DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 7/2016 - page 26

NEUBAU UND SANIERUNG
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7|2016
Wohnen im Denkmal
Eisenhüttenstadt: Der historische Wohnkomplex belebt sich
Das brandenburgische Eisenhüttenstadt ist ein Dorado für Architekturfreunde: Nirgendwo sonst in
Deutschland lassen sich auf so engem Raum die unterschiedlichen stadtplanerischen Phasen der
Nachkriegszeit begutachten. Jetzt saniert das städtische Wohnungsunternehmen den ältesten Teil der
sozialistischen Planstadt – und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Belebung der Innenstadt.
Freundlich grüßt die ältere Damemit demRollator.
„Sind Sie zufrieden mit Ihrer Wohnung?“, fragt
Oliver Funke, Geschäftsführer der Eisenütten-
städter Gebäudewirtschaft GmbH (Gewi). Die
Antwort klingt zwar so, als ob sie extra für den
Journalisten bestellt wäre, ist aber offenkundig
ehrlich gemeint: „Sehr! Ich habe es nie bereut,
hier eingezogen zu sein.“
Man kann die Seniorin verstehen. Der Wohn-
komplex I in Eisenhüttenstadt macht einen
einladenden Eindruck: sanierte Fassaden, neue
Balkone, großzügige Grünflächen. Das war noch
vor wenigen Jahren ganz anders. Denn der Wohn-
komplex, Anfang der 1950er Jahre errichtet, war
eines der größten Sorgenkinder des kommunalen
Wohnungsunternehmens. „Eine Zeitlang schien
es, der Wohnkomplex I sei dem Abriss geweiht“,
blickt Oliver Funke zurück. Jahrzehntelang war
nichts in die in einfachstem Standard errichteten
Wohnhäuser investiert worden, die sehr kleine
Zimmer aufwiesen und mit Einzelöfen beheizt
wurden.
Diese niedrige Qualität hängt mit der Geschich-
te der Stadt zusammen. Denn Eisenhüttenstadt
(einst Stalinstadt genannt) ist eine sozialistische
Planstadt. Von 1951 an wurde sie aus dem Boden
gestampft, umden Arbeitern des Eisenhüttenkom-
binats Ost eine Unterkunft zu bieten. Zunächst
entstanden im Wohnkomplex I betont schlichte
Wohnungen. Die aber fanden nicht das Gefallen
der Spitze von Partei und Staat: Arbeiter, hieß es,
hätten etwas Besseres verdient. In der Folge wur-
den dieWohnkomplexe II und III hochgezogen, die
mit ihren repräsentativen Fassaden und großzügi-
gen Wohnungen an die zur selben Zeit errichtete
Karl-Marx-Allee in Berlin erinnern. Auch nach dem
Fall der Mauer boten sie Wohnraum, der deutlich
attraktiver war als derjenige im Wohnkomplex I.
Die Folge: Die Keimzelle Eisenhüttenstadts wurde
immer mehr vernachlässigt.
Verschärft wurde diese Entwicklung, weil Eisen-
hüttenstadt so brutal wie nur wenige andere ost-
deutsche Städte vom demografischen Wandel
betroffen ist. 1988 zählte die Stadt 53.000 Ein-
Christian Hunziker
freier Immobilienjournalist
Berlin
Aus heruntergekommenen 1950er-Jahre-Bauten sind wieder attraktive Wohnhäuser geworden, die von unterschiedlichen Zielgruppen nachgefragt werden
Quelle: Ingenieurbüro Hoch- und Tiefbau eG
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