Die Wohnungswirtschaft 3/2019 - page 32

NEUBAU UND SANIERUNG
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Stunden an die zentralen Versorgungsanschlüsse
angebunden. Möglichwird die elektrische Versor-
gung aller Anlagen im Haus durch ein vernetztes
Energiemanagement vom belgischen Konsortial-
partner Enervalis, das möglichst viel Strom vom
Dach in die Beheizung des Warmwasserspeichers
sowie in die Hausbatterie steckt. Dabei können die
Bewohner mitverfolgen, wann sie mit Strom vom
eigenen Dach heizen oder waschen. Damit sich alle
Komponenten der Nullenergiehäuser miteinander
verstehen, programmierten die Softwarespezi-
alisten der Kölner KEO GmbH Kommunikations-
schnittstellen auf Basis des EEBUS-Standards.
EEBUS verbindet alle energierelevanten Systeme
und Geräte imHaus über Hersteller- und System-
grenzen hinweg und bildet so eine unsichtbare
Vermittlungsebene zwischen den Komponenten
und der Energiemanager-Software. „Die Kommu-
nikation zwischen unterschiedlichen Systemen
und Sektorenmit EEBUS ist einwichtiger Erfolgs-
faktor“, betont Projektleiter van Goch. „Durch den
offenen Standard der EEBUS-Kommunikation
müssen wir uns auf keine bestimmten Systeme
oder Hersteller festlegen und können künftig für
jedes Projekt und in jedem Markt die optimalen
Komponenten einsetzen.“ So lässt sich etwa das
Modell der Wärmepumpe je nach Größe des Hauses
oder Kundenwunsch austauschen.
Quartiersplanung in der Smart
Neighbourhood
In diesem Projekt geht die Idee des Energiema-
nagements noch einen Schritt weiter: Die einzel-
nen Häuser werden zu intelligenten Wohnquar-
tieren vernetzt. Das ist gerade angesichts der
nationalen Pläne besonders wichtig: Mit immer
mehr Elektroheizungen und künftig überwiegend
elektrischen Autos muss das Stromnetz viel mehr
Energie verteilen als bisher. Ohne lokale Erzeu-
gung und eine intelligente Energieverteilung vor
Ort würde dies milliardenschwere Netzausbauten
erfordern. Hier war daher von Anfang an der regi-
onale Stromnetzbetreiber Stedin mit im Boot. Er
schließt die einzelnen Wohnviertel zu intelligen-
ten „Smart Micro Grids“ zusammen.
An der Übergabestelle zumNetz werden die Infor-
mationen über die Energieströme und –bestände
aus allen Häusern von einer Energiemanage-
mentzentrale gesammelt und für die Nutzung
in der Smart Grid aufbereitet. Diese tauscht
sich dann mit dem Betreiber des lokalen Netzes
ebenfalls in einer gemeinsamen Sprache aus:
Im sog. USEF-Format (Universal Smart Energy
Framework), einer Art Pendant zu EEBUS im lo-
kalen Stromnetz. USEF vermittelt zwischen Er-
zeugungs- und Speicherkapazitäten sowie Lasten
und Verbrauchsanforderungen im Netz. Ziel der
Übung: Möglichst viel lokal erzeugte Energie im
Quartier zu nutzen oder zu speichern und so die
oberen Netzebenen möglichst wenig durch die
neuen Stromverbraucher zu belasten.
ImGegenteil: Das Wohnquartier bietet die Summe
seiner elektrisch beheizten Warmwasserspeicher
und Hausbatterien dem Netz als flexible Lasten
und Energielieferanten an. In einigen Rennova-
tes-Siedlungen wurden auch Quartiersbatterien
installiert, um dem Netzbetreiber noch mehr
flexible Speicher- und Lastkapazitäten anbieten
zu können.
Die Modernisierung trägt sich selbst
UntermStrich soll Rennovates Vorteile für alle Be-
teiligten bringen: Wohnungsunternehmen, denen
die Wohnsiedlungen gehören, gewinnen durch die
Sanierung den generellen Erhalt und eine deutli-
che Aufwertung der Immobilien. Der notwendige
Netzausbau durch die Umstellung auf elektrische
Energieversorgungwird begrenzt, während sich für
die Bewohner trotz eines verbesserten Wohnkom-
forts in finanzieller Hinsicht nichts ändert.
Die Kosten pro Haus betragen rund 50.000 €, die
zunächst einmal finanziert werden müssen. Die
Tilgung erfolgt einerseits über die längere Nut-
zung der Immobilien mit gleichbleibenden bis
leicht steigenden Mieteinnahmen und anderer-
seits über den viel geringeren Bedarf an Energie
aus dem Netz. Mieter bezahlen künftig nur noch
im Falle von außerordentlichem Mehrverbrauchs
eine minimale Stromrechnung.
Die Differenz zur bisherigen Strom- und Gasrech-
nungwird als Servicepauschale für die neue Haus-
und Energietechnik erhoben. Diese geht teilweise
an die Royal BAM und ihre Partnerunternehmen,
die den Betrieb und die technische Wartung der
neuen Energietechnik sicherstellen.
ImMoment werden die tatsächlichen Energie- und
Kostenbilanzen noch ermittelt. Mit in die Berech-
nung der Rendite fließen dabei auch die potenziel-
len Kosten für den eingesparten Netzausbau: Die
Energiewende hin zur „All-Electric“-Versorgung
gilt als gesetzt. Eingesparte Investitionen in den
Netzausbau durch die Flexibilisierung sind also ein
Gewinn für das System.
Auf zwei weniger technische Schwerpunkte legen
die Rennovates-Macher besonderenWert. Erstens:
Diese Art der Modernisierungwurde erst möglich,
indem sich die Konsortialpartner aus höchst un-
terschiedlichen Branchen austauschten und dabei
ihre üblichen Denkmuster hinterfragten.
Und: Der Bewohner steht hier im Mittelpunkt.
Das Projekt verbessert die Wohnqualität, senkt
die Baukosten gegenüber individuellen Sanierun-
gen, minimiert den Energieverbrauch und macht
die Bewohner zu aktiven Teilhabern an der Ener-
giewende – ohne Mehrkosten, die bei Sozialwoh-
nungen ohnehin nicht umsetzbar wären.
Fazit: Über den europäischen Zaun schauen
Wenn man die bereits sanierten Siedlungen ge-
nauer betrachtet, dann entsteht ein recht gutes
Bild davon, wie die Energiewende funktionieren
kann: Möglichst viel Energie dort erzeugen, wo
sie benötigt wird, um kostspielige Netzausbau-
ten zu minimieren. Diese Methode ist in den
Niederlanden hoch angesehen. Der Minister für
Wirtschaft und Klima Eric Wiebes trat beim Ab-
schlussevent der ersten rund 250 Rennovates-
Nullenergiehäuser auf undmachte sich für weitere
„Stroomversnelling“-Projekte stark. Allein 2019
sollen laut Projektleiter Dennis van Gochmindes-
tens weitere 100Wohneinheiten nach demPrinzip
von Rennovates saniert werden.
Doch neben dem Netzausbau im großen Stil –
siehe Hashtag #NetzeJetzt des Deutschen Wirt-
schaftsministeriums – wächst auch hierzulande
In einigen Vierteln wurden neben den Batteriespeichern
in jedem Haus auch Quartiersbatterien installiert. Damit
will der Netzbetreiber seine Netze entlasten
In Soest wurde das Energiemodul auf der Rückseite
installiert. Die Fassadengestaltung orientiert sich in
jedem Viertel an der bisherigen Optik
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