DER VERWALTERBRIEF 4/2017 - page 10

Beispiel:
In einer Wohnungseigentumsan-
lage gibt es 100 Wohnungseigentümer. Drei
Wohnungseigentümer erheben gemeinsam
eine Anfechtungsklage. Macht der Verwalter
von seiner gesetzlichen Vertretungsmacht
Gebrauch, schließt er – gestützt auf § 27
Abs. 2 Nr. 2 WEG – namens jedes beklagten
Wohnungseigentümers einen Anwaltsver-
trag, mithin 97 Anwaltsverträge.
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Deckert/Elzer kompakt
rückzunehmen, nicht gebunden. Ebenso sei
auch kein Wohnungseigentümer an den hier
gefassten Beschluss, eine Berufung weiterzu-
führen, in dem Sinne gebunden, als dass er
nicht die für ihn eingelegte Berufung zurück-
nehmen könnte.
Das bedeutet für Sie:
1. Aufgaben des Verwalters bei
Anfechtungsklagen im Überblick
Nach § 45 Abs. 1 WEG ist der Verwalter grund-
sätzlich der Zustellungsvertreter der beklagten
Wohnungseigentümer, wenn ein Wohnungsei-
gentümer Anfechtungsklage erhebt. Der Verwal-
ter muss die Wohnungseigentümer unverzüglich
von dieser Zustellung unterrichten. Ferner ist
der Verwalter nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG ver-
pflichtet, im Namen der beklagten Wohnungs-
eigentümer die Maßnahmen zu treffen, die zur
Wahrung einer Frist oder zur Abwendung eines
sonstigen Rechtsnachteils erforderlich sind. Hier-
zu gehört es unter anderem, einen gegen die
Wohnungseigentümer gerichteten Rechtsstreit
gemäß § 43 Nr. 4 WEG (= eine Anfechtungskla-
ge) – wie es im Gesetz heißt – „im Erkenntnis-
und Vollstreckungsverfahren zu führen“.
2. Führung der Anfechtungsklage im
Erkenntnisverfahren
Der Verwalter kann eine Anfechtungsklage im
Erkenntnisverfahren auf zweierlei Weise führen.
a) Vertretung der beklagten Wohnungs-
eigentümer
Der Verwalter ist nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG
berechtigt und grundsätzlich verpflichtet, die
Wohnungseigentümer selbst zu vertreten.
Er darf als Nebenleistung im Sinne von § 5
RDG (Rechtsdienstleistungsgesetz) ohne Ver-
stoß gegen das Neutralitätsgebot Schriftsätze
fertigen, vor Gericht auftreten, Anträge for-
mulieren oder einen Einspruch einlegen. Zur
Abwendung eines sonstigen Rechtsnachteils
kann der Verwalter außerdem ein Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes betreiben.
b) Ende der Vertretungsmacht
§ 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG ordnet eine gesetzliche
Vertretungsmacht für den jeweiligen Verwalter
an. Diese Vertretungsmacht können die Woh-
nungseigentümer nicht einschränken. Auch
der jeweils vertretene Wohnungseigentümer
kann dem Verwalter weder Rechte entziehen
noch beschränken. Denn die Rechtsmacht des
Verwalters ist eine gesetzliche.
Jeder Wohnungseigentümer für sich kann al-
lerdings den Verwalter im Innenverhältnis an-
weisen, von der Vertretungsmacht keinen Ge-
brauch (mehr) zu machen. Dies ermöglicht es
einem Wohnungseigentümer, einen anderen
Anwaltsvertrag zu schließen, jedenfalls aber
den bestehenden mit dem „Verwalter-Rechts-
anwalt“ zu beenden. Ferner kann jeder Woh-
nungseigentümer den Verwalter anweisen, ob
er in seinem Namen Berufung einlegen soll.
c) Beauftragung eines Rechtsanwalts
Der Verwalter ist nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG
berechtigt, ohne besonderen Beschluss im
Namen der beklagten Wohnungseigentümer,
aber im Rahmen seiner Rechtsmacht einen
Rechtsanwalt zu beauftragen – soweit ein
Wohnungseigentümer nicht selbst eine Ver-
teidigung „auf die Beine stellt“. Der Verwalter
kann auf § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG gestützt ei-
nem Rechtsanwalt allerdings wohl keine Pro-
zessvollmacht zum Abschluss eines Vergleichs
erteilen. Beauftragt der Verwalter einen
Rechtsanwalt, vertritt dieser nicht den Verwal-
ter, nicht die Gemeinschaft der Wohnungsei-
gentümer und auch nicht sämtliche beklagten
Wohnungseigentümer. Der Verwalter schließt
vielmehr so viele Einzelverträge, wie es be-
klagte Wohnungseigentümer gibt.
Die Wohnungseigentümer können – ungeach-
tet einer wenigstens missverständlichen Hal-
tung des BGH – im Übrigen den Verwalter nicht
gleichsam entmachten und nicht beschließen,
wer der Rechtsanwalt der beklagten Woh-
nungseigentümer sein soll.
3. Berufung
a) Überblick
Der Verwalter darf nach zurzeit herrschender
Meinung gestützt auf § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG
Berufung im Namen jedes beklagten Woh-
nungseigentümers einlegen. Gibt es – wie im
Beispielsfall – 97 Beklagte, sind es der Sache
nach auch 97 Berufungen, wobei es möglich
ist, dies in einem Schriftsatz zu tun. Da der
Verwalter vor dem Landgericht nicht auftreten
kann, muss er spätestens für die Einlegung der
Berufung Anwaltsverträge schließen.
b) Einwirkung der beklagten Wohnungseigen-
tümer
Da der Verwalter einen beklagten Wohnungs-
eigentümer nur vertritt, kann dieser ihn an-
weisen, Berufung einzulegen – oder es zu
lassen.
c) Einwirkung aller Wohnungseigentümer
Man kann ferner überlegen, ob die Wohnungs-
eigentümer über die Frage, ob gegen ein erst-
instanzliches Urteil in einem Anfechtungs-
verfahren Berufung eingelegt werden soll,
beschließen können oder – wie im Fall – den
Verwalter anweisen, wie er sich im Rahmen
seiner gesetzlichen Vertretungsmacht verhal-
ten soll. Darüber streiten die Gerichte zurzeit:
AG Erfurt v. 19.9.2013, 2 C (WEG) 46/12:
Wohnungseigentümer beschließen, dass
gegen ein Urteil Berufung eingelegt wer-
den soll. Den Wohnungseigentümern fehlt
nach Ansicht des AG die dazu notwendige
Beschlusskompetenz.
LG Frankfurt a. M. v. 5.8.2015, 13 S 32/13:
Wohnungseigentümer beschließen, einen
Rechtsanwalt für die Verteidigung in einem
Beschlussanfechtungsverfahren zu beauf-
tragen und die Berufung durchzuführen.
Die Wohnungseigentümer sind nach Ansicht
des Gerichts nicht gehindert, über Weisun-
gen an den Verwalter zu beschließen.
Richtig ist es meines Erachtens, jeweils eine
Beschlusskompetenz zu verneinen. Ob ein be-
klagter Wohnungseigentümer eine Berufung
durchführt, muss er nämlich selbst entschei-
den. Es ist Teil der Verwaltung des Sonderei-
gentums, für das es keine Beschlusskompe-
tenz gibt. Jeder Beschluss wäre nichtig.
d) Folgerungen für den Verwalter
Der Verwalter sollte stets den sichersten Weg
gehen. Er sollte daher zurzeit davon absehen,
über die Frage, ob er Berufung einlegen soll,
abstimmen zu lassen – und er sollte sich in-
soweit auch nicht anweisen lassen. Der Ver-
walter sollte vielmehr zeitnah nach Eingang
des erstinstanzlichen Urteils mit jedem der
beklagten Wohnungseigentümer Rücksprache
halten, ob dieser ein Rechtsmittel einlegen
Im Rahmen der Prozessführung gibt es aller-
dings – unklare und umstrittene – Grenzen.
Denn bei § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG handelt es
sich um eine von Gesetzes wegen inhalt-
lich nur beschränkte Vollmacht. So ist dem
Verwalter die in § 81 ZPO für einen Rechts-
anwalt vorgesehene Verzichtsleistung auf
den Streitgegenstand oder die Anerken-
nung des vom Gegner geltend gemachten
Anspruchs nicht möglich. § 27 Abs. 2 Nr.
2 WEG „ermächtigt“ den Verwalter auch
nicht dazu, Gestaltungsrechte auszuüben,
z. B. im Namen der Wohnungseigentü-
mer aufzurechnen oder eine Widerklage
HINWEIS: GRENZEN
zu erheben. Der Verwalter kann ferner kei-
nen Vergleich schließen, da er über Rechte
der Wohnungseigentümer nicht verfügen
darf. Zurückbehaltungsrechte darf er hin-
gegen geltend machen.
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