DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 12/2015 - page 45

43
12|2015
freien Wohnungsmarkt nicht mehr leisten. Die
Wartelisten für Sozialwohnungen sind lang. Oft
bleibt nur noch der Ausweg in die weiter ent-
fernten Vorstädte.
Es gibt mehrere Gründe für die angespannte
Wohnungssituation in der französischen Haupt-
stadt. Paris ist im Vergleich zu anderen Haupt-
städten – was die Fläche betrifft – relativ klein:
Auf mehr als 100 km
2
drängen sich 2,2 Mio.
Menschen. Berlin mit 3,4 Mio. Einwohnern ist
fast neunmal größer.
Außerdem werden nach Schätzungen der Stadt
Paris etwa 30.000 Wohnungen dauerhaft und in
den meisten Fällen illegal an Touristen vermietet.
Es fehlt an neuen, vor allem bezahlbaren Woh-
nungen. Daher sieht das aktuelle Pariser Wohn-
bauprogramm vor, zwischen 2011 und 2017
jährlich rund 2.000 Wohnungen bereitzustellen.
Dies soll durch Neubau, Kauf und den Umbau von
vorhandenen Gebäuden geschehen.
Günstige, energieeffiziente Wohnungen
Ein Beispiel dafür ist das Projekt Église Lour-
mel im dicht besiedelten 15. Arrondissement.
Auf dem Gelände einer ehemaligen Fabrik von
France Télécom hat die Stadt Paris drei Gebäude
für sozial benachteiligte Menschen gebaut. Sie
bieten 54 Sozialwohnungen und 101 Apartments
für Senioren. Darüber hinaus ist in den Gebäu-
den eine Tagesstätte für Obdachlose und eine
Kindertagesstätte untergebracht. Eigentümer
des 2015 fertiggestellten Projekts ist die größte
kommunale Wohnungsbaugesellschaft in Frank-
reich: Paris Habitat OPH. Sie verwaltet in Paris
mehr als 120.000 Wohnungen. Rund 10% davon
befinden sich in Außenbezirken; rund ein Drittel
wurde vor 1948 gebaut. Menschen mit niedrigen
Einkommen müssen für eine Sozialwohnung von
Paris Habitat zwischen 5 und 6,30 €/m
2
bezah-
len, wer über ein mittleres Einkommen verfügt
zwischen 12 und 17 €. Zum Vergleich: Auf dem
freien Wohnungsmarkt werden durchschnittlich
20 bis 22 €/m
2
verlangt.
Église Lourmel ist keine in sich geschlossene Sied-
lung. Die drei bewusst unterschiedlich gestalteten
Gebäude befinden sich auch nicht alle auf einem
Grundstück, sondern an zwei verschiedenen Orten
– am Rand und im Zentrum eines sehr heterogen
und dicht bebauten Häuserblocks. Alle drei Ge-
bäude entsprechen dem Standard von Niedrig-
energiehäusern mit einem durchschnittlichen
Primärenergieverbrauch von 50 kWh/m
2
/Jahr.
Ihre Außenhülle ist gut gedämmt; die Fenster sind
dreifach verglast. Auf den Dächern befinden sich
Solaranlagen. Die Wohnungen sindmit Lüftungs-
anlagen ausgestattet und werdenmit Fernwärme
versorgt.
Ziel: soziale Mischung
Das Gebäude amRand des Blocks fällt durch seine
transparent wirkende türkisfarbene Fassade auf.
Sie besteht aus Profilbauglas. Das kompakte, sich
nach oben hin verjüngende Eckgebäude hat acht
Stockwerke und bietet auf 2.520 m
2
Platz für 30
Sozialwohnungen und ein Ladengeschäft im Erd-
geschoss. Im7. Stock steht allen Bewohnern eine
große Dachterrasse zur Verfügung. Rund um das
Gebäude gibt es kaum Freiflächen. Daher haben
dieWohnungen, so die Architekten, große Fenster,
die zudem an traditionelle Pariser Werkstattge-
bäude erinnern.
An diesem Haus vorbei führt ein Weg zu den bei-
den anderen Gebäuden in der Mitte des Blocks.
Sie gruppieren sich u-förmig um einen Platz mit
Grünflächen und sind für Menschen konzipiert,
deren Alter, Lebensstil und sozialer Hintergrund
recht unterschiedlich sind. Imwestlichen Bau be-
finden sich die Tagesstätte für Obdachlose, ein
Kindergarten und ein Seniorenheim. Das östliche,
mit Holz verkleidete Gebäude bietet 24 Sozial-
wohnungen. Laut SemPariSeine, dem Bauherrn
von Église Lourmel, war den Verantwortlichen
wichtig, das Zusammenleben sehr unterschied-
licher Menschen zu fördern. Gleichzeitig wollten
sie den Komplex offen gestalten. Die Gebäude
sollen für jedermann zugänglich sein – Besucher,
Nachbarn oder sonstige Bürger. Ob dies gelingt,
wird die Zukunft zeigen.
Gebäude am Rand des Blocks mit 30 Sozialwoh-
nungen und einem Ladengeschäft
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52,53,54,55,...92
Powered by FlippingBook