DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 9/2015 - page 59

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Seit 115 Jahren ist die soziale norddeutscheWoh-
nungswirtschaft vereint. 1900 in Ellerbek bei Kiel
wurde der „Verband Schleswig-Holsteinischer
Baugenossenschaften“ gegründet. 1934 erhielt er
den Namen „Verband norddeutscher Wohnungs-
unternehmen e. V.“ und die Wohnungsgenossen-
schaften und -gesellschaften aus Hamburg und
Mecklenburg kamen hinzu. Der damalige Drei-
Länder-Verband existierte nur bis 1945, dieWoh-
nungsunternehmen aus Mecklenburg schieden
aufgrund der Teilung Deutschlands danach aus.
Genossenschaftliches Leben und
Wohnungsbau
Nach der Wende mussten sich die Unternehmen
in Mecklenburg-Vorpommern komplett neu
orientieren. Die Umstellung der Strategie und
Struktur in einer völlig anderen Wirtschafts- und
Rechtsordnung war eine große Aufgabe für die
Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland. In der
DDRwaren sie volkseigene Betriebe in Formeiner
kommunalen Wohnungsverwaltung bzw. Gebäu-
dewirtschaft. Daneben gab es die traditionellen
Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG)
und die gemeinnützigen Genossenschaften (siehe
hierzu auch S. 52 in dieser DW).
Viele wurden in den 1950er Jahren gegründet,
einige wenige, wie etwa die Greifswalder Genos-
senschaft, bereits im 19. Jahrhundert (1895).
Die AWG gehörten einem Trägerbetrieb an, des-
sen Mitarbeiter Mitglieder der AWG waren bzw.
wurden. Der genossenschaftliche Gedanke war tief
verankert und wurde von den Mitgliedern gelebt.
Werner Stoll, ehemaliger Vorstandsvorsitzender
der Wohnungsgenossenschaft Schiffahrt-Hafen
Rostock eG, sieht hier kaum einen Unterschied
zu den heutigen Genossenschaften. „Das genos-
senschaftliche Leben war nicht schlechter oder
ist heute nicht wesentlich besser als früher. Das
ist unabhängig von der Gesellschaftsordnung, ob
sozialistisch oder kapitalistisch. Die Leute waren
damals froh, dass sie eine Wohnung über ihren
Betrieb bekommen konnten. Nummer 1 war also
der Job, Nummer 2 dieWohnung. Viele haben den
Job gewechselt, um in einen Betrieb zu gelangen,
der auchWohnungen in AWG vermitteln konnte.“
Viele AWG-Wohnungen wurden mit eigener Mus-
kelkraft aufgebaut, gemeinsame Aktivitäten wie
Hausfeste gehörten zum genossenschaftlichen
Leben in der DDR.
In Mecklenburg-Vorpommern wurden von 1970
bis 1990 jährlich rund 10.000 Wohnungen in
industrieller Plattenbauweise gebaut. Die Miete
bewegte sich zwischen monatlich 0,35 Mark/m
2
für Altbauten und 1,30 Mark/m
2
für moderne
Wohnungen – warm wohlgemerkt.
Neuorientierung, Restrukturierung und
Patenschaften
Mit der Wiedervereinigung änderten sich abrupt
die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen. Die Wohnungsunternehmen mussten
ihre Unternehmenspolitik vollkommen neu struk-
turieren. Wilfried Wollmann, der seit 1978 in der
Wohnungswirtschaft tätig war, erst als Techniker
der AWG, dann ab 1990 Vorstand dieser Genos-
senschaft, dessen Vorsitz er von 1995 bis 2013
innehatte, erinnert sich: „Wir haben uns gefragt:
Wie funktionieren Genossenschaften imWesten?
Aber es war ja zuerst keiner da, der es uns erzählen
konnte.“ Ein gutes Beispiel ist dieMiete. „Das war
keine Zahl, mit der gearbeitet wurde, weil über
Stützungen die Wirtschaftlichkeit kein Problem
war“, erklärt er. Zur Wende habe man gemerkt,
dass man die Gesamtquadratmeterwohnfläche gar
nicht kannte. Zudemwurde das, was an Zahlungen
für Wärme, Warmwasser etc. zu leistenwar, in der
gleichen Summe als Einnahme geplant. „Das Geld
kam ja nicht aus den Mieten, bei 1,30 Mark/m
2
Warmmiete. Alles war Warmmiete; wir kannten
das Thema Kaltmiete gar nicht.“
Wollmann und seine Kollegen entschlossen sich
daher, Rat bei einer Wohnungsgenossenschaft aus
demWesten zu holen. Dies war die Gemeinnützige
Baugenossenschaft Bergedorf-Bille eG in Ham-
burg. Daraus entwickelte sich eine freundschaft-
liche Zusammenarbeit. Viele andereMitgliedsun-
ternehmen aus Hamburg und Schleswig-Holstein
wurden ebenfalls „Paten“ für Wohnungsunterneh-
men in Mecklenburg-Vorpommern. Es bestanden
über 70 betriebliche Partnerschaften, die vielfach
noch heute existieren.
Verbandsgründung
Am 2. Mai 1990 kam es zur Gründung des Ver-
bandes mecklenburgisch-vorpommerscher Woh-
nungsunternehmen e. V. Die Idee war damals, eng
mit dem VNW zusammenzuarbeiten und einen
Kooperationsvertrag zu schließen. Uwe Blöcker,
VNW-Verbandsdirektor von 1990 bis 1995, bear-
beitete damals den Entwurf des Kooperationsver-
trages: „Bei der Lektüre des Vertragsentwurfes ist
mir klar geworden, dass das alles dummes Zeug
ist. Jede Kooperation würde nur halben Kram be-
deuten. Ich habe mir gesagt: Wir sollten gleich
Nägel mit Köpfen machen. Daher habe ich aus
dem Kooperationsvertrag einen Vertragsentwurf
für eine Fusion gemacht und den zur Diskussion
gestellt. Am Ende des Tages waren wir uns einig,
dass es zur Fusion kommen sollte.“
So kam es dann auch. Am 2. November 1990
ratifizierten beide Verbandsvorstände eine Ver-
einbarung zur Verschmelzung zum 1. Januar
1991 unter dem Namen „Verband norddeut-
scher Wohnungsunternehmen e.V. Hamburg
– Mecklenburg-Vorpommern – Schleswig-Hol-
stein“. Damit gehört Mecklenburg wieder – wie
vor 1945 – zum Verbandsgebiet des VNW. Die
Arbeitsgemeinschaft mecklenburgisch-vorpom-
merscher Wohnungsunternehmen e.V. wurde am
13. Dezember 1990 in Schwerin als Rechtsnach-
folgerin des eigenen Verbandes und als regionale
Teilgliederung des VNW gegründet. Der Landes-
geschäftsstelle in Schwerin kam große Be-
Lena Fritschle
Referentin Kommunikation,
Pressesprecherin
VNW
Hamburg
Quelle: Wohnungsbau-Genossenschaft Greifswald eG, Foto: Henry Dramsch
In den 1990er Jahren erhielten viele Wohnungen in Mecklenburg-Vorpommern im
Rahmen von Modernisierungen Balkone und Wintergärten. Dies verbesserte u. a. die
Wohnqualität für die Mieter
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