NEUBAU UND SANIERUNG
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innerhalb des Stadtgefüges. Der Mix aus 450
Wohnungen, Geschäften, Restaurants und
Arbeitsbereichen sowie Künstlerateliers steht
unter dem Motto der Community „mehr als
wohnen“.
mehralswohnen.ch
•
Moholt Timber Towers:
Holztürme für mehr
studentische Lebensqualität
Castings für ein WG-Zimmer, monatelange
Wartelisten für einen Studentenwohnheim-
platz – das ist inzwischen zur Normalität für
jeden Studienanfänger geworden. Meist ent-
scheidet das Schauspieltalent oder das (Los-)
Glück, ob man eine bezahlbare Wohnung oder
ein Zimmer im Studentenwohnheim ergattern
kann. Einer Analyse von Savills Research zufol-
ge gab es imJahr 2006 in den 30 größten Hoch-
schulstädten Deutschlands noch ein Angebot
von über 1,7 Mio. Wohnungen mit erschwing-
lichen Mietpreisen für 1,1 Mio. Studierende.
2016 sank die Zahl der Wohnungen auf 1,1 Mio.,
hingegen wuchs die Zahl der Studierenden auf
über 1,5 Mio. an. Einwegweisendes Projekt für
ein Studentenwohnheim, das erschwinglichen
Wohnraummit Umweltaspekten und demCom-
munity-Gedanken verknüpft, sind die Moholt
Timber Towers vomOsloer BüroMDH Arkitekter
im norwegischen Trondheim. Das Ziel dieses
Projektes: Studierende sollen ihre freie Zeit
nicht mit Nebenjobs durcharbeitenmüssen, um
ihre Miete bezahlen zu können, sondern sich
auf ihr Studium konzentrieren können und ggf.
früher ihren Abschluss erreichen.
mdh.no
Cluster-Living
Laut Schätzungen der Hans-Böckler-Stiftung
fehlen in Deutschland in den Großstädten der-
zeit knapp 2 Mio. bezahlbare Wohnungen. Über
310.000 davon entfallen allein auf Berlin, woman
mit Projekten wie „Spreefeld“ kostengünstigen
Wohnraum schaffen will. Die Bau- und Wohnge-
nossenschaft Spreefeld gilt als Pionier für gelun-
genes Gemeinschaftswohnen und -arbeiten. Die
44 Häuser zeichnen sich durch eine gemischte
Nutzung für Familien und Einzelpersonen aus.
Der Erfolg des Systems liegt hierbei im sog.
„Cluster-Living“, bei dem man alleine innerhalb
einer Gemeinschaft wohnt. In Österreich haben
das Sonnenwendviertel in Wien und die Seestadt
Aspern den sozialenWohnungs- und Siedlungsbau
deutlich befördert und das Image insbesondere im
Bereich des kommunalen und öffentlichen Raums
spürbar verbessert.
Modulares Bauen in den Innenstädten
Sofern es jedoch umdie Bereitstellung bezahlbaren
Sozialwohnraums in demfür Städte erforderlichen
Maß geht, muss dies nach Auffassung von Andreas
Martin-Löf schneller und unter Einsatz vonmodu-
larer Bauweise erfolgen. Der schwedischeArchitekt
plante früher ausschließlich Luxusprojekte, doch
mit den steigenden Mietpreisen in seiner Heimat-
Block, India: Stefano Boeri designs first tree-covered
social-housing project. In: dezeen.com, 16.1.2018
Housing Europe, the European Federation of Public,
Cooperative and Social Housing: The State of Housing in
the EU 2017
Beitzer, Hannah/Ebitsch, Sabrina/Endt, Christian/Öchsner,
Thomas/Schories, Martina/Zajonz, Moritz: Deutschlands
Mietmarkt ist kaputt. In: sueddeutsche.de/meinemiete,
2018
Hans-Böckler-Stiftung: In Deutschlands Großstädten
fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Presse-
mitteilung vom 8.4.2018
Dreiman, Jonna (Video): The secret to building affordable
homes. In: monocle.com, 9.11.2017
Fischer, Stefanie: 56 Prozent der Deutschen sind mit ihrer
Wohnung unzufrieden – das sind die größten Frust-Fakto-
ren. In immowelt.de, 18.8.2014
immowelt.at: Zu klein oder zu teuer: Knapp die Hälfte
der Österreicher ist mit ihrer Wohnung unzufrieden. In:
immowelt.at, 23.5.2018
Jenkins, Simon: Skyscrapers wreck cities – yet still Britain
builds them. In: theguardian.com, 29.5.2018
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017.4.1.325
Savills Research: Im Fokus: Studentenwohnungsmarkt
Deutschland. 2018.
Schiko, Carolin: Zu laut, zu teuer: Jeder zweite Schweizer
ist mit seiner Wohnung unzufrieden. In: immowelt.ch,
11.4.2018
stadt Stockholm erkannte er die Notwendigkeit,
kleine, bezahlbareWohnungen zu errichten. Dafür
hat ermodulare 32-m
2
-Appartements entwickelt,
die in einemWerk außerhalb Stockholms gefertigt
und bedarfs- sowie standortorientiert in verschie-
denen Höhen zusammengebaut werden. Wenn-
gleich dies unter die Rubrik der kosteneffizienten
Bauweise fällt, so hat er es dennoch geschafft,
hochwertige Materialienmit einer ansprechenden
Gestaltung zu verbinden.
High-Density, Low-Rise:
Architektur für die Menschen
Mittlerweile ist klar, dass es für schlechte Qualität
beim Bau von Sozialwohnungen keine Entschul-
digung mehr gibt. Zudem ist auch niemand mehr
davon überzeugt, dass in die Höhe zu bauen die
einzige Lösung ist, den nötigenWohnraum für alle
zu schaffen.
Guardian-Autor Simon Jenkins sagtmit Nachdruck:
„Alternative Formen der Stadtsanierung sind kein
Geheimnis. Wer nach einem gelungenen Beispiel
für ‚High-Density, Low-Rise‘ sucht, braucht nur
ins Londoner King’s-Cross-Viertel zu gehen. Dort
findet sich als Ergebnis intelligenter Stadtplanung
einMix aus Alt und Neu, Arbeit und Freizeit, Natur
und Gemeinschaft – und das alles trotz der fast
höchsten Bevölkerungsdichte in der Hauptstadt.“
Durch das Stadtsanierungsprojekt in öffentlich-
privater Partnerschaft entstanden 2.000 neue
Wohneinheiten, wovon knapp ein Drittel bezahl-
barer Wohnraum ist. Über die Strategie sagt er:
„Wohntürme spielen keine Rolle.“ Hingegen stehen
die Menschen im Mittelpunkt.
Obwohl die Mieten in Österreich im Vergleich zu Deutschland recht günstig sind, ist doch
knapp die Hälfte der Österreicher unzufrieden mit ihrer Wohnsituation: Zu teuer, zu klein,
zu laut sind die häufigsten Gründe, die in einer Umfrage des Immobilienportals Immowelt
genannt werden. In Deutschland sind es sogar mehr als die Hälfte, in der Schweiz jeder
Zweite. Doch diese Unzufriedenheit bedeutet nicht, dass die Konsequenz lautet: Umzug.
Die Mehrheit der von der Süddeutschen Zeitung für das Projekt #MeineMiete Befragten, die
nicht umziehen wollen, suchen keine neue Wohnung, weil dies eine Mieterhöhung bedeuten
würde oder ihnen die Suche zu aufwändig ist.
Wirtschaftswissenschaftler sprechen hier von dem Lock-in-Effekt: Diese Menschen sind
regelrecht in ihrer Wohnsituation gefangen. Paare bleiben trotz Familiengründung in einer
zu kleinen Wohnung, Studierende bis zum Abschluss bei den Eltern, andere nehmen lange
Pendelzeiten zum Arbeitsplatz in Kauf. Am überraschendsten ist allerdings, dass Paare nach
dem Auszug der Kinder oder ältere Menschen nach dem Tod des Partners in einer zu großen
Wohnung bleiben, weil die Mieten für die kleineren Wohnungen in der Zwischenzeit so
immens gestiegen sind, dass sie sich eine kleinere Bleibe schlichtweg nicht leisten können.
Laut Stadtforscher Jürgen Friedrichs braucht der Wohnungsmarkt Fluktuation, damit er
funktioniert: eine Umzugsquote von mindestens 10%. 2016 lag die Quote in den 20 größ-
ten deutschen Städten jedoch nur bei 8,6%, in München und Berlin noch deutlich darunter
bei 6,7%. Der Lock-in-Effekt ist längst zu einem Massenphänomen geworden. Es ist höchste
Zeit für neue Konzepte im sozialen Wohnungsbau.
WIE ZUFRIEDEN SIND DIE MENSCHEN MIT IHRER WOHNSITUATION?