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In Deutschland wird energetisch saniert: Heizun-
gen und Fenster werden ausgetauscht, Wände
und Dächer gedämmt. Der Energieverbrauch
sinkt langsam, doch um die Klimaschutzziele
zu erreichen, reichen Zahl und Geschwindig-
keit der energetischen Sanierungen noch nicht
aus. Um bis 2050 einen nahezu klimaneutralen
Gebäudebestand zu erreichen, müssen jährlich
rund 1,4 bis 2% der rund 18 Mio. Wohngebäude in
Deutschland energetisch fit gemacht werden. In
absoluten Zahlen bedeutet das: Jährlich müssen
bis zu 360.000 Häuser und damit 1.400 Häuser
pro Tag saniert werden.
Das schaffen wir nur, wenn wir den Sanierungs
prozess neu denken und schneller, günstiger
werden – bei garantierter, gleichbleibend hoher
Qualität. Etablierte Sanierungslösungen sind oft
komplex und aufwendig. Ein größerer Grad an
Standardisierung und Vorfertigung kann dabei
einen Beitrag leisten, um Sanierungen zu verein-
fachen und Stückzahlen zu erhöhen.
Zudem sind Fachkräfte rar. Ein höherer Grad an
Standardisierung kann auch die Planungssicher-
heit erhöhen und die Kosten senken. Mietern
kommt dies bei der Umlage der (geringeren) Kos-
ten zugute. So kann energetisches Sanieren einfa-
cher, günstiger und schließlich populärer werden.
Modulares Sanieren: Klimaschutz und
bezahlbares Wohnen in Einklang bringen
Funktionierende Sanierungskonzeptemüssen die
Interessen von Eigentümern undMietern erfüllen,
Christian Stolte
Bereichsleiter Energieeffiziente Gebäude
Deutsche Energie-Agentur (dena)
Berlin
Energiesprong ist ein neuartiges Sanierungskonzept, das für hohen Wohnkomfort, kurze Sanierungszeiten und ein
innovatives Finanzierungsmodell steht. Ziel ist eine warmmietenneutrale Sanierung mit NetZero-Standard, nach der
das Gebäude über das Jahr so viel Energie für Heizung, Warmwasser und Strom erzeugt, wie benötigt wird. Und das,
ohne dass die Mieter mit langen Bauzeiten belastet werden.
Energiesprong wurde in den Niederlanden entwickelt und dort bereits in mehr als 4.500 Gebäuden umgesetzt. Auch
in Frankreich und Großbritannien ist das Konzept erfolgreich. Um diesen Sanierungsansatz auch in Deutschland in die
Breite zu bringen, hat die Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) das Projekt „Energiesprong Deutschland“ initiert,
das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) finanziert und vom GdW Bundesverband deutscher
Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. unterstützt wird.
Rund zehn Wohnungsunternehmen sowie rund 50 Bau- und Zulieferunternehmen aus den Bereichen Generalüberneh-
mer, Fassaden-/Dachelemente, Photovoltaik, Wärmepumpen, Lüftung und Energiemonitoring unterstützen Energie-
sprong bereits. In 2019/2020 sollen bundesweit Prototypen mit rund 300 Wohneinheiten umgesetzt werden – als
erster Schritt zu einem Breitenmarkt für warmmietenneutral umsetzbare NetZero-Sanierungen.
ENERGIESPRONG: REVOLUTION FÜR DEN SANIERUNGSMARKT
um in der Breite zu überzeugen. Wohnungsunter-
nehmen wünschen sich schnelle, kostengünstige
undwiederholbare Sanierungskonzepte; dieMie-
ter einen erhöhten Wohnkomfort, keine oder nur
geringfügig steigende Mieten und eine geringe
Belastung während der Sanierungszeit.
Das aus den Niederlanden stammende und inzwi-
schen in vielen anderen Ländernweiterentwickel-
te Energiesprong-Prinzip setzt hier an (siehe S.
28). Es arbeitet mit digitalisierten, standardi-
sierten Prozessen und vorgefertigten Bau- und
Technikelementen, mit denen ein klimaneutraler
Energiestandard zu erschwinglichen Kosten und
in kürzeren Realisierungszeiträumen umgesetzt
werden kann. Ziel ist eine hochwertige sog. Net-
Zero-Sanierung, die warmmietenneutral ist. So
lässt sich eine Win-win-Situation für Eigentümer
und Mieter erreichen.
Energiesprong: Marktentwicklung
in Deutschland
Die dena arbeitet aktuell gemeinsam mit der
Bau- und Immobilienwirtschaft daran, Sanie-
rungen nach dem Energiesprong-Prinzip an den
deutschenMarkt anzupassen und erste Prototypen
zu realisieren. Dafür bietet sich die Gruppe mit-
telgroßer Miethäuser an. Hier gibt es eine größere
Anzahl typenähnlicher Gebäude und es können
verhältnismäßig wenige Entscheider über die Sa-
nierung vieler Gebäude befinden. Denn es braucht
eine größere Anzahl von Sanierungsobjekten, um
wirtschaftlich attraktive Produktionsbedingungen
erreichen zu können.
Rund 500.000 für Energiesprong-Sanierungen
geeignete Gebäude gibt es in Deutschland. Dies
sind insbesondere Wohnhäuser aus den 1950er,
1960er und 1970er Jahrenmit bis zu drei Etagen,
verhältnismäßig einfacher Hülle und einem eher
hohen Energieverbrauch von ca. 130 kWh/m
2
/a.
Das Prinzip der Vorfertigung lässt sich perspekti-
visch auch auf weitereGebäudetypen übertragen –
also z. B. auf Einfamilienhäuser oder Nichtwohnge-
bäude. Gleichzeitig ist aber klar, dass dieser Ansatz
vor allem für die architektonisch einfacheren und
typenähnlichenGebäude geeignet ist. AlleGebäude
mit höherwertiger architektonischer Bedeutung,
mit erhaltenswerter Bausubstanz und ganz beson-
ders Gebäude, die aufgrund von Denkmalschutz
oder Stuckfassaden handwerkliche Detailarbeit
erfordern, müssen weiterhin individuell betrach-
tet undmit den traditionellen Sanierungsansätzen
behutsam erneuert werden. Nur mit einer Kombi-
nation aus Innovation und Tradition kann der Ge-
bäudebestand insgesamt zukunftsfähig gemacht
werden. Nach dem Motto: Vorfertigung wo mög-
lich, traditionell wo nötig.
Für innovative und traditionelle Sanierungsansät-
ze gilt gleichermaßen: Die politischen Rahmenbe-
dingungenmüssen Komplexität reduzieren, Hand-
lungsspielräume geben und das Mitmachen bei der
Energiewende fördern. Hier kann sicher auch eine
Gebäudekommission Impulse geben, wie imMiet-
wohnungsmarkt deutlich mehr energetische und
für dieMieter bezahlbareModernisierung gelingen
kann. Wichtig sind angepasste Strukturen bei der
Förderung, die Einführung einer steuerlichen För-
derkomponente sowie Ansätze, die Mieterstrom-
projekte attraktiver undwirtschaftlicher machen.
Fazit
Es wird sich lohnen, mit frischen Ideen mutig und
innovativ an die Sanierung des Gebäudebestands
heranzugehen. Hocheffiziente und weitgehend
standardisierte Komplettsanierungen können der
Wärmewende imBereich von typisiertenGebäuden
einen dringend notwendigen Impuls geben, um
den Sanierungsmarkt insgesamt anzukurbeln und
so mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.