NEUBAU UND SANIERUNG
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10|2018
Der Grundriss als Spiegel der Gesellschaft
Wohnungen sollten diese Entwicklung spiegeln
und flexible Gestaltungsmöglichkeiten bieten.
Man könnte sich eine Wohnung als eine Art
Leermodul vorstellen, das von seinen Bewoh-
nern je nach biographischen Anforderungen
und individuellen Vorlieben gefüllt wird. Einmal
brauchen Kinder Spielraum, dann wieder ist die
Wohnung Treffpunkt für Freunde, und im zweiten
Aufbruch, nach der beruflichen Neugründung,
nimmt vielleicht das Home-Office eine zentrale
Stellung ein.
Eine solche Veränderungsfähigkeit vonWohnraum
kommt auch der dynamischen und komplizier-
ten demografischen Entwicklung in Deutschland
entgegen. Deutschland altert, aber es schrumpft
nicht mehr, zumindest in weiten Teilen des Wes-
tens nicht. Die langfristigen Effekte der Zuwan-
derung sind noch nicht absehbar. Daraus erwächst
eine neue Herausforderung: Das Gebäude oder
die Wohnung der Zukunft punkten weniger mit
perfekt organisierter Monofunktionalität als mit
modularer Wandelbarkeit. Leben und Arbeiten
und die Nutzung durch junge Menschen, Familien
und ältere Menschen sollten möglich sein. Das
Ziel ist Nutzungsvielfalt, ohne massive Kosten
zu verursachen.
Landlust ist Trend
Auch in Deutschland, wo wir Megastädte wie in
Asien oder Afrika nicht kennen, liegt der Urba-
nisierungsgrad, also der Anteil der Stadtbevöl-
kerung an der Gesamtbevölkerung, bei ungefähr
80%. Trotzdem boomt seit geraumer Zeit die
Landsehnsucht. Auf die Frage „Wo haben die Men-
schen Ihrer Ansicht nach ganz allgemein mehr
vom Leben: auf dem Land oder in der Stadt?“
antworteten 1956 noch 54% der Deutschen, man
habe in der Stadt mehr vom Leben. Dieser Wert
sank bereits 1977 auf 39% und erreichte 2014
nur noch die 21%-Marke. D. h., nur noch jeder
Fünfte ist der Meinung, in der Stadt lebten die
Menschen besser als auf dem Land. Landlust ist
Trend. Das sieht man am Zeitungskiosk und das
belegen die Zahlen.
Im Jahr 2014 zogen zum ersten Mal mehr Deut-
sche aus Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg,
Düsseldorf, Köln, München und Stuttgart weg
als neu hinzukamen. Das Wachstum der Städte
wird von ausländischen Bewohnern getragen.
Man muss genau hinschauen: Zwar leben 80%
der Deutschen in Städten, aber nicht einmal jeder
dritte Deutsche lebt in einer Großstadt mit über
100.000 Einwohnern.
Die Gründe für den Aufwind der ländlichen Re-
gionen nur in horrenden städtischen Mietprei-
sen und besserer Netzanbindung kleinerer
Wird die Küche künftig das neue Wohnzimmer sein?
Die Verschmelzung von Küche und Wohnzimmer wird (auch) morgen der Drehpunkt mo-
derner Wohnungen sein. Sie ist Zeugnis dafür, dass Menschen auch abseits von Facebook
und Co. ein soziales Netzwerk haben. In Zukunft wird die Küche außerdem „grüner“, z.B.
durch organische Materialien und durch Möglichkeiten der schonenderen Lagerung und
Zubereitung von Nahrungsmitteln.
Weshalb wird das Schlafzimmer an Bedeutung gewinnen?
Je unruhiger und digitalisierter der Alltag der Menschen, desto wichtiger wird die richtige
Erholung. Das moderne Schlafzimmer entwickelt sich zum Rückzugsort und macht damit
demWohnzimmer als wichtigem Raum der Wohnung Konkurrenz. Auch hier spielen natürli-
che, wohngesunde Materialien eine immer größere Rolle.
Ist das Bad der Zukunft ein Hightech-Tempel?
Für viele Menschen fällt die Entscheidung für oder gegen eine Wohnung mit dem Bad und
seiner Ausstattung. Die kann bereits heute sehr unterschiedlich ausfallen: Das Spektrum
reicht von freistehenden Badewannen, Hightech-Duschen und Spiegel mit integriertem
TV-Bildschirm bis zu Boudoirs mit Möbeln, Tapeten, Teppichen und üppigen Vorhängen.
Das spiegelt unterschiedliche Funktionalitäten. Für die einen ist das Bad Gesundheits-
zentrale, für die anderen ein Ort der Unterhaltung und für die meisten noch immer eine
Oase der Entspannung. Technologie kann im Bad der Zukunft alle drei Funktionen unter-
stützen, vor allem aber suchen Menschen „CalmTech“, eine einfache, ruhige Technologie
im Hintergrund.
Werden die Wohnungen größer oder kleiner?
Beides! Wenn die Mittel es erlauben, ist Größe Trumpf. Doch auch „normalbetuchte“ oder
z.B. ältere Menschen schließen sich immer häufiger zusammen, um in selbstgewählten
Gemeinschaften zu wohnen. Das spart nicht nur Kosten, sondern schützt auch vor Verein-
samung. Und für solche (Alters-) WGs braucht es Platz.
Das andere Ende der Skala markieren die Winzlinge. Die Zahl der Single-Haushalte wird
weiter steigen, gleichzeitig schießen Mikroappartement-Konzepte wie Pilze aus dem
Boden. Ein Beispiel aus der deutschen Wohnungswirtschaft ist das „PC 30“ der Berli-
ner Hilfswerk-Siedlung GmbH. Auf einer Gesamtwohnfläche von knapp 2.400m
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hat
das Unternehmen 48 Wohnungen realisiert – die kleinste hat gerade einmal 29m
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. Die
intelligente Brücke zwischen Größe und Kleinheit veranschaulicht auch „The Collective“,
ein neues Hochhaus in London. Die Appartements wurden minimalistisch geplant, einige
von ihnen haben gerade einmal 10m
2
. Die Bewohner haben allerdings Zugang zu über
1.100 m
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gemeinsamem Wohnraum, darunter Co-Working-Spaces, ein Fitness- und Well-
nessbereich, eine Wäscherei sowie Küchen. Miet-Zielgruppe sind die Millennials, die viele
vormals materiellen Besitztümer als digitale Services nutzen.
DIE WOHNUNG DER ZUKUNFT
Ganz so wird sie
wohl nicht aussehen:
die Wohnung der
Zukunft
Quelle: Sergey Nivens/Shutterstock.com