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RECHT
_SOZIALVERSICHERUNG
personalmagazin 05/17
S
ozialversicherungsbeiträge sind
nicht nur aus dem tatsächlich
bezahlten Lohn zu berechnen
und abzuführen, sondern unter
Umständen auch aus fiktiven Entgeltbe
standteilen, unabhängig davon, ob diese
dem Arbeitnehmer bewusst vorenthal
ten wurden oder die Nichtzahlung auf
einer rechtlichen Fehleinschätzung be
ruht. Auch wenn eine Nichtzahlung im
vertraglichen Einverständnis mit dem
Arbeitnehmer erfolgt oder von diesem
ein ausdrücklicher Verzicht erklärt wird,
bleibt die Pflicht zur Abführung von So
zialversicherungsbeiträgen bestehen.
Juristisch gesehen verbirgt sich da
hinter das sogenannte „sozialversiche
rungsrechtliche Entstehungsprinzip“.
Anders als im Steuerrecht ist hier nicht
der „Zufluss“, sondern allein der arbeits
rechtliche Anspruch für das Entstehen
der Abgabepflicht entscheidend. Das
Von
Thomas Muschiol
Vom Umgang mit Phantomlohn
ÜBERBLICK.
Unter Phantomlohn versteht man einen entstandenen, aber nicht aus
gezahlten Lohnanspruch. Bei der Sozialversicherung lauern hier einige Fallen.
Entstehungsprinzip beinhaltet insoweit
auch einen Zwang zur zeitlich exakten
Zuordnung, denn die Beiträge zur Sozi
alversicherung müssen – sofern keine
Ausnahme greift – auch zwingend in den
Kalendermonaten gezahlt werden, in de
nen der Anspruch entstanden ist.
Der Grund liegt in der Dogmatik des
deutschen Sozialversicherungssystems,
insbesondere der Rentenversicherung
verborgen, die man umgangssprachlich
auch so ausdrücken kann: Versiche
rungsbeiträge sollen nicht für den erhal
tenen Lohn, sondern für die geleistete
Arbeit abgeführt und in die sozialen Si
cherungssysteme einbezahlt werden.
Die Frage aller Fragen: Liegt unab-
dingbares Recht vor?
Aus dem Anspruchsprinzip folgt aller
dings nicht, dass auch alles, was dem Ar
beitnehmer arbeitsrechtlich versprochen
wurde, als Berechnungsgrundlage für
die SV-Beiträge hinzugezogen werden
muss. Vielmehr gilt die Einbeziehung
von nicht oder nicht vollständig gezahl
tem Entgelt in die Beitragsberechnung
nur dann, wenn es sich um unverzicht
bare Entgeltbestandteile handelt. Bei je
der Frage nach der Berechtigung einer
Phantomlohnverbeitragung muss daher
zunächst als Vorfrage geklärt werden:
Können die Vertragspartner über diesen
Anspruch disponieren oder liegt soge
nanntes „unabdingbares“ Recht vor?
Diese Vorprüfung ist in den Fällen
klarer gesetzlicher Vorgaben schnell
zu bewerkstelligen. So führt das Min
destlohngesetz ausdrücklich in § 3 an:
„Vereinbarungen, die den Anspruch auf
Mindestlohn unterschreiten oder seine
Geltendmachung beschränken oder aus
schließen, sind insoweit unwirksam.“
Die Nichtzahlung oder Unterschreitung
des gesetzlichen Mindestlohns ist daher
einer der klaren Fälle, bei denen Bei
träge ohne tatsächliche Entgeltzahlung
entstehen und bei denen man der Fest
setzung von Phantomlohn grundsätzlich
wenig entgegensetzen kann.
Nicht immer aber ist die Unabding
barkeit eines Lohnanspruchs so klar
erkennbar wie im Falle des Mindest
lohngesetzes. Vor allem bei der Frage,
inwieweit aufgrund einer Tarifbindung
Phantomlohn festgelegt werden kann, ist
genau hinzuschauen.
Entwarnung für die klassischen tarif-
gebundenen Unternehmen
Ein Verzicht auf ein tarifliches Entgelt
ist gemäß § 4 des Tarifvertragsgesetzes
„nur in einem von den Tarifvertragspar
teien gebilligten Vergleich zulässig“. Da
mit könnten die Unternehmen, die sich
nach ihrem eigenen Selbstverständnis
an Tarifverträge halten oder sogar einen
Haustarifvertrag abgeschlossen haben,
eigentlich zum Eldorado für Betriebs
prüfer werden, in dem diese jeden ein
zelnen Arbeitsvertrag auf Abweichun
gen von den tariflichen Bestimmungen
durchforsten. Diese Gefahr besteht aber
aus folgendem Grund nicht: Allein aus
der Tatsache, dass ein Arbeitgeber sich
an Tarifverträge hält, ist ein rechtlicher
Anspruch im Sinne des sozialversiche
rungsrechtlichen Entstehungsprinzips
noch nicht begründbar. Zur Feststellung
einer Tarifbindung würde dazu auch ge
Die Sozialversicherung
sieht es so: Versiche
rungsbeiträge werden
nicht für den erhaltenen
Lohn, sondern für die
geleistete Arbeit in die
Kassen einbezahlt.