IMMOBILIENWIRTSCHAFT 06/2016 - page 69

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te noch, unter welcher Telefonnummer
sie im Alter von zehn Jahren erreichbar
waren.
Eine andere Studie untersuchte, wie
viele Menschen sich erinnern können,
wenn sie Antworten auf Quizfragen
„googlen“ dürfen und erwarten, auch
beim späteren Test Zugriff auf das Inter-
net zu haben. Auch bei etwas komplexeren
Suchfragen griffen diemeisten Probanden
direkt auf denComputer zu. Sie fanden die
richtige Lösung schnell, waren aber später
nicht in der Lage, sich an die Lösung zu
erinnern. Sie scheiterten sogar schon da-
ran, wo die Lösung zu finden gewesenwar.
KURZZEITGEDÄCHTNIS NICHT SCHLECHTER
Inmeinen eigenen Studien fällt mir immer
öfter auf, dass jüngere Studenten selbst
ihre eigene Telefonnummer, Kontonum-
mer oder teils gar Postleitzahl im Handy
nachschlagen müssen, wenn sie das Teil-
nahmeformular ausfüllen. Aber ihr Kurz-
zeitgedächtnis ist deshalb nicht schlechter
als früher. Ich stelle ja auch bei mir selbst
fest: Ja, ich kann mir in fünf Minuten eine
Zahl mit über dreihundert Stellenmerken.
Trotzdem weiß auch ich kaum noch eine
Handynummer auswendig. Klar, die sind
auch bei mir im Smartphone gespeichert.
Zugleich weiß ich um die Bedeutung, das
eigene Gedächtnis fit zu halten. Und um
die Bedeutung des Gedächtnisses darü-
ber hinaus. Die Handynummer einer Be-
kannten kann ich nachschlagen, ohne dass
es mich etwas kostet. Wenn ich aber ihren
Namen nachschlagen müsste, wäre die
Freundschaft nicht von langer Dauer. Wie
sieht das aber bei anderen Beziehungen
aus, etwa im Beruf? Mich interessieren
die Firmennamen nicht. Ich denke an die
Namen der Menschen. Viele Verkäufer
machen meiner Beobachtung nach den
Fehler, zu wenig auf die Menschen ein-
zugehen. Viele spicken beim Kundenter-
min nur schnell auf die Visitenkarte oder
ihre Unterlagen, um den Namen parat zu
haben. Wenn sie ihren Ansprechpartner
jedoch schon auf dem Parkplatz treffen,
bevor sie auf dieUnterlagen schauen, kann
es peinlich werden. Der Kunde denkt nun
unweigerlich: „So richtig für mich zu inte-
ressieren scheinen die sich ja nicht.“ Daher
sollten Verkäufer Wert darauf legen, sich
die Namen und bestenfalls einige weitere
Details zu merken. Man weiß schließlich
nie, auf welchemBahnhof, Flughafen oder
in welchem Supermarkt ein Kunde plötz-
lich auftaucht. Gleiches gilt im Innen-
dienst. Wenn ich mir im Musterhaus die
Konfigurationen erklären lasse und drei
Wochen später zurückkomme und mich
derselbe Berater fragt: „Wofür interessie-
ren Sie sich?“, werde ich mich auch nicht
sonderlich wertgeschätzt fühlen.
Natürlich ist das nicht einfach. Da-
rum hilft Gedächtnistraining, um sich
Namen besser merken zu können. Aber
auch bei „googlebarem“ Wissen ist es
von Belang. Wer Fakten sofort reflexartig
nachschlägt, um sie zu verwenden, dann
gleich wieder vergisst, ohne überhaupt zu
versuchen, sie sich zu merken, kann auch
kein Wissensnetz aufbauen, das sich im
Langzeitgedächtnis etabliert und weitere
Inhalte aufnimmt. Für neue Ideen braucht
es aber ebenso Wissen wie für das Ver-
ständnis komplexerer Themen. Wer erst
nachschlagen muss, kann immer nur so
viele Details kombinieren, wie gerade ins
Arbeitsgedächtnis passen.
Statt moderne Medien zu verdammen
oder Menschen davon fernzuhalten, was
beides weder geht noch sinnvoll ist, sollten
wir uns der Bedeutung unseres Gedächt-
nisses bewusst sein. Gerade inder heutigen
Zeit sindGedächtnistechniken topaktuell.
Mögen ihre Grundlagen über 2000 Jahre
alt sein und unser heute von Google trai-
niertes Gehirn anders verschaltet, bleiben
gewisse Dinge doch gleich. Unser visueller
Speicher ist das besteMerksystem, das wir
haben, und wenn wir unser Gedächtnis
ein hoffentlich sehr langes Leben lang zur
Verfügung haben wollen, müssen wir es
auch benutzen und fordern.
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Dr. Boris Konrad, Nijmegen
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VORSCHAU
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Teil 7
(Heft 07/08.2016): „Ich hab da was auf den Knien“ – Mit der Körperliste zum Supergedächtnis
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(Heft 09.2016): Waren Sie letztes Jahr auch schon hier? Gedächtniserfolg auf Events und Messen
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Teil 9
(Heft 10.2016): „Sie schon wieder?“ – Wiederholung macht den Meister
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