DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 7/2015 - page 29

Aufstockung und Ergänzung
Grundstückssuche entfällt
Nicht ausgebaute Dachgeschosse oder die Erweiterung der Immobilien durch Aufstockung bieten große
Potenziale für die Schaffung von hochwertigem Wohnraum in zentralen Lagen. Nicht selten bietet sich
im Rahmen eines Dachgeschossausbaus die Möglichkeit, das Gebäude ganzheitlich zu sanieren und auch
optisch aufzuwerten. Ebenfalls lassen sich regenerative Erträge für die Versorgung von Gebäuden mit
Wärme und Strom in diesem Rahmen erschließen.
Attraktiver Wohnraum in der Stadt ist zwischen-
zeitlich zu einem hochgeschätzten Gut geworden.
Kurze Wege, die Anbindung an den öffentlichen
Nahverkehr, eine überwiegend hervorragende In-
frastruktur und nicht zuletzt das kulturelleAngebot
haben bei Verbrauchern, Eigentümern, Investoren
und Bauherren zu einem Umdenken geführt. Galt
noch bis vor wenigen Jahren das Einfamilienhaus
im Grünen als gute (und staatlich geförderte) In-
vestition in die Zukunft, ist es heute zunehmend
die Immobilie in der Stadt. Die Nachfrage steigt,
die vorhandenen Platzressourcenwerden gewinn-
bringend genutzt und im günstigsten Fall werden
Stadträume durchNachverdichtung undNeubauten
aufgewertet sowie Wohnraum geschaffen.
UrbaneWohnbautypologien bieten flexible Grund-
risse mit attraktiven Aufenthaltsqualitäten. Sie
können die vielfältigen Anforderungen der Nut-
zer perfekt erfüllen. Oberste Geschosse verfügen
dabei häufig über die größten Potenziale für eine
individuelle Gestaltung. Der Nachverdichtung in
der Stadt sind aber Grenzen gesetzt, sodass die
Auseinandersetzung mit bzw. der Umbau von
Bestandsgebäuden stärker in den Fokus rücken.
Das Dach spielt eine elementare Rolle
Nicht ausgebaute Dachgeschosse oder die Erwei-
terung der Immobilien durch Aufstockung bieten
große Potenziale für die Schaffung von hochwerti-
gemWohnraum in zentralen Lagen und Ballungs-
räumen. Kosten für das Grundstück und die Er-
schließung entfallen, stattdessenmüssen u. a. die
Themen Statik, Brandschutz und Barrierefreiheit
gelöst werden. Nicht selten bietet sich im Rah-
men eines Dachgeschossausbaus dieMöglichkeit,
das Gebäude ganzheitlich zu sanieren. Ein neues
Dach oder ein neuer oberer Gebäudeabschluss
korrespondiert mit der Fassadengestaltung und
lässt nicht selten auch bei denkmalgeschützten
Gebäuden eine optische Aufwertung zu.
Investitionen in den Dachausbau erfolgen immer
im Zusammenspiel mit der Nutzung und Erwei-
terung der vorhandenen Strukturen. Wird die
Wohnfläche vergrößert, muss die Energiever-
sorgung an den neuen Bedarf angepasst werden.
Bei integriert geplanten Lösungen können sich
daraus – für die gesamte Immobilie vorteilhaft –
Synergien ergeben: So kann die Aufstockung
den Einbau einer Aufzugsanlage erforderlich
machen, was die Barrierefreiheit aller Geschos-
se verbessert. Bei einem Um- oder Ausbau wird
das neue Dach die aktuellen Anforderungen an
den baulichen Wärmeschutz erfüllen, sodass eine
isolierte Betrachtung von Dämmmaßnahmen zur
Verbesserung der Energieeffizienz für dieses
Bauteil entfallen kann.
DemDach kommt in diesem Zusammenhang noch
eine weitere elementare Bedeutung zu: Im Rah-
men eines Dachausbaus lässt sich die Integration
erneuerbarer Energien technisch und gestalterisch
überzeugend lösen, sodass regenerative Erträge
für die Versorgung von Gebäuden erschlossen
werden können. Photovoltaikstrom vom Dach ist
schon heute deutlich günstiger als Strom, der vom
Energieversorger bezogenwird. Bleibt also dieHe-
rausforderung, die rechtlichen Rahmenbedingun-
gen für Gebäude zu schaffen, die vomVerbraucher
zum Erzeuger werden. Aktuelle Beispiele zeigen,
dass durch eine energetische Sanierungmit konse-
quenter Gestaltung Standardswie ein Effizienzhaus
Plus, ein Gebäude mit bilanziellem Überschuss in
der Jahresbetrachtung, unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten erreichbar sind. Am Dach als er-
tragreichste Fläche führt keinWeg vorbei. Typische
Bestände aus 1950er, 1960er und 1970er Jahren
bieten hier ein hohes Potenzial, weil i. d. R. das
Verhältnis vonGeschossigkeit zur nutzbarenDach-
fläche für hohe solare Deckungsanteile günstig ist.
Gleichzeitig bietet hier eine Aufwertung aus Sicht
der Energieeffizienz, der Ästhetik und des Nutzer-
komforts ein hohesMaß anGestaltungsspielraum.
Chancen größer als Risiken
Die Sanierung des Gebäudebestands ist die große
Herausforderung, wenn es darum geht, die poli-
tisch gewollte Energiewende Realität werden zu
lassen. Ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand
bis 2050 kann nur dann erreicht werden, wenn alle
Potenziale konsequent genutzt werden. Dazu ge-
hört die Verfolgung der energetischen und ökolo-
gischen Ziele genauso wie die Betrachtung wirt-
schaftlicher Belange. Mindestens ebenso große
Bedeutung sollte demNutzerkomfort beigemessen
werden. Erst wenn konzeptionell zukunftsfähige,
aber gleichzeitig robuste und bedienerfreundli-
che Lösungen auch die Nutzer überzeugen, können
umfängliche Maßnahmen an Gebäuden in großer
Stückzahl realisiert werden.
Finden im Gesamtkonzept die meisten der o. g.
Aspekte Berücksichtigung, kann von einer nach-
haltigen Umsetzung gesprochen werden. Die
Chancen sind größer als die Risiken und die aktu-
elle Nachfrage sollten Architekten und Ingenieure
nutzen, um Investitionsbereitschaft mit Gestal-
tungsabsichten zu verbinden und hochwertigen,
energieeffizienten und bezahlbarenWohnraum in
der Stadt zu schaffen.
Thomas Wilken
Stellvertretende Institutsleitung
Institut für Gebäude- und Solartechnik
Technische Universität Braunschweig
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