76
4|2015
MARKT UND MANAGEMENT
Interview mit Constanze Victor
„Thüringens Wohnungswirtschaft
befindet sich am Beginn einer zweiten
Sanierungswelle.“
Der Verband der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vtw.) hat seit dem 1. Januar 2015
eine neue Spitze. Constanze Victor bekam Anfang Dezember 2014 offiziell den Staffelstab als neue
Verbandsdirektorin überreicht. Hans-Joachim Ruhland verabschiedete sich gleichzeitig nach 15 Jahren
Vorstandstätigkeit in den Ruhestand. Die DW fragt nach Plänen und Perspektiven der 49-jährigen
ehemaligen Direktorin der Thüringer Aufbaubank (TAB).
Quelle: vtw
Liebe Frau Victor, herzlichen Glückwunsch
zum neuen Amt! Wie wollen Sie den Lan-
desverband in Zeiten der Zersplitterung der
wohnungswirtschaftlichen Interessenvertre-
tung, Zeiten, in denen immer mehr Entschei-
dungen aus Brüssel und Berlin kommen, in
die Zukunft führen?
Es geht mir zuallererst um eine stärkere Vernet-
zung – intern unter unseren Mitgliedsunterneh-
men, aber auch extern mit anderen Verbänden,
Behörden und Institutionen. Die Wohnungswirt-
schaft ist in nahezu alle Bereiche des Lebens in-
volviert. Um hier aktiv zu steuern, müssen sich
die Verbände nochmehr abstimmen. Gleichzeitig
sehe ich unseren Verband aber auch in der stärke-
ren Verantwortung als Dienstleister, u. a. um die
regulatorischen Anforderungen aus Brüssel und
Berlin umzusetzen. Dies wird für jedes Einzelun-
ternehmen nicht mehr zu leisten sein.
Stichwort Schwarmstädte und tote Dörfer:
Sie haben bereits in den ersten Wochen Ihrer
Amtszeit vor einem „Leerstands-Tsunami“
gewarnt. Warum steht die Existenz von
Wohnungsunternehmen in Thüringen auf
der Kippe?
In den nächsten Jahren drohen Thüringen Bevöl-
kerungsverluste so groß wie die Einwohnerzahl
von Jena und Erfurt zusammen. Schon jetzt ste-
hen im Freistaat 7% der 1,17 Mio. Wohnungen
leer. In einzelnen Regionen, wie z. B. im Alten-
burger Land, beträgt der Leerstand mehr als
12%. Für fast die Hälfte dieser leer stehenden
Wohnungen gibt es keine Nachfrage mehr. Das ist
jedoch erst der Anfang: 2030 wird der Leerstand
in Thüringen wahrscheinlich auf 22% angewach-
sen sein. Solche Zahlen sind wirtschaftlich nicht
verkraftbar.
Hinzu kommen steigende Anforderungen von
Politik und Gesellschaft – etwa bei Klimawende
oder preiswertem Wohnen. Aus den klassischen
Wirtschaftsmodellen der Wohnungsunterneh-
men kann dies nicht mehr finanziert werden. Fir-
men stehen vor der Alternative, die Miete spürbar
zu erhöhen oder ihre Existenz als wirtschaftlich
arbeitendes Unternehmen zu gefährden.
Wo sehen Sie die landespolitischen Ansatz-
oder gar Angriffspunkte?
Auf jeden Fall in einer Neuausrichtung der För-
derpolitik, verbunden mit einer langfristigen
Planungssicherheit seitens der Politik. Eine res-
sortübergreifende und abgestimmte Strategie für
die Förderung von Infrastruktur, Wirtschaft und
Wohnungsbau ist ebenfalls unerlässlich. Dabei ist
eine Analyse des Wirkungsgrades und der Ausnut-
zung der bereits vorhandenen Förderprogramme
eine Grundvoraussetzung der weiteren Arbeit.
Insbesondere benötigen wir Zuschusskompo-
nenten statt nur Darlehen für nichtrentierliche
Maßnahmen – wie z. B. für altengerechte und bar-
rierearme Ertüchtigung, Wohnumfeldaufwertung
und energetische Sanierung. Gerade der letztere
Bereich liegt auch im gesamtgesellschaftlichen
Interesse.
Wichtig ist ebenfalls, dass der Eigenanteil von
Kommunen in den Programmen der Städtebauför-
derung auch von Dritten übernommen werden
kann. Und: Regionale Unterschiedemüssen flexi-
bel in Thüringens Förderpolitik Berücksichtigung
finden.
Nur so bleibenWohnungen für denMieter bezahl-
bar und für den Vermieter wirtschaftlich.
Zur Zukunft des bezahlbaren Wohnens: Was
kann die Wohnungswirtschaft, was können
Wohnungsunternehmen und -genossen-
schaften, tun? Welche Ansätze sehen Sie?
Bezahlbares Wohnen bedeutet für mich vor al-
lem: Bauen und sanieren mit Weitblick. In Erfurt
beweist gerade die KommunaleWohnungsgesell-
schaft (KoWo), dass dies möglich ist. Die KoWo ini-
tiiert das Forschungsprojekt „Bauenmit Weitblick“
zusammenmit Partnern aus Universitäten, Hoch-
schulen, Architekturbüros undweiteren Experten.
Schon jetzt ist das Projekt ein Kandidat für die In-
ternationale Bauausstellung IBA in Thüringen. Ziel