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2006 stagniert allerdings auch in Österreich die
„Produktion“ imgefördertenWohnbau, hingegen
nehmen die frei finanzierten Neubauprojekte zu.
Im Jahr 2010 wurde sogar ein Rückgang um25%
bei den öffentlich bezuschusstenWohnungen ver-
zeichnet.
In Deutschland ist das Problem gravierender: Im-
mer mehr Menschen, vorwiegend in den Städten,
haben theoretisch ein Anrecht auf geförderten
Wohnraum – praktisch sind jedoch diese günsti-
gen Wohnungen überhaupt nicht vorhanden. Seit
1990 hat sich die Anzahl von Sozialwohnungen in
Deutschland halbiert: von 2,87 Mio. auf 1,26 Mio.
im Jahr 2016. Gründe hierfür sind, dass seit den
1990er Jahren Städte und Bundesländer Teile
ihres Bestands an Sozialwohnungen an private
Investoren verkauft haben – in vielen Fällen aus
Geldnot. Was damals verkauft wurde, muss nun
wieder neu gebaut werden; für private Immobi-
lienentwickler lohnt es sich nämlich kaum, Woh-
nungen als geförderten Wohnraum anzubieten –
vor allem nicht bei den aktuell vorherrschenden
Mietpreisen. Derzeit steckt der Bund 1,5 Mrd. €
an Fördergeldern in den Neubau von Sozialwoh-
nungen durch Länder und Kommunen.
Bedingt durch die vergleichsweise hohen Zu-
wandererzahlen schwerpunktmäßig in den Bal-
lungszentren in Deutschland und Österreich ist
es derzeit zu einer großen Wohnungsnachfrage
gekommen, sodass der Bedarf an bezahlbarem
Wohnraum in den kommenden Jahren nicht ge-
deckt werden kann. Stefan Kofner, Professor für
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft an der
Hochschule Zittau/Görlitz, fordert in seiner Analy-
se „Social Housing in Germany“ konkrete Schritte
der Politik: nämlich, dass „die Kosten für Bauland/
Grundstücke zur Sicherung der Bezahlbarkeit von
Sozialmieten […] direkt von den kommunalen Be-
hörden festgesetzt werdenmüssten. Primär kann
dies über die bedingte Bereitstellung von Wohn-
bauland erfolgen. Benötigt wird eine zukunfts-
orientierte Bodenbestandspolitik, die planungs-
bezogeneWertsteigerungen vergesellschaftet und
bezahlbares Bauland für zielgruppenorientierten
Wohnungsbau bereitstellt.“
Sozialer Wohnungsbau als architektonische
Herausforderung
Die gute Nachricht ist jedoch, dass sich sozialer
Wohnungsbau aus architektonischer Sicht zu
einer großartigen, möglicherweise sogar pres-
tigeträchtigen und gefragten gestalterischen
Herausforderung gemausert hat. Dies zeigt auch
die diesjährige Ausstellung „Wohnen für Alle“ im
Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/Main.
Über 100 Architekten aus ganz Europa präsentier-
ten ihre Entwürfe und nahmen am Wettbewerb
um den Architekturpreis für bezahlbares und gu-
tes Leben teil. Die Bandbreite und Intensität der
kreativen Lösungen lässt hoffen, dass sich künftig
die Lebensbedingungen für zahlreiche Menschen
verbessern werden (siehe Infokasten unten).
•
Terras op Zuid:
Licht, Luft, Sonne
Ein herausragendes Projekt ist Terras op Zuid
der NL Architects in Amsterdam. 28 der ins-
gesamt 50Wohneinheiten sind erschwingliche
Lofts mit unbezahlbarer Aussicht. Die sonnigen
Terrassen in Südlage sindmit vertikalen Gärten
ausgestattet. Die terrassenförmig angeordne-
ten Balkone – sprich, der jeweils obere Balkon
ist zurückversetzt – bieten optimale Sonnenein-
strahlung und einen beinahe grenzenlosen Aus-
blick. Kein darüberliegender Betonboden wirft
Schatten oder begrenzt den Blick nach oben in
den Himmel. Hinzu kommen kleine, aber durch-
dachte Details wie die bündig mit der Terrasse
in den Boden eingelassenen Pflanzgefäße bzw.
„Blumentöpfe“ sowie die Wahlmöglichkeit der
Bewohner bei der Gestaltung der Begrünung.
nlarchitects.nl; terrasopzuid.nl
•
Hunziker Areal:
Mehr als wohnen
Co-Living ist ein wichtiger Trend – und längst
nicht mehr nur ein Wohnmodell für Studie-
rende. Auch Alters- und Berufstätigen-WGs
sowie Mehrgenerationenhäuser werden immer
populärer. Mit unterschiedlichen Wohnräumen
vom Studio bis zur 7,5-Zimmer-Wohnung, vom
Wohnatelier bis zur 12,5-Zimmer-Gemein-
schaftswohnung, mit zumietbaren Wohn- und
Arbeitszimmern und einem Angebot an Ge-
meinschaftsräumen (sog. „Allmendräumen“)
ist das Züricher Hunziker Areal zum Inbegriff
für ein gelungenes Bauprojekt mit Mischnut-
zung geworden. Es ist nicht einfach nur eine
Siedlung, sondern ein Gesamtkunstwerk
Terras op Zuid in Amsterdam: 28 der insge-
samt 50 Wohneinheiten sind erschwingliche
Lofts mit unbezahlbarer Aussicht
Quelle: Marcel van der Burg, Amsterdam
NEUBAU UND SANIERUNG
Als generelle Empfehlung für bezahlbaren Wohnraum in Deutschland gilt, dass die Miet-
kosten nicht höher als 30% des Haushaltseinkommens sein sollten: Ein Drittel des Ein-
kommens wird als kritische Schwelle angesehen. Hiervon sind vor allem Geringverdiener
betroffen: Zwei Drittel der Haushalte, die über weniger als 2.000 € monatlich verfügen,
geben davon mehr als 30% für die Miete aus. Das belegt eine Umfrage der Süddeutschen
Zeitung, an der deutschlandweit 57.000 Mieter teilgenommen haben.
Anspruch auf eine Sozialwohnung hat in Deutschland nur derjenige, der einen Wohn-
berechtigungsschein besitzt. Im Bundesgesetz ist hierfür eine Einkommensgrenze fest-
gesetzt, jedoch gelten in den Bundesländern und auch in zahlreichen Kommunen Sonder-
regelungen. Zur Berechnung der angemessenen Kosten für die Übernahme der Mietkosten
bei Hartz IV wird der Quadratmeterpreis zugrunde gelegt. Im ländlichen Raum sollte der
Quadratmeterpreis 4€ nicht überschreiten, in Großstädten wie München ist ein Preis von
bis zu 9 € angemessen. Jede Kommune legt allerdings die Höchstgrenze selbst fest –
Vorgaben gibt es lediglich zu der Größe des Wohnraums pro Person – so steht einem
Einpersonenhaushalt bis zu 50m
2
zu, jeder weiteren Person dann jeweils 15m
2
mehr.
WANN IST EINE WOHNUNG BEZAHLBAR?