Personalmagazin 8/2018 - page 15

Ich denke immer noch über diese Frage nach. Es gibt wahr­
scheinlich mehrere Gründe. Aber es hat mich auch überrascht,
wie populär die Idee plötzlich geworden ist. Einen Einfluss hat
vermutlich, dass wir eine unsichere Zeit erleben. Immer mehr
Menschen erkennen, dass der Status quo Konflikte hervorbringt.
Der wichtigste Grund für die Begeisterung ist, dass uns das
Gefühl von Stabilität und Sicherheit fehlt – sogar in reichen
Ländern, wo die meisten Menschen gut genährt sind, Zugang zu
einer guten Gesundheitsversorgung haben und ein ausreichend
hohes Einkommen. Wir sprechen in unserer Gesellschaft viel
über die Meinungsfreiheit. Aber die Freiheit, Nein zu Dingen
sagen zu können, die sie nicht tun wollen, ist ebenso wichtig,
zum Beispiel, dass Arbeitnehmer Nein zu einem Arbeitgeber
sagen, Frauen zu einem Umfeld, in dem sie belästigt werden,
Ehefrauen oder Ehemänner zu einem Partner, von dem sie
finanziell abhängig sind, oder wir alle zu einer Stadt, in der wir
nicht mehr leben wollen. Es ist die Freiheit, Ja zu den Dingen
zu sagen, die wir tun wollen. Das gibt uns die Fähigkeit, Risiken
einzugehen, ein Unternehmen zu gründen oder den Job zu wech­
seln. Deshalb nenne ich das bedingungslose Grundeinkommen
ein Risikokapital für die Menschen. Es gibt uns alle Mittel, um
zu experimentieren und Fehler zu machen – und das ist der
Ursprung aller Kreativität und Innovation.
Eine weitere utopische Idee, die Sie propagieren, ist die
15-Stunden-Arbeitswoche. Wie soll diese funktionieren?
Die Idee der 15-Stunden-Woche geht auf den britischen Öko­
nom John Maynard Keynes zurück, der 1930 vorausgesagt hat,
dass wir in Zukunft nur noch drei Stunden am Tag arbeiten wür­
den. Er war überzeugt, dass wir unser wirtschaftliches Wachstum
kontinuierlich für ein bisschen mehr Freizeit nutzen. Fast alle
Ökonomen und Philosophen haben geglaubt, dass es schon in
der 1970er-Jahren soweit sein wird. Klar ist, dass die Bezahlbar­
keit kein Problem ist. Wir haben die Technologie und die Mittel.
Unsere Wirtschaft ist stark genug, um die Arbeitswoche radikal
zu verkürzen.
Was hält uns zurück?
Was uns zurückhält, ist nicht Ökonomie oder Technologie:
Es ist Ideologie. Heute arbeiten wir mit Hardware aus dem 21.
Jahrhundert, aber wir nutzen dazu eine Software aus dem 19.
Jahrhundert – mit einem veralteten Mindset und einer unver­
änderten Definition dessen, was Arbeit ist. Wir müssen das alles
aktualisieren. Historiker werden sonst auf unsere heutige Zeit
zurückblicken und denken, wir wären völlig verrückt geworden.
Was war los mit diesen Leuten? Sie waren so außerordentlich
reich und gingen trotzdem Tag für Tag ins Büro, schrieben
E-Mails an Leute, die sie nicht mögen, schrieben Berichte, die
nie jemand lesen würde. Sie taten so, als würden sie arbeiten,
während sie nur auf Facebook unterwegs waren. Das ist doch ein
ziemlich lächerlicher, und geradezu schon religiöser Zustand.
Irgendwann müssen wir doch aufwachen!
Besteht nicht die Gefahr, dass Arbeitgeber bei einer 15-Stun-
den-Arbeitswoche ihre Angestellten noch stärker unter
Druck setzen, um zu dem gleichen Ergebnis zu kommen?
Schauen wir uns die Geschichte an: Woher kommt die 40-Stun­
den-Woche? Es begann nicht mit einer Regierungsentscheidung,
sondern mit Henry Ford. Er war ein guter Geschäftsmann, der er­
kannte, dass seine Arbeiter produktiver waren, wenn sie 40 statt
60 Stunden pro Woche arbeiteten. Seine Konkurrenten glaubten,
er sei verrückt – und blieben bei 60 Stunden pro Woche. Doch
Ford verdiente mit der 40-Stunden-Woche mehr Geld als die
Konkurrenz, sodass diese ein paar Jahre später seinem Beispiel
folgte. Dann kam in den 1930er- Jahren während der Großen De­
pression dieser Kerl Kellogg. Der amerikanische Cornflakes-Her­
steller aus Michigan ersetzte die drei Acht-Stunden-Schichten in
seiner Fabrik durch vier Sechs-Stunden-Schichten. Der Grund:
Wer ausgeruhter ist, kann produktiver und kreativer sein. Und
das gilt insbesondere für Wissensarbeiter, von denen wir im­
mer mehr haben. Es ist einfach lächerlich, wenn Anwälte und
Banker 14 Stunden am Tag arbeiten. Niemand kann so lange
kreativ und konzentriert sein. Da geht es nur darum, den Schein
zu wahren. Der Glaube daran, dass Anwesenheit zählt, ist eine
bizarre Religion.
Wann werden Ihrer Prognose nach das Grundeinkommen
und die 15-Stunden-Woche Realität?
Ich bin ein Optimist. Die große Lektion der Geschichte ist,
dass Dinge auch ganz anders sein können. Die Art und Weise,
wie wir heute unsere Gesellschaft und Wirtschaft gestalten, ist
nicht unausweichlich. Man kann alles ändern. Aber ich habe
absolut keine Ahnung, ob das passieren wird. All die Trendbe­
obachter, die voraussagen, dass dies und jenes bis 2020 oder
2030 passiert, verbreiten nur Blödsinn, weil sie damit Geld
verdienen. Niemand weiß, wie die Zukunft aussieht. In meinem
Buch will ich auf unsere Möglichkeiten hinweisen und damit
Fenster für Alternativen öffnen. Ob wir dort ankommen, weiß
ich nicht. Aber wenn Sie sich mir anschließen, sind wir schon
zu zweit.
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