ENERGIE UND TECHNIK
38
6|2016
Vorbild Dollnstein
Berlin ist jedoch keineswegs Vorreiter. Bundes-
weit zumindest für Fachkreise interessant wur-
de das erste kalte Wärmenetz in Dollnstein. Hier
sitzt Ratiotherm, ein Hersteller von Speichern
und Wärmepumpen, der dieses Netz auch für die
Gemeinde plante. „Praktischerweise mussten
hier 2013 kommunale Wasserleitungen und die
Straßen erneuert werden“, so Sascha Emig, Ver-
triebsleiter bei Ratiotherm. Voruntersuchungen
zu einem ursprünglich geplanten „heißen“ Wär-
menetz ergaben, dass dies nicht wirtschaftlich
zu betreiben sei. Dies läge insbesondere an der
mangelnden Dichte der Bebauung und der Ent-
fernung zur Heizzentrale, die zu großen Netzver-
lusten geführt hätte.
Neue Infrastruktur: Ansatz für
Wohnungswirtschaft
Genau hier liegt auch der Ansatzpunkt für die
Wohnungswirtschaft: Da, wo in einem Wohn-
gebiet kein Fernwärmeanschluss lohnt und eine
Erneuerung oder der Neubau der Infrastruktur
sowieso ansteht, könnte auch die Wirtschaftlich-
keit eines kalten Wärmenetzes geprüft werden.
In Dollnstein kam ein weiterer Vorteil hinzu:
Hier mussten nicht viele einzelne Investoren
überzeugt werden, denn die Kommune und der
ansässige Versorger waren selbst Bauherren. „Wir
haben die Planung und Ausführung des Nahwär-
menetzes über unser Kommunalunternehmen
Energie Dollnstein abgewickelt“, so Wolfgang
Roßkopf, erster Bürgermeister von Markt Dolln-
stein. Dennoch musste bei der Bevölkerung Über-
zeugungsarbeit geleistet werden. „Bei verschie-
denen Veranstaltungen konnten die Bürger von
dem Vorhaben überzeugt werden, eine Verpflich-
tung des Anschlusses der Anschlussnehmer war
jedoch nie vertraglich fixiert“, erklärt Thomas
Kerner, Geschäftsführer von Energie Dollnstein,
das Vorgehen.
Die Vorteile lagen für die Einwohner auf der Hand.
Ein klassisches Wärmenetz hätte 130% Primär-
energieeinsatz bedeutet. Das 2014 installierte
kalte Wärmenetz kommt mit 50% aus. Das hilft
auch der Umwelt. „Verglichen mit einem klassi-
schen Wärmenetz spart die Dollnsteiner Lösung
55% CO
2
ein, gegenüber mehreren dezentralen
Erzeugungssystemen sind es sogar 70%“, rechnet
Emig weiter.
1,3 Mio. € investierte die Gemeinde bisher in
das Netz, an das alle kommunalen Wohnungen
angeschlossen wurden. Durch die hohe Anschlus-
squote ist auch sichergestellt, dass das Minimum
von 1 Mio. kWh Abnahme im Jahr garantiert ist
und überboten wird. Haushalte haben den Vorteil,
dass Anschaffungskosten und Reparaturkosten
entfallen. Und die Abhängigkeit von steigen-
den Brennstoffkosten hat sich ebenfalls stark
reduziert. „Die angeschlossenen Gebäude und
Wohneinheiten der privaten Anschlussnehmer,
darunter auch Objekte der Marktgemeinde wie
Rathaus, Schule, Sporthalle und DJK-Einrichtun-
gen, werden bestens mit Nahwärme versorgt“, so
Kerners aktuelles Fazit.
Ratiotherm plante und entwickelte das Konzept
komplett im eigenen Haus. Speziell für dieses
Netz wurden die Netzübergabestationen entwi-
ckelt. Konzeption und Planung dauerten zwei
Jahre. Bis der letzte Anschlussteilnehmer am
Netz ist, wird es jedoch noch etwas dauern. Vie-
le Abnehmer wurden im ersten Schritt nur für
später angeschlossen, da die jetzige Heizung
noch funktioniert.
Weitere Projekte
Der erfolgreiche Pilot des kalten Nahwärmenet-
zes in Dollnstein hat einige Kommunen bereits zur
Nachahmung motiviert. Bis heute wurden Netze
in Bodenmais (Niederbayern) umgesetzt sowie
momentan ein Neubaugebiet in der Stadt Haß-
furt (Unterfranken) imNeubaugebiet Osterfeld II.
Hier wird dank eines hocheffizienten BHKWs und
der Solarthermie sogar ein Primärenergieeinsatz
von nur 40% benötigt. Die Solarthermie soll im
Sommer sogar den kompletten Warmwasserbe-
darf abdecken.
Übergabestation von kaltem Wärmenetz in Wohngebäude
Quelle: Ratiotherm
Für die Wohnungswirtschaft ist ein kaltes Nahwärmenetz besonders
dann interessant, wenn eine Neuverlegung der Infrastruktur ansteht
oder ein neues Baugebiet erschlossen wird und gleichzeitig der
Anschluss an ein Fernwärme- oder Gasnetz nicht rentabel ist. Die
Nähe von Wohnungsunternehmen und kommunaler Versorgungs-
wirtschaft ist dabei sicherlich nicht von Nachteil. Folgende Kompo-
nenten sind für einen effizienten Betrieb eines kalten Wärmenetzes
nötig:
• Netz, entweder isoliert (für Vorlauftemperaturen von 30 °C und
mehr) oder nicht isoliert (für Vorlauftemperaturen von 10 °C), von
1.000 bis 4.000m Länge,
• Blockheizkraftwerk (Brennstoff nach Möglichkeit; zum Befeuern
des Netzes mit Wärme sowie der Versorgung der Wohnungen und
der Wärmepumpen mit Strom und
• herkömmlicher Kessel (Brennstoff nach Möglichkeit) – zur Ab-
deckung der Spitzenlasten und als Backup gegen Blackouts des
Systems oder bei Wartungen des BHKW,
• Speicher für überschüssige Wärme,
• Wärmepumpen in jedem Haus oder für mehre Häuser zum Anheben
der Netztemperatur für Heizung bzw. Warmwasser,
• optional: Solarthermieanlage zur Befeuerung des Netzes
SINNVOLLE KOMPONENTEN EINES KALTEN
WÄRMENETZES