titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
05_2015
dell“. Es wird ausführlich in einem Buch
beschrieben, das im September 2015 beim
Springer-Verlag in Heidelberg erscheinen
wird (A. Koch: Die Transferstärke-Me-
thode – Lern- und Veränderungsziele in
Personalentwicklung und Weiterbildung
wirksam erreichen). Das Modell wurde in
einem mehrstufigen Prozess auf der Basis
der Befragungen von rund 2.500 Proban-
den entwickelt.
Eine hohe Transferstärke drückt sich
demnach in vier Faktoren aus: „Offenheit
für Fortbildungsimpulse“, eine „Selbst-
verantwortung für den Umsetzungser-
folg“, ein „aktives Rückfallmanagement
im Arbeitsalltag“, ein „positives Selbst-
gespräch bei Rückschlägen“. In diesem
Modell zeigt sich, dass nur 20 Prozent der
Befragten in Summe transferstark sind!
Kurzum: Nur eine kleine Anzahl von
Menschen sind lernagil, offen für Verän-
derung und transferstark. Und dennoch
wird bei der 70-20-10-Formel so getan,
als wäre alles genau andersherum. Kein
Wunder, dass in den Unternehmen Frust
herrscht und der Wunsch aufkommt,
endlich das Selbstlern-Tabu zu brechen.
Doch sollte man die Freiwilligkeit des
Lernens aufgeben und mehr Druck ma-
chen? Tests schreiben? Noten vergeben?
Alle von Präsenzseminaren ausschlie-
ßen, die sich nicht nachweisbar mittels
E-Learning vorbereitet haben? Wenn das
helfen würde, würden zum Beispiel alle
Universitätsstudenten täglich vor Lern-
begeisterung auf den Stühlen stehen,
weil es Prüfungen gibt und sie Studien-
gebühren bezahlen müssen (bei privaten
Hochschulen ganz ordentlich). Bei Stu-
denten geht es letztlich um die berufliche
Zukunft. Doch was passiert? Es fehlt
trotzdem an Lernmotivation und es gibt
Aufschieberitis und das generelle Gefühl
der Überforderung.
Das 70-20-10-Modell
umformulieren
Angesichts der Tatsache, dass der selbst-
organisierte Lerner eine Minderheit dar-
stellt, sollte man das 70-20-10-Bildungs-
modell umformulieren und damit den
Weg zu einer tatsächlichen Individuali-
sierung des Lernens ebnen. Die (aus Sicht
des Autors dieses Fachartikels) „richtige“
Formel für das neue Lernzeitalter lautet
vielmehr „20-30-30-20“. Folgendes steckt
dahinter:
• 20 Prozent der Lerner sind lernagil,
veränderungsoffen und transferstark.
Je mehr ein Unternehmen davon hat,
umso besser. Hier funktioniert die alte
70-20-10-Welt.
• 30 Prozent der Lerner sind immerhin
besser als der Durchschnitt aller Be-
schäftigten. Hier geht es um das Fein-
tuning, den letzten Schliff. Es gilt, den
eigenen Lernstil noch besser kennenzu-
lernen und wirksame Lern- und Verän-
derungstechniken zu nutzen.
• 30 Prozent der Lerner sind unter dem
Durchschnitt. Das bedeutet, dass es an
Wissen, Einstellungen und Techniken
fehlt, sich selbst gut etwas beizubrin-
gen oder die eigene Veränderung zu
managen. Hier müssen Firmen Zeit,
Arbeit und Geld investieren, damit der
Lernprozess funktioniert und diese Ler-
ner auf einen höheren Level der Lern-
und Veränderungsfähigkeit kommen.
Es braucht die Begleitung durch Füh-
rungskräfte als Transferverantwortliche
oder die Begleitung wird von einem
Trainer oder Coach übernommen.
• 20 Prozent der Lerner sind aufgrund
ihrer Persönlichkeit und Lernbiografie
„gehandikapt“. Es kommt schon eher
einer therapeutischen Anstrengung
gleich, sie in Richtung der gewünsch-
ten Lern- und Veränderungsziele brin-
gen zu wollen. Das bedeutet Millime-
terarbeit.
Woher kommen diese Zahlen? Sie er-
geben sich aus dem Blickwinkel der
Normalverteilung von Merkmalsaus-
prägungen. Ob Schuhgröße oder Verän-
derungsfähigkeit: Ab einer genügend
großen Zahl von Messwerten ergibt sich
die bekannte Glockenkurve. Im Sinne des
20-30-30-20-Bildungsmodells zu denken,
macht durchaus Sinn. Insgesamt existiert
schließlich etliches an Know-how und an
Techniken, wie Menschen das Lernen ler-
nen können. Dieses Wissen ist auch wis-
senschaftlich gut untersucht, da es unter
anderem auch von der Therapieforschung
evaluiert wurde. Hier sind zum Beispiel
die Kognitive Verhaltenstherapie oder die
Selbstmanagementtherapie zu nennen.
Dieser therapeutische Kontext wird gern
vergessen, wenn es um die Erhöhung der
Selbstlern- und Selbstveränderungskom-
petenz im betrieblichen Kontext geht. Die
Basis für Lern- und Veränderungserfolg
sind Self-Leadership-Fähigkeiten. Marco
Furtner und Pierre Sachse haben in einem
Experiment untersucht, inwiefern sich
diese Kompetenzen erfolgreich trainie-
ren lassen. Einschränkend muss gesagt
werden, dass es nur eine kleine Untersu-
chungsgruppe von 58 Bachelor-Studenten
der Psychologie von der Universität Inns-
bruck gab, die über den Zeitraum von
einem Monat beobachtet wurde. Im Ver-
gleich zu einer Kontrollgruppe konnte je-
doch gezeigt werden, dass insbesondere
gedankliche Selbstbeeinflussungsstra-
tegien (zum Beispiel sich erfolgreiche
Leistungen vor Augen zu führen) oder
Selbsterinnerungsstrategien die stärksten
Trainingseffekte aufwiesen („Wirtschafts-
psychologie aktuell“ 2/2011).
Anita Pachner konnte in ihrer Disserta-
tion aus dem Jahr 2009 nachweisen, dass
sowohl das klassische Lernstrategietrai-
ning als auch Lerntagebücher geeignet
sind, die Lernmotivation und das selbst-
gesteuerte Lernen zu verbessern. Unter-
sucht wurden 176 Erstsemester verschie-
dener Studiengänge einer Hochschule.
So kommt die Autorin unter anderem zu
dem Schluss, dass durch den Einsatz des
R
Dr. Axel Koch
ist Professor für
Training & Coa-
ching an der
Hochschule für
angewandtes Management in Erding.
Er hat den Bestseller „Die Weiterbil-
dungslüge“ geschrieben. Der Diplom-
Psychologe entwickelte die „Transfer-
stärke-Methode“, die mit dem „Deut-
schen Weiterbildungspreis 2011“
ausgezeichnet wurde. Im Mittelpunkt
der Methode steht, was eine Person
können muss, damit der Praxistrans-
fer gelingt.
Hochschule für angewandtes
Management GmbH
Am Bahnhof 2, 85435 Erding
AUTOR