Personalmagazin 8/2018 - page 13

Personalmagazin: Sie plädieren für ein Comeback von Uto-
pien, für das bedingungslose Grundeinkommen und die
15-Stunden-Woche. Was hat das mit NewWork zu tun?
Rutger Bregman: Wir sollten Arbeit völlig neu definieren. Viele
Ökonomen gehen davon aus, dass Arbeit nur darin besteht, eine
Beziehung mit einem Arbeitgeber einzugehen, ein Gehalt zu
beziehen und Steuern zu zahlen. Als Produktivität gilt nur die
Menge an Geld, die Menschen verdienen und zum Bruttoinlands­
produkt beitragen. Dabei geht unter, dass sehr viel wirklich
wertvolle Arbeit unbezahlt ist, zum Beispiel Kinderbetreuung
oder Pflege. Die ganze Freiwilligenarbeit ist einer der größten
blinden Flecken unserer Zeit.
Wie sieht die Sicht der Arbeitnehmer aus? Streben sie auch
nach Veränderungen?
Es gibt so viele Leute, die den Wert ihrer Jobs anzweifeln. Wir
wissen aus vielen wissenschaftlichen Untersuchungen, dass dies
vor allem für Führungskräfte gilt. Je mehr jemand verdient, je
höher jemand in der Hierarchie aufsteigt, desto mehr zweifelt
diese Person insgeheim amWert der eigenen Arbeit. Dies passiert
Managern, Beratern und sehr häufig in der Finanzbranche oder
unter Anwälten. Ich möchte diese Berufe und Positionen nicht
degradieren oder das verallgemeinern. Aber es ist offensichtlich,
dass viele Menschen keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Und
deshalb müssen wir neu darüber nachdenken, was Arbeit ist.
Wie würden Sie Arbeit definieren?
Arbeit heißt, dass man etwas Wertvolles macht – egal, ob
es bezahlt oder unbezahlt ist. Wenn Sie von dieser Definition
ausgehen, ändert sich alles grundlegend. Dann wollen Sie ein
anderes System der sozialen Sicherheit und für eine andere Art
von Unternehmen arbeiten. Es wird viel wichtiger, Mitarbeitern
mehr Autonomie zu geben, um kreativ zu sein.
Professor Frithjof Bergmann prägte in den 70er-Jahren den
Begriff New Work als „Arbeit, die man wirklich, wirklich
will“. Jetzt haben Sie in gewisser Weise eine ähnliche Idee?
Mein Ansatz ist ein bisschen anders. Menschen sind oft zufrie­
den mit ihrer Arbeit. Das bedeutet aber nicht, dass es wertvoll ist,
was sie tun. Daher stellt die Forschung jetzt spezifischere Fragen.
Dies ist der Grund, warum wir jetzt erst feststellen, dass es viele
Menschen gibt, die keine Bedeutung in ihrer Arbeit sehen, selbst
wenn sie ihren Job mögen. Für andere wiederum ist es einfach
wichtig zu arbeiten, weil es in unserem Sozialsystem demütigend
ist, arbeitslos zu sein.
Inwiefern würde sich dies mit einem bedingungslosen
Grundeinkommen ändern?
Kurzfristig gesehen würde ein Grundeinkommen dazu führen,
dass Menschen, die am unteren Ende des Arbeitsmarktes eine
wirklich wertvolle Arbeit leisten, zum Beispiel Müllsammler,
Reinigungskräfte oder Pfleger, eine Art Streikfonds bekommen.
Sie könnten jederzeit aufhören zu arbeiten und wir wissen, dass
wir dann in echte Schwierigkeiten geraten. Dies wird ihnen viel
mehr Verhandlungsmacht geben. Wenn wir ihnen mehr Ver­
handlungsmacht geben, werden folglich auch die Löhne steigen.
Wer eine Arbeit macht, die weder nützlich noch notwendig für
die Gesellschaft ist, dessen Lohn wird sehr wahrscheinlich ein
wenig sinken. Das Grundeinkommen wird den sozialen Wert der
verschiedenen Arbeitsplätze viel besser widerspiegeln. Wenn die
Löhne der Reinigungskräfte oder Müllsammler steigen, werden
diese Jobs auch prestigeträchtiger. Das bedeutet also auch eine
komplette Neudefinition ihres gesellschaftlichen Status.
Was hieße das dann langfristig?
Langfristig würde sich das bedingungslose Grundeinkommen
auch darauf auswirken, was Kinder lernen und beruflich machen
Interview Stefanie Hornung, Fotos Enver Hirsch
Der 30-jährige niederländische Philosoph
und Historiker Rutger Bregman hinterfragt
in seinem Buch „Utopien für Realisten“
Grundfesten der Arbeitswelt. Ein Gespräch
über die Neudefinition von Arbeit.
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New Work
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