Immobilienwirtschaft 09/2016 - page 27

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dern wollen. Der Experte für Finanz- und
Immobilienmärkte geht davon aus, dass
im Falle eines Votums für Frankfurt die
Mieten weiter ansteigen und sich zu-
gleich Nischen für neue Produkte auftun
würden: Rundum-Sorglos-Apartments
etwa für Wochenpendler, die sich an den
Arbeitstagen um nichts kümmern möch-
ten.
BERLIN
Sie könnten auch denWohnungs-
markt der deutschen Stadt aufmischen,
die als zweite Profitierende nach Frank-
furt genannt wird: Berlin schielt darauf,
London den Titel als Start-up-Hochburg
abzunehmen. Selbst zurückhaltende
Marktbeobachter wie Claus Michelsen
vom Deutschen Institut für Wirtschafts-
forschung bekräftigen die internationale
Ausrichtung Berlins, die die Stadt inKom-
bination mit dem vergleichsweise güns­
tigen Immobilienmarkt attraktiv mache.
Auch die örtliche Wirtschaftssenatorin
und Wirtschaftsförderer berichten von
deutlich gestiegenen Anfragen seit dem
Brexit-Votum Ende Juni.
Wie stark sich dieser Trend in der
Hauptstadt bemerkbar machen wird,
bleibt abzuwarten. „Es geht um Arbeits-
plätze, die Leute anziehen, die einen be-
stimmten Standard bei Wohnen und Ser-
vice gewöhnt sind und auch daran, dafür
einen Preis zu bezahlen“, sagt E&Y-Exper-
te Haub. Er geht davon aus, dass der Zuzug
vielleicht die Nachfrage in bestimmten
Gegenden verstärken würde, aber nicht
stadtweit. Auf dem Büro- und Gewerbei-
mmobilienmarkt gilt Berlin ohnehin als
international ausgerichtet und als Labor
für temporäre und flexible Nutzungs-
formen; die Kleinteiligkeit des Markts
im Vergleich etwa zu Frankfurt am Main
mit seiner Konzentration auf wenige Stra-
ßenzüge fördert diese Entwicklung. Dass
Räumlichkeiten aus Londoner Sicht zum
Schnäppchenpreis zu haben sind, stärkt
die Anziehungskraft Berlins zusätzlich.
MÜNCHEN
Auch Bayern hat in den vergan-
genen Wochen den Finger gehoben, Lan-
desfinanzminister Markus Söder (CSU)
möchte die Europäische Bankenaufsicht
von der Themse an die Isar holen. Ob dies
gelingt, ist fraglich; München gilt mehr als
Versicherer- denn als Bankenstandort, au-
ßerdem beheimatet Deutschland bereits
die Europäische Zentralbank. B-Städte
wiederum könnten aus Expertensicht
profitieren, solange sie im Dunstkreis
von Top-Standorten liegen. „Wasser tropft
nach unten durch“, beschreibt es Haub. In
Darmstadt und Wiesbaden etwa würden
Wohn- und Gewerbegebäude für Inves­
toren und Nutzer attraktiv, die in Frank-
furt kein Angebot mehr finden oder es
sich nicht mehr leisten könnten. Unab-
hängig vom Standort hätten Verkäufer
derzeit mehr denn je die Chance, vom
Ruf Deutschlands als sicherem „Anlage-
Hafen“ zu profitieren, glaubt Haub.
FAZIT
Über die langfristigen Brexit-Folgen
für den deutschen Immobilienmarkt sind
sich die Marktbeobachter uneins. Haub
und IW-Immobilienökonom Voigtlän-
der gehen davon aus, dass kurzfristige
regionale Zuwächse durch Rückschläge
beim Wirtschaftswachstum insgesamt
ausgeglichen werden; die allgemeine Un-
sicherheit werde die Finanzierungskosten
treiben und Renditen schmälern. Ihr Kol-
lege Just vom Irebs hingegen hält es für
wahrscheinlich, dass derMarkt unter dem
Strich sogar geschwächt wird. „Wir haben
eine Menge Unsicherheiten zusätzlich be-
kommen, die weder für Investoren noch
für die Industrie gut sind; sie wollen pla-
nen können“, warnt er und entwirft noch
ein anderes Szenario: London könnte sich
einen Sonderstatus aushandeln und zum
internationalen Steuerparadies werden.
„Dann kann der Zug ganz schnell in die
andere Richtung gehen“, warnt Just.
«
Kristina Pezzei, Berlin
Experten
„In Frage kommen ja nur
Städte, die eine gute Infra-
struktur aufweisen und in
denen Englisch gesprochen
wird. Damit ist Frankfurt
klar im Vorteil gegenüber
Paris oder Mailand.“
Christoph Haub,
Director bei Ernst
& Young (E&Y) Real Estate GmbH
„Es kann passieren, dass
ein paar Unternehmen
ihren Sitz nach Frankfurt
am Main, Luxemburg oder
Berlin verlagern. Frankfurt
am Main ist nur einer von
mehreren theoretischen
Standorten, so einfach ist
das Spiel nicht.“
Tobias Just,
Professor für Immobi-
lienwirtschaft, International Real
Estate Business School Regensburg
Fotos: phoelix; SH-Vector/shutterstock.com; IREBS Thomas Plettenberg; Ernst & Young
Frankfurt
Berlin
München
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