DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 11/2017 - page 29

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11|2017
Alternative Heizungssysteme
Von der Energieversorgung ausgehend denken?
Heizungstechnik ist die Kunst der Energieumwandlung und der Wärmeverteilung. Was heißt dabei „alterna-
tiv”? Meist wird „alternativ” in dem Sinne verwendet, dass es im Gegensatz zu den bisher üblichen Syste-
men steht. Dabei muss man sehen, dass dieses „Übliche” historisch nur eine kurze Zeitspanne darstellt.
THEMA DES MONATS
„Alternatives Heizungssystem” bedeutet daher
auch, effizienter und mit weniger Treibhausgas-
emissionen zu heizen und fossile Brennstoffe
einzusparen bzw. zu substituieren. Ein weiterer
Gesichtspunkt alternativer Systeme ist, dass
Wärme in der Wertigkeit der Energie ein „Ab-
fallprodukt” ist. Energie hoher Dichte – also
Energie, die auch mechanische Arbeit verrichten
kann, genannt Exergie – sollte eigentlich nicht
in schnöde Wärme verwandelt werden. Dies ist
jedoch auch eine Frage der Verfügbarkeit. Sollte
Exergie aus erneuerbaren Quellen reichlich zur
Verfügung stehen, spricht eigentlich nichts gegen
die Wärmeerzeugung, wie z. B. bei Power to Heat
(z. B. Umwandlung überschüssigen Windstromes
in Wärme).
Diese Gesichtspunkte finden sich bei den Hei-
zungssystemen wieder, die in der EU-Gebäude-
richtlinie als alternative Systeme benannt werden:
• dezentrale Energieversorgungssysteme auf der
Grundlage erneuerbarer Energien wie Sonne
und Wind – hier haben wir die Umweltsicht,
• Kraft-Wärme-Kopplung – aus hochwertiger
Energie wie Gas oder Öl wird Strom erzeugt,
die dabei entstehende Wärme wird genutzt,
• Wärmepumpen – kombinieren die Umweltsicht
und dieWertigkeit von Energie: Sie nutzen Um-
weltenergien geringer Dichte und bringen sie
unter Einsatz eines geringen Anteils Exergie auf
ein höheres Temperaturniveau,
• Fern- oder Nahwärme – hier kommt es auf die
Art der Erzeugung an, wie die drei zuerst ge-
nannten Systeme.
Zunehmendwird auch über hybride Systeme nach-
gedacht: Ein erneuerbares Heizungssystemüber-
nimmt die Grundlast, die Spitzenlast und even-
tuelle Dunkelflauten werden fossil abgedeckt.
Dabei wird Gas weiter eine Bedeutung behalten.
Jedes dieser alternativen Systeme wirft aber auch
Fragen auf.
So kämpfen Solarthermieanlagen immer noch
mit ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis. „Die Sonne
schickt keine Rechnung” ist darüber hinaus der
falsche Slogan. Der Aufwand, Sonnenenergie als
Wärme in Gebäuden zu nutzen, erfordert Investi-
tionen und die Anlagenmüssen gewartet werden.
ImErgebnis hat jede über die Lebensdauer der An-
lage dem Haus zur Verfügung gestellte Kilowatt-
stunde ihren Preis. Es gilt, diesenmöglichst gering
zu halten. Dies kann wahrscheinlich mit sehr ein-
fachen Solarkollektoren gelingen, die Wärme als
Quelle für Wärmepumpen zur Verfügung stellen.
Bei Wärmepumpen werden hohe Arbeitszahlen
auch für höhere Vorlauftemperaturen im (teilsa-
nierten) Gebäudebestand und bei 60 °C für die
Warmwasserbereitung benötigt.
PV-Anlagen liefern ausgerechnet dann ammeisten
Energie, wenn der Bedarf in Wohngebäuden am
geringsten ist: im Sommerhalbjahr und mittags.
Hier kommt es darauf an, Energie zu speichern
oder unkompliziert (!) in der Nachbarschaft zu
nutzen.
BHKW werden meist noch mit Erdgas als fossile
Ressource betrieben. Hier könnte anteilig Biogas
bezogen werden. Das wird interessant, wenn es
sich im Ordnungsrecht anrechnen lässt, wie mit
demzukünftigen Gebäudeenergiegesetz geplant.
Auch Fernwärme ist meist aus fossilen Energien
erzeugt, wenn auch überwiegend in KWK. Etliche
Fernwärmeversorger entwickeln bereits Konzepte
für die Nutzung erneuerbarer Energien. Das ist
außerordentlich begrüßenswert. Hier sollte aber
immer auch kritisch nachgefragt werden, was dies
für die Preisentwicklung bedeuten wird.
Trotz dieser Fragen sind alternative Heizungs-
systeme die Zukunft. Sie müssen jedoch genauso
verlässlich, langlebig und günstig imKosten-Nut-
zen-Verhältnis werdenwie die „üblichen” fossilen
Systeme und werden dann auch nicht mehr „al-
ternativ” heißen, sondern zum Standard werden.
Was soll man nun tun?
Vielleicht hilft ein Perspektivwechsel. Meist wurde
bisher – im Neubau nicht anders als in der Sanie-
rung – die Gebäudehülle geplant. Anschließend
wurde die Energieversorgung festgelegt oder sie
stand sowieso fest, weil z. B. Fernwärme anliegt.
Wie wäre es, von der Energieversorgung her zu
denken:
Welche erneuerbaren Energien sind am Standort
sinnvoll nutzbar? Hat der Fernwärmeversorger
Pläne, die Fernwärme erneuerbar zu machen?
Welche Preise, Preissteigerungsraten und Treib-
hausgasemissionen sindmit welcher Versorgungs-
lösung verbunden?
Das Gebäude kann dann auf die Energieversorgung
reagieren: wenn eine kostengünstige nicht fossile
Energieversorgungmöglich ist, muss der Wärme-
schutz „nur noch” die Behaglichkeit im Gebäude
sicherstellen. Wenn eine treibhausgasarme oder
-freie Energieversorgung gelingt, würde mehr
Aufwand für die Gebäudehülle auch die Treib-
hausgasemissionen im Lebenszyklus erhöhen
statt senken.
Außerdem kommt es am Ende immer auf die
Wohnkosten an und die beinhalten sowohl die
Betriebskosten als auch die Kaltmiete.
Fazit
Den alternativen Heizungssystemen gehört die
Zukunft. Darunter fallen auch hybride Lösungen
aus Gas und Erneuerbaren. Ihr Einsatz sollte bei
jedem Neubau und bei jeder Bestandsmoderni-
sierung geprüft werden. Die technischen Fragen
und der Beitrag zum Klimaschutz lassen sich ver-
gleichsweise gut beantworten.
Entscheidend wird sein, ob eine alternative Ener-
gieversorgung in Verbindung mit dem Gebäude
und seinen Nutzern vergleichbare Wohnkosten
bietet wie eine übliche Lösung und ob Vertrauen
in die Ergebnisse besteht.
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