DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 9/2015 - page 53

Die Wohnungswirtschaft 25 Jahre nach der Wiedervereinigung
Ein Paradebeispiel gelebter deutscher Einheit
Die deutsche Wiedervereinigung vor 25 Jahren war beides: ein historischer Glücksmoment und ein
gravierender Wendepunkt – nicht nur für die Menschen in Ost und West, sondern auch für die deutsche
Wohnungswirtschaft. Mit dem Mauerfall stand auch unsere Branche, wie viele weitere Akteure, plötzlich
vor enormen Herausforderungen, aber gleichzeitig auch vor vielen Chancen.
Seit nunmehr 25 Jahren arbeiten die Wohnungs-
unternehmen in Ost und West gemeinsam daran,
Städte und Wohnungsbestände zukunftsfähig zu
machen. DieWohnungswirtschaft hat seitdem fast
300 Mrd. € in Neubau und Bestand investiert.
Im Zuge des Übergangs zur Marktwirtschaft war
die Klärung der Eigentumsverhältnisse in der ost-
deutschen Wohnungswirtschaft eine der ersten
Herausforderungen. Konkurrierende Restitutions-
ansprüche verzögerten die Stadtentwicklung, in
einigen Fällen bis zumheutigen Tag. Eine weitere
Mammutaufgabe: die schrittweise Anpassung der
Mieten in den neuen Ländern.
Altschulden, Leerstände, Energieeffizienz
Starker Aufholbedarf bestand vor allem bei der
Wohnungsinstandhaltung und -sanierung und dem
Städtebau. Hinzu kam das Altschuldenproblem:
Von den damals über 3,4 Mio. kommunalen und
genossenschaftlichen Wohnungen Ostdeutsch-
lands waren 2,8Mio. mit Altschulden belastet. Bis
1993 stieg die Gesamtaltschuldenlast auf 51Mrd.
DM an. Zur Sicherung ihrer Existenz mussten die
Wohnungsunternehmen aufgefangenwerden. Mit
demAltschuldenhilfe-Gesetz 1993wurden sie von
einem Teil der Schulden entlastet und verbesser-
ten damit ihre Kredit- und Investitionsfähigkeit.
Für die spätere zusätzliche Schuldenentlastung
bei abzureißenden Wohnungen, vor allem auch
imRahmen des Stadtumbau Ost, gibt es allerdings
seit 2014 keine Anschlussregelung.
Beim notwendigen Rückbau von Wohnungen in
Ostdeutschland infolge des starken Bevölkerungs-
rückgangs unternahmen die GdW-Unternehmen
enorme Anstrengungen. Dadurch sanken die Leer-
stände in den neuen Bundesländern in den vergan-
genen Jahren kontinuierlich. Allerdings zeichnet
sich hier eine Trendwende ab: Ostdeutschland
steht angesichts einer deutlich rückläufigen Zahl
von Haushalten ganz aktuell vor einer neuen Leer-
standswelle. Die Zahl der Abrisse reichte nicht,
um die Ziele des Programms „Stadtumbau Ost“
zu verwirklichen. Die derzeit laufende Evaluierung
der Stadtumbauprogrammemuss daher zu einem
Maßnahmenpaket führen, mit demdieWohnungs-
wirtschaft den notwendigen Rückbauwirtschaft-
lich tragbar bewältigen kann.
Eine der Erfolgsgeschichten der Wiedervereini-
gung: Die ostdeutschen Wohnungsunternehmen
sind heute Vorreiter bei der Gebäudesanierung.
Seit 1990 haben sie bereits 86,7% der Gebäude
energetisch voll- oder teilmodernisiert. ZumVer-
gleich: In Gesamtdeutschland liegt dieser Wert
derzeit bei rund 65%.
In der Tradition der Gemeinnützigkeit
Insgesamt ist die Wohnungswirtschaft ein Pa-
radebeispiel gelebter Einheit. So hat in den ver-
gangenen 25 Jahren nicht nur eine umfassende
Transformation des ostdeutschen Wohnungswe-
sens, sondern mit demWegfall der Wohnungsge-
meinnützigkeit auch ein tiefgreifender Wandel in
der westdeutschenWohnungswirtschaft stattge-
funden. Nach dem Fall der Mauer haben die Woh-
nungsunternehmen und die Verbände in Ost und
West sehr schnell zueinander gefunden und sich
in der Tradition der Gemeinnützigkeit gegenseitig
Hilfe zur Selbsthilfe geboten. Gelebte Einheit in
der Wohnungswirtschaft hieß z. B. auch, dass die
Branchen-Tarifverträge in den neuen wie in den
alten Bundesländern in kürzester Zeit angeglichen
wurden.
Gemeinsammit der Politik hat die gesamtdeutsche
Wohnungswirtschaft seit der Wende passende Lö-
sungen für einen stabilen Wohnungsmarkt in der
neuen Bundesrepublik realisiert. Angesichts der
wachsenden Gefahr überforderter Wohnquartiere
wurde z. B. mit dem Programm „Soziale Stadt”
eine optimale Antwort gefunden, die unsere Städ-
te vor Fehlentwicklungen bewahrt.
Gemeinsame Herausforderungen
Ein Vierteljahrhundert nach der Wende sind die
wohnungspolitischen Herausforderungen nun
nicht mehr nach Himmelsrichtung einzuordnen.
Die Unterschiede zwischen Schrumpfungs- und
Wachstumsregionen prägen heute das „Gesicht“
der deutschen Wohnungsmärkte – und diese be-
stehen sowohl in den neuen als auch den alten
Bundesländern.
Die Wohnungsunternehmen in ganz Deutschland
haben es längst vielerorts mit den gleichen Her-
ausforderungen zu tun: Die Alterung der Gesell-
schaft macht neue Wohnformen und Innovatio-
nenwie technische Assistenzsysteme notwendig,
die Digitalisierung führt zu einer Revolution des
Wohnkomforts und die Zuwanderung stellt Staat
und Wohnungswirtschaft gemeinsam vor neue
Aufgaben der Unterbringung. Es gilt, in schrump-
fenden Gebieten Wohnungsmärkte zu stabilisie-
ren und in wachsenden Gebieten Wohnraum zu
schaffen. Dafür werden sich die Wohnungsunter-
nehmen, wie in den vergangenen 25 Jahren, auch
weiterhin mit großem Engagement gemeinsam
einsetzen.
Die Politikmuss hier dieWeichen in Richtung eines
zukunftsfähigen gesamtdeutschen Wohnungs-
marktes stellen, damit die Wohnungswirtschaft
auch weiterhin ihrer Hauptaufgabe nachkommen
kann: bezahlbares Wohnen für breite Schichten
der Bevölkerung anzubieten.
Axel Gedaschko
Präsident
GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen e. V.
Berlin
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