personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
05_2015
waren. Die Trainingsmaßnahmen des
internen Fortbildungskatalogs wurden oft
kurzfristig wegen eines Mangels an Teil-
nehmern abgesagt, obwohl gleichzeitig
die Anfragen nach genau diesen Maßnah-
men zunahmen. Denn oft hatten sich die
Teilnehmer lange im Voraus angemeldet,
doch zum Zeitpunkt der Fortbildung kei-
nen akuten Trainingsbedarf – entweder
noch nicht oder nicht mehr.
Folglich stellten wir uns Fragen wie: Ist
es wirklich sinnvoll, die Projektleiterin
Frau Bauer schon Anfang 2015 für ein
offenes interkulturelles Indien-Training
im Dezember 2015 anzumelden, wenn
zwischenzeitlich vielleicht die Zusam-
menarbeit mit den indischen Kollegen
verschoben wird – oder wenn sich etwa
die virtuelle Zusammenarbeit an einem
konkreten Projekt als eigentliches Hinder-
nis herauskristallisiert?
Andererseits ist es gut möglich, dass
noch lange vor Frau Bauers geplantem
Training im Dezember 2015 konkrete
Veränderungen eine spontane, flexible
Trainingsmaßnahme für sie erforderlich
machen – anstehende Vertragsverhand-
lungen mit indischen Lieferanten oder
die aktuelle Zusammenarbeit im Projekt-
team, die nach der Aufstockung um fünf
neue Mitglieder aus unterschiedlichen
Kulturkreisen nicht mehr rund läuft. Hier
braucht Frau Bauer also dringend Un-
terstützung und wendet sich mit ihrem
Wunsch („möglichst bald, maximal be-
darfsnah, aber bitte nicht länger als einen
halben Tag“) an die interne Personalent-
wicklung.
Diese neue Realität erforderte sowohl
eine andere Ausrichtung des Gesamtan-
gebots als auch eine andere Gestaltung
der spezifischen interkulturellen Trai-
ningsmaßnahmen, die deutlich über das
bisherige Programm im Trainingskatalog
(zweitägiges interkulturelles Grundlagen-
training und eintägiges vertiefendes, län-
derspezifisches Modul) hinausgingen.
Zielstellung der Trainingsmaßnahmen
sollte es sein, eine allgemeine interkul-
turelle Sensibilisierung zu erreichen und
darauf aufbauend einen tieferen Einblick
in die einzelnen Länder zu vermitteln.
All das sollte bei wenig Zeitaufwand ge-
schehen, da die Teilnehmer nur für kurze
Zeit von ihrer Arbeit abgezogen werden
können. Zudem sollten die Maßnahmen
spezifisch auf die konkreten Arbeitsanfor-
derungen zugeschnitten sein, sich auf un-
terschiedlichen Interventionsebenen ab-
spielen und „on demand“ verfügbar sein.
Interkulturelle Kompetenz nie
auf Do‘s und Don‘ts reduzieren
Unter dem Eindruck vermehrter Anfragen
nach neuen interkulturellen Qualifizie-
rungsformaten bei der Roche Diagnostics
GmbH begannen wir vor zwei Jahren, zu-
sammen mit den interkulturellen Exper-
ten der Münchner Personalentwicklung
Twist Consulting Group ein Konzept zu
entwickeln, das die Anforderungen der
Fachbereiche bedarfsorientiert umsetzen
sollte. Die Anforderungen stellten uns als
Personalentwickler und Berater anfäng-
lich vor Herausforderungen – denn wir
waren uns einig: Interkulturelle Kompe-
tenz kann und darf nicht auf reine Do´s
and Don´ts reduziert werden. Zudem
lässt sich ein Land nicht eben kurz in
einer Stunde erklären – und erst recht
nicht begreifen. Nichtsdestotrotz mussten
wir eine Lösung für die Kundenbedarfe
finden.
Die bereits spürbaren Auswirkungen von
Megatrends wie Globalisierung, Individu-
alisierung und New (Knowledge) Work
haben sich als Akronym der neuen Ar-
beitswelt etabliert: Die „VUCA-G-Welt“
steht für eine Welt, die volatil, unsicher,
komplex, ambigue und globalisiert ist.
In dieser neuen Welt verändern sich die
Rahmenbedingungen sehr schnell, Ziel-
setzungen und Interessenslagen der Be-
teiligten wechseln folglich häufig und es
können immer seltener tragfähige Prog-
nosen erstellt werden. Veränderungspro-
zesse gehören mittlerweile zum Alltag
von – vor allem großen – Organisationen.
Paradox: Nachfrage steigt –
doch oft fehlen die Teilnehmer
In der Pharmabranche, einer Branche mit
sehr langen Produktentwicklungszyklen,
wird das Ausmaß all dieser Veränderun-
gen erst allmählich spürbar. Dies gilt auch
für die Roche Diagnostics GmbH. Das Un-
ternehmen ist in den vergangenen Jahren
immer internationaler geworden: Nicht
nur die Kunden und Lieferanten sind um
den ganzen Globus verteilt, auch immer
mehr Mitarbeiter sind in zahlreichen Län-
dern tätig oder arbeiten in Teams mit Kol-
legen unterschiedlicher Nationen. Viele
Führungskräfte oder Projektleiter werden
zunehmend mit der Herausforderung
konfrontiert, Mitarbeiter unterschied-
lichster kultureller Prägung möglichst
einfühlsam zu führen. Herausfordernder
wird das Ganze noch, wenn das Team
nur im virtuellen Raum existiert.
Diese in den Fachbereichen erlebte Ver-
änderungsdynamik hatte zur Folge, dass
Prognosen für einen konkreten Schu-
lungsbedarf immer schwerer zu treffen
Von Kennern zu Könnern
INTERKULTURELLE KOMPETENZ.
Bei der Roche Diagnostics GmbH arbeiten Teams
länderübergreifend zusammen. Dabei können kulturelle Unterschiede zu
Missverständnissen führen. Um Mitarbeiter bedarfsnah kulturell zu sensibilisieren und
Länderwissen zu vermitteln, wurde ein zweistufiges Qualifizierungskonzept entwickelt.