DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT 06/2016 - page 37

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Mehr undmehr zeigt sich, dass dieWeiterentwick-
lung des Stromsystems weniger von der Technik
abhängt als vielmehr von politischen Entscheidun-
gen. Für ein gelungenes Projekt müssen außerdem
„Wollen, Dürfen und Können” zusammenkommen.
Können
Lassen Sie uns von hinten anfangenmit dem„Kön-
nen”. Es ist sehr beeindruckend, was die Technik
inzwischen kann. Für die dezentrale Stromerzeu-
gung stehen heute Photovoltaikmodulemit einem
Wirkungsgrad von 20% und mehr zur Verfügung.
BHKWs können so leise und schwingungsarm in-
stalliert werden, dass dies auch innerhalb von
Mehrfamilienhäusern möglich ist. Anlagen, die an
der Dachkante installiertwerden, können ausWind
und Sonne gleichzeitig Stromerzeugen. „Können”
hat aber noch eineweitere Seite: EinUnternehmen
kannTechniken nur dann anwenden, wenn amEnde
ein wirtschaftlich positives Ergebnis steht - also
wenn der Verkauf des Stromes die Investition in
die Anlage refinanziert und das eingesetzte Kapital
verzinst. Beim Verkauf von Strom handelt es sich
um einen besonders kniffligen Punkt des ganzen
Geschäfts. Strom, der für 26 Ct/kWh verkauft
wird, kostet an der Strombörse aktuell 2 bis 3 Ct.
Die Differenz besteht aus Netzentgelt und EEG-
Umlage, Konzessionsgebühr und Stromsteuer,
KWK-Offshore- und Sonderkundenumlage, Mess-
stellenbetrieb, Abrechnung, Vertrieb und natürlich
Mehrwertsteuer. Strom, der dezentral erzeugtwird,
istmit demheutigenBörsenpreis nicht konkurrenz-
fähig. Je nach Technik liegen die Erzeugungskos-
ten bei etwa 8 bis 14 Ct/kWh. Deshalbwurden und
werden dezentrale Techniken unterstützt durch
teilweisen Erlass von Steuern und Abgaben oder
durchVergütungen für die Einspeisung ins Festnetz.
Unstrittig ist, dass dezentrale Anlagen Teil der
Energiezukunft sind. Völlig unklar ist hingegen,
wiedasGesamtsystemgestaltetseinundfinanziert
werden soll. Dazu gehört besonders die Frage nach
der direkten lokalen Nutzung dezentral erzeugten
Stroms (z. B. Mieterstrom). Manmerkt das an der
politischen Angst vor steigenden Netzentgelten.
Diese ist angesichts der gesellschaftlichen Dis-
kussion um die Höhe der EEG-Umlage nicht ganz
unberechtigt. Fachlich gedacht sollte aber so viel
Stromwie möglich gleich amOrt der dezentralen
Erzeugung genutzt werden. Das Systemmuss auch
wirtschaftlich in diese Richtung gelenkt werden
und hier kommen wir zum „Dürfen”.
Dürfen
Nachwie vor gibt es die Regelung imSteuerrecht,
nach der vermietendeWohnungsunternehmen auf
ihre gesamten Vermietungserträge steuerpflichtig
werden, wenn sie die erste kWh Strom erzeugen.
Auch und gerade wenn es Mieterstrom ist, der ja in
denkbar engem Verhältnis zur Vermietung steht.
Die Geschichte geht ins zwölfte Jahr. 2005 gab
es das erste Schreiben einer Finanzverwaltung
an ein Wohnungsunternehmen, dass sie mit ihrer
PV-Anlage die Gewerbesteuerkürzung für die Ver-
mietung nicht mehr in Anspruch nehmen können.
Dabei wäre eine Lösung definitiv steuerneutral.
Keiner würde weniger Steuern zahlen als vorher.
Die Stromerzeugungwäre ein ganz normal gewer-
besteuerpflichtiges Geschäft und würde sogar zu
mehr Steuereinnahmen führen.
Aber die Frage des „Dürfens” geht darüber hinaus.
Die Liberalisierung des Energiemarktes seit 1990
hat dezentrale Stromerzeugungsanlagen über-
haupt erst möglich gemacht. Geschichtlich war
das Stromnetz ein reines Verteilnetz für Strom,
der an vergleichsweisewenigenOrten durch große
Anlagen erzeugt und im Höchstspannungsbereich
in Übertragungsnetze gegeben wurde. Erst mit
der Liberalisierung wurde es überhaupt möglich,
dass viele kleine Anlagen in das Netz einspeisen,
und zwar im Bereich der Mittel- und Niederspan-
nung in die Verteilnetze. Die Möglichkeit der frei-
en Wahl des Stromlieferanten war ein erheblicher
Fortschritt. Die Liberalisierung kommt nun aber
an ihre Grenzen. Wenn man vor Ort Strom erzeugt
und dieser gleich dezentral genutzt werden soll,
ist es sehr ungünstig, wenn jeder Letztverbraucher
frei entscheiden kann, seinen Strom irgendwo zu
kaufen. Dadurchwird der lokal erzeugte Stromam
Ende doch wieder ins Netz gespeist.
Natürlich stellt sich die Frage des Verbraucher-
schutzes. Vor langer Zeit hattenMieter einmal ganz
liberalisiert die freie Wahl ihres Kohlelieferanten
für die Kachelöfen. Zwischenzeitlich hat mit der
Umstellung auf zentrale Beheizung der Vermieter
dieRolle des Letztverbrauchers übernommen, denn
er kauft Gas oder Fernwärme ein.Warumsollte das
beimStromnicht auch so sein?Warumsollte in Fäl-
len der Vor-Ort-Erzeugung der Stromnicht zur Ver-
mietung dazugehören dürfen? Warum sollte er in
diesen Fällen nicht Teil der Betriebskosten werden
dürfen? Selbstwenn20%allerMehrfamilienhäuser
diesenWeg gehenwürden, würde esmit etwa 3 bis
5 TWh pro Jahr nur 1% des gesamten deutschen
Strommarktes betreffen.
Die Zukunft der Stromerzeugung ist noch lange
nicht zu Ende gedacht. Ein aktueller Ansatz ist der
sog. zellulare – d. h., Erzeugung und Verbrauch
werden auf möglichst regionaler Ebene ausbalan-
ciert, bevor überregionale Ausgleiche erfolgen.
Damit würden neue Freiräume für neue Konzep-
te in der Energieversorgung entstehen. Der VDE
Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informa-
tionstechnik hat 2015 eine Studie dazu vorgelegt.
Wollen
Aber lassen Sie uns abschließend über das „Wollen”
sprechen. DieWohnungswirtschaft will die dezen-
trale Energiezukunft mitgestalten. Dafür gibt es
mehrere Gründe: Lokal erzeugter Stromvorrangig
aus erneuerbaren Energien genießt ein sehr gutes
Image und trägt so auch zur Mieterbindung bei.
Für Wohnungsunternehmen entstehenmit Strom-
erzeugung und -verkauf sowieMessdienstleistung
zusätzlicheGeschäftsfelder. Die vorhandene Tech-
nik stellt alles Notwendige zur Verfügung und pro-
fessionelle Partner wie Planer, Contractoren oder
Stadtwerke stehen bereit. Aber vom „Können” her
gesehen, müssen es wirtschaftliche Investitionen
sein. Wie stellt man das sicher, wenn sich während
einer Planungsphase dieGesetze ändern? Seit 2009
ist eine Atemlosigkeit eingetreten bei KWKG, EEG,
EnEV, EnWG, Energie- und Stromsteuergesetz,
und das sind noch nicht alle. Ständig wird nachge-
steuert. Damit ändern sich Anforderungen, Förde-
rungen, Steuern und Abgaben an der Grenze zur
Unplanbarkeit. Wäre es vielleicht möglich, einmal
fünf Jahre lang alles so zu lassen, wie es gerade
ist, und dann in Ruhe zu evaluieren, wie die Geset-
ze sinnvoll weiterentwickelt werden sollen? Es ist
klar, dass dieser Stoßseufzer naiv ist. Trotzdem ist
der Verweis auf die Änderungswut wichtig: Denn
an ihr kann die wirtschaftliche Umsetzung eines
Projekts scheitern.
Ein letzter „Wollen”-Punkt. Was will die Gesell-
schaftmit demEnergiesystem? Es soll klimaneutral
werden; alles andere scheint Mittel zum Zweck zu
sein: die Digitalisierung, das Demand-Site-Ma-
nagement, die Prosumer-Diskussion, die dezen-
trale Erzeugung und direkte Nutzung von Strom.
Die EU-Strategie für die Wärme- und Kälteerzeu-
gung vom Februar 2016 verweist darauf, dass die
Mitgliedstaaten sich noch nicht umfassendmit ih-
ren eigenen Hindernissen zur Ausschöpfung des
wirtschaftlichen Potenzials kleiner KWK-Anlagen
beschäftigt haben. In der Tendenz vonHaushalten,
selbst Strom zu erzeugen, werden Möglichkeiten
der Kostendämmung gesehen. Die EU plant An-
reize für die Bürgerbeteiligung am Energiemarkt
durch dezentrale Stromerzeugung und dezentralen
Stromverbrauch. ImZentrumder Strategiemüssen
die Verbraucher stehen, sagt die EU-Kommission
ganz klar. Wenn sich Wohnungsunternehmen im
Bereich der dezentralen Energieerzeugung enga-
gieren, liegt der Fokus genau dort: beim Verbrau-
cher und beimbezahlbarenWohnen in lebenswer-
ten Quartieren.
Dr. Ingrid Vogler
Referentin Energie, Technik, Normung
GdW
Berlin
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