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11|2015
Keine Zeit für Beteiligung? Von wegen.
Neue Projekte braucht das Land.
Beteiligung? In diesen Zeiten? Das sei doch ein alter Hut, sagt so
mancher, mit dem ich in diesen Tagen spreche. Die Ereignisse über-
schlagen sich, die Flüchtlingskrise ist die größte Herausforderung der
Nachkriegszeit für unsere Gesellschaft. Täglich kommen bis zu 10.000
Flüchtlinge ins Land. Bis August dieses Jahres wurden bereits 260.000
Asylanträge gestellt – und die Zahlen steigen.
Eine Haltung hilft
Die Mehrheit der Deutschen ist sich einig: Wir helfen! Das sei Men-
schenpflicht. „Moral hat immer Recht“, spottete der Journalist Hajo
Schumacher kürzlich bei einem Vortrag. „Moralisten“ gelten vielen als
weltfremd. Ich spreche deshalb lieber von der richtigen Haltung. Was
das ist? Nun, letztlich geht es um eine Strategie, aber auch um das eige-
ne Menschenbild. Eine gefestigte Haltung hilft jedenfalls, in Krisenzei-
ten das Richtige zu tun.
Eine Haltung entwickelt ein Unternehmen nicht über Nacht. Das ist
ein Prozess, der auch die Mieter oder besser die Nachbarschaften mit
einbeziehen sollte. Es bedarf mehrerer Bausteine, beginnend mit der
Formulierung von Leitsätzen, die uns Orientierung geben. Wie sonst
will man den besorgten Anfragen von Mietern begegnen? Die Mieter
und Mitglieder wollen Klartext und keine wolkig formulierten PR-Texte.
Die Flüchtlinge sind da, viele werden bleiben und müssen in unsere
Gesellschaft integriert werden. Wer sich engagiert, kann den Prozess
zumindest in Teilen steuern.
Die Willkommenskultur der vergangenen Monate ist gut, aber nur
ein erster Schritt. Die darauf folgenden werden schwieriger sein. Wir
brauchen neue Gestaltungskraft, um den unausweichlichen Wandel zu
lenken.
Betroffene dieser Entwicklung sind nicht nur die Flüchtlinge. Betroffen
sind wir alle. Also gilt es, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen. Ich
persönlich gehe auf die neuen Bewohner zu und beteilige mich an den
Debatten der Freiwilligen. Ich genieße die neue Gemeinsamkeit, die
sich gebildet hat und weiterentwickelt. Neue Netzwerke bilden sich,
spannende Gruppen setzen sich da zusammen. Sie bilden sich schnell
und teilweise unabhängig von gewohnten Strukturen.
Um Rat gefragt, antworte ich: Wir brauchen gute Netzwerke, um diese
Krise zu stemmen, um neue Strategien zu entwickeln. Man muss be-
stehende Netzwerke und Kontakte jetzt prüfen. Und es ist Zeit für neue
Netzwerke, für weitere runde Tische.
Nachbarschaftsexperten
Welche Investitionen bringen uns weiter? Beispielsweise solche in den
Ausbau des Sozialmanagements oder auch in den Bau einer Flücht-
lingsunterkunft. Es ist die Zeit schneller Projekte, trotz notwendiger
nachhaltiger Überlegungen. Man sollte sich nicht scheuen, Visionen zu
haben.
Es zeichnen sich vollkommen neue Aufgaben für die Unternehmen ab.
Wie wird das Sozialmanagement fit? Hilft ein Flüchtlingsbeauftragter
im Unternehmen? Es geht darum, die Nachbarschaftstreffs zu stärken,
die Mitglieder und Mieter zu unterstützen, wenn sie helfen wollen.
Ehrenamtliche Jobs lassen sich perspektivisch zu Teilzeitjobs auf-
werten, Neubürgern könnte ihre Integration durch Minijobs erleichtert
werden.
Nach der Rolle von Wohnungsgenossenschaften in der Krise befragt,
antworte ich: Wir sind doch Nachbarschaftsexperten. Stellen wir uns an
die Spitze der Bewegung. Auf keinen Fall sollten wir uns zurückziehen
und die Krise „aussitzen“. Die vielen ehrenamtlich Aktiven machen es vor.
Was können wir tun: Bauen, Nachbarschaft, Beteiligung
Neues bauen: Es fehlt an Wohnraum, an einfachen Unterkünften.
Die Politik baut keine Häuser, das tun wir. Und wir sollten auch dort
bauen, wo die Flüchtlinge ihren Weg beginnen – in ihren Herkunfts-
ländern.
Meine Nachbarschaftsvision: Alle Wohnungsunternehmen, alle Genos-
senschaften schreiben Mieter und Mitglieder persönlich an und laden sie
ein, eine Patenschaft für einen Flüchtling zu übernehmen. Dazu können
sich Nachbarn oder auch eine Hausgemeinschaft zusammentun. Diese
Patenschaften müssen begleitet werden, von entsprechenden Organisati-
onen, unterstützt vom Sozialmanagement des Unternehmens.
Beteiligung: Bei Genossenschaften gab und gibt es die Muskelhypothek.
Warum sollte man nicht Flüchtlinge mit entsprechender Ausbildung
beim Aufbau von Fertighäusern beteiligen?
Welche Ideen haben Sie? Schreiben Sie mir.
ZWISCHENRUF
Holger Kowalski
Hamburg
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