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RECHT
_BUNDESTEILHABEGESETZ
personalmagazin 05/17
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Zustimmung zur Kündigung und hört er
erst dann die Schwerbehindertenvertre-
tung an, kann es passieren, dass das In-
tegrationsamt bereits aus Gründen der
unterbliebenen Anhörung der Schwer-
behindertenvertretung die Zustimmung
verweigert. Denn das Integrationsamt
hat zu prüfen, ob behinderungsbeding-
te Nachteile im Zusammenhang mit
der Kündigung stehen. Hierzu gehören
nach einer weit verbreiteten Auffassung
auch, dass der Arbeitgeber den im Ge-
setz angelegten Schutz für schwerbehin-
derte Menschen berücksichtigt, er also
die Schwerbehindertenvertretung ge-
setzeskonform beteiligt. Die Anhörung
des Betriebsrats kann nach Abschluss
des Verfahrens bei dem Integrationsamt
erfolgen. Wichtig ist auch, dass der Ar-
beitgeber die Schwerbehindertenvertre-
tung unverzüglich über die getroffene
Maßnahme, also im Kündigungsfalle
über den Ausspruch der Kündigung, zu
unterrichten hat.
Sonderproblem: Kündigung in den
ersten sechs Monaten
Häufig ist dem Arbeitgeber nicht klar, ob
ein Mitarbeiter schwerbehindert ist. Er
hat auch jedenfalls in den ersten sechs
Monaten des Arbeitsverhältnisses kei-
nen Anspruch darauf, dass der Mitarbei-
ter ihn von seiner Schwerbehinderung
in Kenntnis setzt. Zudem ist es strittig,
ob der Arbeitnehmer auf Nachfrage
wahrheitsgemäß antworten muss. Dies
kann dazu führen, dass der Arbeitgeber
mangels Kenntnis von der Schwerbehin-
derung eine Kündigung innerhalb der
Wartezeit (die ersten sechs Monaten des
Arbeitsverhältnisses, in denen das Kün-
digungsschutzgesetz nicht greift), aus-
spricht, der Arbeitnehmer klagt und sich
auf seine Schwerbehinderung beruft.
Auch wenn der Arbeitnehmer in den
ersten sechs Monaten des Arbeitsver-
hältnisses keinen Schutz nach den Vor-
schriften § 85 SGB IX hat, eine Anhörung
des Integrationsamts also nicht erforder-
lich war, wäre die Kündigung gleichwohl
unwirksam, wenn die Schwerbehinder-
tenvertretung nicht nach § 95 SGB IX be-
teiligt wurde. Dies kann im schlimmsten
Fall dazu führen, dass der Arbeitgeber,
der außerhalb des Anwendungsbereichs
des Kündigungsschutzgesetzes in der
Wartezeit eine Kündigung ausspricht
und erst in der Klage und damit noch
rechtzeitig von der Schwerbehinderung
des Arbeitnehmers erfährt, eine unwirk-
same Kündigung ausgesprochen hat. Er
müsste nun, da bereits sechs Monate
abgelaufen sind, nicht nur das Integra-
tionsamt vor Ausspruch der Kündigung
anhören, sondern auch das Kündigungs-
schutzgesetz anwenden.
Es empfiehlt sich daher, bei Warte-
zeitkündigung höchst vorsorglich neben
dem Betriebsrat auch die Schwerbehin-
dertenvertretung anzuhören, um dieses
Risiko zu minimieren.
Weitere Neuerungen: Rechtsstellung
der Vertrauenspersonen gestärkt
Gleichfalls mit Wirkung ab dem 30. De-
zember 2016 wurde durch das Bundes-
teilhabegesetz die persönliche Rechts-
stellung der Vertrauenspersonen der
schwerbehinderten Menschen gestärkt.
Mit Neufassung des § 96 Abs. 4 Satz
2 SGB IX wurde der Schwellenwert für
die Freistellung der Vertrauensperson
von 200 Schwerbehinderten im Betrieb
auf 100 abgesenkt. Der neue § 95 Abs.
1 Satz 5 SGB IX bietet die Möglichkeit,
ab jeweils 100 weiteren schwerbehin-
derten Beschäftigten weitere Stellver-
treter der Vertrauensperson zur Aufga-
benwahrnehmung heranzuziehen. Das
dürfte bei großen Betrieben, die diese
Schwellenwerte überschreiten, zu einer
Kostenerhöhung durch Gremienarbeit
und aufgabenbezogene Freistellungen
führen. Nun gewährt § 96 Abs. 4 Satz
4 SGB IX dem ersten Stellvertreter die-
selben Fortbildungsmöglichkeiten wie
dem Schwerbehindertenvertreter. Die
einschränkende Voraussetzung einer
ständigen Heranziehung des Stellvertre-
ters zu bestimmten Aufgaben nach § 95
Abs. 1 SGB IX spielt künftig nur noch
bei den weiteren Stellvertretern eine
Rolle. Rechtspolitisch ist die Neurege-
lung nachvollziehbar, da der Stellvertre-
ter im Verhinderungsfall nicht auf den
Wissensstand eines Kollegialorgans zu-
rückgreifen kann, wie das bei Betriebs-
räten der Fall ist. In der Praxis wird dies
jedoch zu einer Kostensteigerung bei
den Unternehmen führen.
Fazit: Neue Fehlerquellen bei der
Kündigung sind eröffnet
Die Neuregelung im Bundesteilhabege-
setz eröffnet eine weitere Fehlerquelle
bei der Kündigung. Unternehmen müs-
sen ihre Prozesse der Aufwertung der
Schwerbehindertenvertretung anpassen.
Erschwerend ist, dass das Gesetz sich zu
wichtigen Punkten, wie etwa den Fristen
für die Anhörungen und den genauen
Inhalten, nicht äußert. Hier sollten Ar-
beitgeber im Zweifel auf die Regeln zur
Betriebsratsanhörung zurückgreifen.
CHRISTIAN FLOGAUS
ist
Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er
arbeitet für den Verband der
Metall- und Elektroindustrie
Baden Württemberg e.V. (Südwestmetall).
WOLFGANG LEIST
ist Fach-
anwalt für Arbeitsrecht. Er
arbeitet für den Verband der
Metall- und Elektroindustrie
Baden Württemberg e.V. (Südwestmetall).
Im schlimmsten Fall er-
fährt der Arbeitgeber bei
einer Kündigung in den
ersten sechs Monaten
erst während des Kündi-
gungsprozesses von der
Schwerbehinderung.