10
Deckert/Elzer kompakt
Abwägung der Interessen
Um die Frage zu beantworten, ob den anderen
Wohnungseigentümern durch den Einbau ein
Nachteil erwachse, müssten die auf beiden
Seiten für die Interessen ins Feld geführten
Rechte miteinander abgewogen werden. Bei
der Abwägung stehe auf der einen Seite das
Grundrecht auf Eigentum. Auf dieses könne
sich dabei jede der Parteien berufen. Auf Sei-
ten des Klägers sei – mit Blick auf seine Enke-
lin – ferner Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zu beachten,
wonach niemand wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden dürfe.
Ergebnis der Abwägung
Nach Abwägung dieser Grundrechte sei jeden-
falls der nachträgliche Einbau eines Personen-
aufzugs durch einen Wohnungseigentümer
auf eigene Kosten grundsätzlich nur mit Zu-
stimmung der übrigen Wohnungseigentümer
möglich. Der Einbau begründe in aller Regel
– anders als etwa der Einbau eines Treppenlifts
oder einer Rollstuhlrampe – auch dann einen
Nachteil, wenn der bauwillige Wohnungsei-
gentümer aufgrund einer Gehbehinderung auf
den Aufzug angewiesen sei, um seine Woh-
nung zu erreichen. Denn:
Der Einbau sei technisch nur mit erheblichen
Eingriffen in die Substanz des gemeinschaft-
lichen Eigentums machbar. Solche Eingriffe
begründeten auch dann einen Nachteil,
wenn sie der Herstellung von Barrierefrei-
heit dienten.
Ein nachträglich errichteter Personenaufzug
verenge in aller Regel – und auch im Fall
– den im Treppenhaus zur Verfügung ste-
henden Platz erheblich.
Nach dem Einbau träfen den „Betreiber“
(hier zunächst den klagenden Wohnungs-
eigentümer) Pflichten im Hinblick auf die
Wartung des Personenaufzugs. Jedenfalls
die private Verkehrssicherungspflicht könne
im Außenverhältnis zu Dritten Haftungsrisi-
ken auch für die übrigen Wohnungseigentü-
mer mit sich bringen.
Ein Rückbau würde – erneut – erhebliche
Eingriffe in den Baukörper voraussetzen,
die nur mit großem baulichem Aufwand er-
folgen könnten und ihrerseits neue Risiken
bergen würden. Der würde zudem einen
großen zeitlichen und organisatorischen Ein-
satz bedeuten, der – sollten der Kläger oder
gegebenenfalls seine Erben hierzu nicht in
der Lage sein – von den Wohnungseigentü-
mern zu leisten wäre.
Unabhängig von einer Sicherheitsleistung
dürfte sich der Rückbau bei lebensnaher Be-
trachtung regelmäßig als eher unrealistisch
erweisen.
■
■
■
■
■
Das bedeutet für Sie:
1. Anspruch auf bauliche Veränderung
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG kann ein Woh-
nungseigentümer eine Beschlussfassung, die
eine bauliche Veränderung (oder Aufwendung)
billigt, verlangen. Der Anspruch besteht, wenn
es an einer Beeinträchtigung fehlt, die über das
in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinausgeht.
Ob es so liegt, kann nur nach einer Abwägung
der beteiligten Interessen beurteilt werden.
2. Barrierefreier Zugang
Ein Anspruch auf bauliche Veränderung ist vor
allem für die Herstellung eines barrierefreien
Zugangs anzuerkennen. Nach einer Abwägung
kann ein Wohnungseigentümer danach – fällt
die Abwägung zu seinen Gunsten aus – etwa
verlangen:
den Bau einer Rollstuhlrampe im Eingangs-
bereich;
den Einbau eines Schräglifts im Treppenhaus
oder eines Treppenlifts nebst notwendiger
neuer Treppenausführung;
den Einbau eines Handlaufs;
die Herstellung eines Stellplatzes;
die Aufstellung einer Rollatorenbox;
einen Platz für eine Unterstellmöglichkeit
eines Elektromobils nebst Stromanschluss.
Bei der Abwägung ist in Bezug auf einen barrie-
refreien Zugang dem grundrechtlich geschützten
Recht auf einen behindertengerechten Zugang
das Eigentumsrecht der übrigen Wohnungseigen-
tümer gegenüberzustellen. Die Abwägung muss
berücksichtigen, dass einerseits der barrierefreie
Zugang zur Wohnung grundsätzlich nicht vorent-
halten bleiben kann, andererseits für den Zugang
ein Weg gefunden werden muss, der nicht über
das bei einem geordneten Zusammenleben mit
Behinderten Zumutbare hinausgeht.
■
■
■
■
■
■
3. Kein Anspruch auf einen
Personenaufzug
Die Entscheidung klärt für die Praxis, dass ein
Wohnungseigentümer – auch einer, der beein-
trächtigt ist, eine solche Person betreut oder
einen beeinträchtigten Mieter hat – in aller
Regel keinen Anspruch auf den nachträglichen
Einbau eines Personenaufzugs hat.
4. Kein Anspruch auf eine
Modernisierung
Die Wohnungseigentümer wären berechtigt
gewesen, den Einbau eines Personenaufzugs
als Modernisierung zu beschließen. Der kla-
gende Wohnungseigentümer hatte für die
erforderlichen Mehrheiten offensichtlich aber
nicht ausreichend die „Werbetrommel“ ge-
rührt. Man konnte daher fragen, ob der kla-
gende Wohnungseigentümer einen Anspruch
auf eine Modernisierung hat. Diesen Anspruch
lehnt der BGH aber mit der ganz herrschenden
Meinung ab.
5. Sondernutzungsrecht
Der BGH weist mit der Entscheidung darauf
hin, dass in einer baulichen Veränderung der
Sache nach ein Sondernutzungsrecht liegen
könne. Solle ein einzubauender Personenauf-
zug nur einzelnen bau- und zahlungswilligen
Wohnungseigentümern zur Verfügung stehen,
werde diesen ein Sondernutzungsrecht an
dem für den Einbau vorgesehenen Treppen-
Der Abwägung des BGH ist zu entnehmen,
dass (auch) er davon ausgeht, dass die Woh-
nungseigentümer gegen einen Wohnungsei-
gentümer, der einen Anspruch auf bauliche
Veränderung hat, diese später zurückbauen
muss. Ferner ist der Abwägung des BGH zu
entnehmen, dass der Verlangende eine Si-
cherheitsleistung erbringen muss.
HINWEIS: RÜCKBAU UND SICHERHEITSLEISTUNG
öffentlich-rechtlich und technisch eine
Möglichkeit dazu besteht,
die Kosten des Einbaus vom jeweiligen
Eigentümer getragen werden,
auf das Mitbestimmungsrecht der Ge-
meinschaft geachtet wird,
zwischen mehreren Varianten zur Errei-
chung der Barrierearmut die am wenigs-
ten belastende Variante ausgewählt wird
und wenn
eine Sicherheit für den Rückbau hinter-
legt wird.
■
■
■
■
■
Die Rechtsprechung billigt dem mobilitätsein-
geschränkten Antragsteller nach Horst, Miet-
RB 2017, S. 82, 84 einen Anspruch auf die
Genehmigung des Einbaus eines Treppenlifts
auf seine Kosten durch Beschluss zu, wenn:
eine Behinderung vorliegt, die nicht an-
ders behoben werden kann,
■
HINWEIS: VORAUSSETZUNGEN FÜR
EINEN ANSPRUCH
Diese Rechtsprechung müsste auch dann
gelten, wenn der Verlangende durch einen
Unfall und also für ihn unerwartet beein-
trächtigt wird und sein Sondereigentum
ohne Personenaufzug nicht mehr errei-
chen kann. Mich selbst überzeugt dieses
Ergebnis nicht. Denn der Fall liegt anders
als die bewusste Entscheidung, ein Woh-
nungseigentum in einer Wohnungseigen-
tumsanlage zu erwerben, bei dem das
Sondereigentum im Obergeschoss liegt
und es keinen Personenaufzug gibt.
HINWEIS: BEEINTRÄCHTIGUNG DURCH UNFALL