUTZ
In Zusammenhang mit
Klimaschutzzielen findet sich jüngst
eine Reihe von Veröffentlichungen, die
erwarten lassen, dass bei unveränderten
Verhaltensmustern und rechtlichen Rah-
menbedingungen die selbstgesteckten
Ziele in Deutschland deutlich verfehlt
werden. Bisher werden die unterschied-
lichenWirtschaftssektoren (beispielsweise
Verkehr, Industrie, Gewerbe, Immobili-
enwirtschaft) von den Vorgaben unter-
schiedlich adressiert. Aktuelle Studien
zeigen etwa, dass unter Berücksichtigung
der vorhandenen Standards im Neubau-
bereich weitere Verschärfungen kaum
noch zu Einsparungen führen, die sich
durch einen niedrigen Energieverbrauch
selbst refinanzieren. Hierbei sind auch
unterschiedliche Gebäudetypen und
Nutzungen verstärkt zu berücksichtigen.
Zudem zeigt sich ein Spannungsfeld zur
Thematik des bezahlbaren Bauens vor
allem im Zusammenhang mit dem erfor-
derlichen Wohnungsneubau. Allgemein
anerkannte und tragfähige Konzepte zur
Auflösung dieser Spannungsfelder sind
bisher noch nicht erkennbar. In Abhän-
gigkeit von den zu bewertenden Para-
metern zeigen Veröffentlichungen, dass
Deutschland in wesentlichen Belangen
des Klimaschutzes im Vergleich zu den
EU-Partnern lediglich einen Platz imMit-
telfeld einnimmt.
MESSEEXKURS
Fragen der energetischen
Bewirtschaftung von Gebäuden haben in
den letzten Jahren signifikant an Bedeu-
tung gewonnen. Ihr Bogen spannt sich
von der Verwendung geeigneter Bau- und
Dämmstoffe über den Einsatz moderner
technischer Gebäudeausrüstung bis hin
zum konkreten Nutzerverhalten. Die ver-
stärkte Beachtung energiewirtschaftlicher
Fragestellungen in weiten Bereichen der
Immobilienwirtschaft zeigt sich auch an
Veränderungen bei Fachmessen und Aus-
stellungen.ThemenwieDekarbonisierung
oder Dezentralisierung rücken neben der
Digitalisierung zunehmend in den Vor-
dergrund. Fachmessen undAusstellungen
der Immobilienwirtschaft thematisieren
Energieversorgung, -speicherung und den
Einsatz von Energiemanagementsystemen
auf dem Gebäudesektor.
Sollen die Leitmessen weiterhin ein-
deutig von immobilienwirtschaftlichen
Themen dominiert werden, bedürfen die
bestehenden Nomenklaturen der Ausstel-
lungsveranstaltungen der Überprüfung
und Anpassung. Soweit eine energie-
wirtschaftliche Ausrichtung hierbei nicht
favorisiert wird, werden sich Messen mit
energiewirtschaftlichen Schwerpunkten
zunehmend immobilienwirtschaftlichen
Fragestellungen öffnen.
«
Werner Dorß, Frankfurt/M.
Werner Dorß
ist Rechtsanwalt in
Frankfurt am Main
mit den Tätigkeits-
schwerpunkten Ener-
giewirtschaftsrecht,
Energiekartellrecht,
Infrastrukturrecht.
AUTOR
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