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lateralen Transaktionen oder deren Verkettung
entlang der Supply Chain (Lieferant – Hersteller
– Kunde), sondern auf einer multilateralen Ko-
ordination. Sie umfasst die komplexen Drei-
ecksbeziehungen zwischen Primärleistungsan-
bieter, Komplementoren und (gemeinsamen)
Kunden, häufig unter Beteiligung von Interme-
diären, etwa Value Added Reseller, Handel,
Messeveranstaltern, Multiplikatoren, Logistik-
dienstleistern oder Mietwagenunternehmen.
Eine weitere Facette der Komplexität äußert
sich darin, dass die Netzwerkknoten mehrere
Rollen im Wertschöpfungssystem spielen:
Komponentenhersteller agieren beispielsweise
als Lieferanten im Erstausstattungsgeschäft
und als Komplementoren im Ersatzteilgeschäft.
Komplementoren übernehmen insofern zwei
gegensätzliche Rollen, als sie je nach Koordina-
tionsmodell entweder als Bezugsquelle von
komplementären Sekundärleistungen oder als
Abnehmer von Primärleistungen (wie im Modell
der mehrseitigen Märkte) fungieren. Wettbe-
werber verhalten sich faktisch als „Koopkur
renten“, etwa als Kooperationspartner im
Marktaufbau und Konkurrenten im Vermark-
tungsprozess. Vor allem agieren Kunden als
Ko-Produzenten (z. B. Prosumer), etwa durch
Produktfinalisierung im IKEA-Geschäftsmodell,
als stromerzeugende Stromverbraucher (auf
der Basis von Solaranlagen) oder durch Selbst-
behalte und Schadensminderungspflicht im
Rahmen eines Risk Sharing mit dem Versiche-
rungsdienstleister.
Koordinationsfokus:
360 Grad-Ansatz be-
deutet ferner, die Konfigurationskonstellation
unter Einbeziehung von Koordinationsnutzen
und -kosten in das multifokale Preiscontrolling
zu integrieren. Eine bloße Vervollständigung
von 270 Grad auf 360 Grad reicht hierfür nicht
aus. Vielmehr ist eine Runderneuerung des Pri-
cing-Modells erforderlich, das sich auf alle drei
Parameter (Bedingungen, Ziele und Instrumen-
dennutzen, wenn die einzelnen Komponenten
nicht kompatibel sind oder zeitlich verzögert
bereitgestellt werden. Schließlich wird das
Differenzierungspotenzial des Konfigurations-
pricing nicht ausgeschöpft.
360 Grad-Preiscontrolling
Vor diesem Hintergrund wird ein flächende-
ckender Ansatz benötigt, der zusätzlich zu den
vorhandenen Ansätzen auch die Komplemen-
toren-Konstellation enthält. Ein solcher 360
Grad-Ansatz für das Preiscontrolling setzt sich
aus folgenden Bausteinen zusammen:
Value Net:
Zur Erfassung der Organisation der
Konfigurationsbereitstellung eignet sich das in
Abbildung 3 veranschaulichte Value Net als
Grundlage für ein derart ganzheitliches Preis-
controlling.
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Dabei ist zu beachten, dass dieses
Wertschöpfungsmodell netzwerkförmig ange-
legt ist: Im Gegensatz zu den traditionellen
Supply-Chain-Ansätzen basiert es nicht auf bi-
Controlling-Defizite
Die traditionellen Pricing-Ansätze des kosten-,
kunden- und/ oder konkurrenzorientierten
Preiscontrollings für eine Leistung werden der
generischen Konstellation eines Konfigurations-
marketings nicht gerecht. Außerdem decken
die skizzierten Ansätze für mehrere Leistungen
jeweils nur Sonderfälle ab.
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Vor allem ignorieren
sie die Effekte der Koordination zwischen den
Komplementoren auf die Orientierungsgrößen
für die Preisgestaltung, seien es Kosten, Kun-
dennutzen (z. B. gemessen anhand von Oppor-
tunitätskosten oder Problemlösungsbeiträgen)
oder Differenzierung gegenüber Wettbewer-
bern. Als kontraproduktiv erweist sich deshalb
ein simples additives Vorgehen der Konfigurati-
onspreisermittlung (vgl. Abbildung 2), welches
die Auswirkungen der Koordination auf die
Preisbildung sowie strategische Zielsetzungen
(z. B. Kundenbindung) vernachlässigt.
Aufgrund dieser Defizite werden die Angebote
von Leistungskonfigurationen möglicherweise
zu teuer, vor allem, wenn bei den Kunden vor-
handene Budgetrestriktionen (z. B. IT-Budgets,
Geschäftsreisebudgets, Budgets für das Facility-
oder Flottenmanagement) überschritten werden.
Sie werden immer dann zu billig angeboten,
wenn die Koordinationsleistung des Anbieters
für den Kunden einen hohen Nutzen schafft
(z. B. komfortable Plug & Play-Angebote oder
Einbauküchen), der sich jedoch nicht im Preis
niederschlägt. Umgekehrt mangelt es an Kun-
Autor
Prof. Dr. Michael Reiss
ist Professor an der Universität Stuttgart, Lehrstuhl Organisa
tion. Seine Forschungsgebiete sind Netzwerkorganisation,
Business Relationship Management, Change Management,
Projektorganisation und strategisches Controlling.
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Abb. 3: Value Net: Netzförmige Wertschöpfung
Preiscontrolling im 360 Grad-Modus