Ein kritischer Blick auf die
Quadratmeterzahlen
Swen Mahlberg, Krefeld
Die 10-Prozent-Abweichungstoleranz – zumindest bei Mieterhö-
hungen – ist passé: Ein aktuelles BGH-Urteil rückt die Wohnflä-
chenberechnung wieder in den Fokus. Die Wohnfläche ist einer
der Zankäpfel zwischen Mietern und Vermietern, spielt zudem in
vielen anderen Fällen eine große Rolle – für Verwalter ist deren
korrekte Bestimmung deshalb wichtiges Handwerkszeug.
Etwa zwei Drittel aller Wohnflächenangaben einer Mietwohnung stim-
men nicht mit der Realität überein - zumindest schätzt das der Deut-
sche Mieterbund so ein. Unabhängig davon, wie gesichert solche Zahlen
sind: In der Auseinandersetzung zwischen Mieter und Vermieter nimmt
diese Frage einen großen Stellenwert ein.
„Die tatsächliche Wohnfläche gibt es in der Praxis nicht“, behauptet
zumindest Haus & Grund-Hauptgeschäftsführer Kai Warnecke in einer
Pressemitteilung des Verbandes. Die Eigentümergemeinschaft hatte
Ende 2015 in einem Praxistest die Wohnfläche in Immobilien durch
mehrere Sachverständige bestimmen lassen. Das Ergebnis: Bei 3 Ex-
perten kamen 3 Ergebnisse heraus mit einer Abweichung von bis zu 16
%. Vor den Abweichungen in der Praxis dürfe der Gesetzgeber nicht die
Augen verschließen, fordert der Verband. Im Test traten Messungenau-
igkeiten und handwerkliche Fehler zutage.
Zudem interpretierten die Messexperten die zugrunde liegenden Berech-
nungsvorgaben der Wohnflächenverordnung unterschiedlich. So hätten
einige Vermesser eine Terrasse gar nicht in die Wohnfläche einbezogen,
andere einen Balkon zu einem Viertel oder zur Hälfte. „Da die Ergebnisse
niemals einheitlich sein werden, muss es eine praxisgerechte Toleranz-
spanne nach oben und unten geben. Ansonsten wird es künftig deutlich
mehr Streit über die Wohnfläche geben als bisher“, folgerte Warnecke.
Zwar gibt es meiner Einschätzung nach dennoch eine „tatsächliche
Wohnfläche“, Recht zu geben ist Haus & Grund aber in der Einschätzung,
dass deren Berechnung ein äußerst fehleranfälliges Unterfangen ist.
BGH urteilt zur Abweichungsgrenze bei Wohnflächen
Aus diesem Grund gab die Rechtsprechung dem Verband bisher prinzi-
piell Recht: Die schon mal als „Schummelgrenze“ („Welt am Sonntag“)
beschriebene Duldung einer Abweichung von bis zu 10 % von der tat-
sächlichen Wohnungsgröße zu der im Mietvertrag angegebenen – und
den damit einhergehenden Berechnungen für Betriebskosten, Miete
und Mieterhöhung – war bislang gängige Praxis.
Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil v. 18.11.2015, VIII ZR 266/14) ent-
schied aber nun in einem aktuellen Urteil, dass bei einer Mieterhö-
hung die tatsächliche Wohnungsgröße zugrunde gelegt werden muss.
Verhandelt wurde hier ein untypischer Fall: Die Wohnung war deutlich
größer als im Mietvertrag vereinbart. In dem Urteil ging es um eine ge-
wünschte Mieterhöhung durch den Vermieter, der dabei zusätzlich die
tatsächliche Wohnungsfläche berücksichtigt sehen wollte. Das Gericht
entschied, dass er sich dennoch an die Kappungsgrenzen halten müsse,
wonach eine Mieterhöhung von mehr als 15 bzw. 20 % in 3 Jahren nicht
zulässig ist. Entscheidend hierbei: Abweichungstoleranzen von bis zu 10
% wurden in diesem Fall nicht mehr akzeptiert – zumindest für Mieter-
höhungen. Der BGH korrigiert hiermit seine frühere Rechtsprechung.
Wohnflächenberechnung in vielen Fällen maßgeblich
Während nun Mieter- und Vermieterseite – natürlich mit unterschied-
licher Zielsetzung – dringenden Handlungsbedarf beim Gesetzgeber
sehen, avanciert diese Frage immer mehr zum Zankapfel. Die Wohnflä-
chenangaben spielen nämlich in vielen Fällen eine Rolle, zum Beispiel
bei Miete und Nebenkosten,
bei Sondereigentum in Wohnungseigentumsgemeinschaften,
bei der Feststellung der zumutbaren Wohnungsgröße im Sozialrecht,
bei Leistungen der Hausratversicherung in Versicherungsfällen,
bei der Baufinanzierung, bei der Wertermittlung von Immobilien, bei
der Einheitsbewertung des Steuerrechts und beim Energieausweis.
Verwalter sind hier also insbesondere im Auftrag von Vermietern oder
Wohnungseigentumsgemeinschaften gefordert. Nach erstem Ärger mit
einzelnen Mietern oder Wohnungseigentümern kommt hier eine mögli-
cherweise sehr umfangreiche und im Detail äußerst komplexe Aufgabe
auf sie zu. Denn wenn es einmal zum Streitfall kommt, ist es nur nahe-
liegend, dass auch andere Mieter oder Eigentümer ihr Recht einfordern.
Bei einer Anpassung in nur einer Wohnung und der damit einhergehen-
den Korrektur etwa von Betriebskosten und Miete stellt sich natürlich
zwangsläufig die Frage, inwiefern die anderen Parteien eine Verschie-
bung der Kosten zu ihren Ungunsten ohne Weiteres akzeptieren wer-
den. De facto ist es schon an sich ein Problem, dass bei einer Anpassung
in nur einer Wohnung generell nicht mehr nach uneinheitlichen Stan-
dards gerechnet wird.
Verwaltern bleibt somit nichts anderes übrig, als die Wohnflächen für
die komplette Immobilie neu zu berechnen.
Oft uneinheitliche Grundlagen
Und das ist in der Praxis gar nicht so einfach. Die Probleme beginnen
schon bei der Frage, ob überhaupt irgendeine Norm oder Verordnung
bei der vergangenen Wohnflächenberechnung der Bestandsimmobilie
angewendet wurde. So gilt nach fortlaufender Rechtsprechung des BGH
(Urteil v. 22.4.2009, VIII ZR 86/08) in bestimmten Fällen die zum Zeit-
punkt des Vertragsabschlusses gültige Verordnung, sofern keine andere
Berechnungsgrundlage vereinbart wurde. Die Wohnflächenverordnung
(WoFIV) bzw. deren Vorgängerverordnungen sind im geförderten Woh-
nungsbau ohnehin rechtsverbindlich.
Fakt ist allerdings: Es gibt bis heute keine allgemein verbindliche gesetz-
liche Regelung und Begriffsbestimmung, sondern in den unterschied-
lichen Rechtsgebieten vollständige oder ansatzweise Vorschriften, die
untereinander erheblich abweichen und eine einheitliche Verfahrens-
weise erschweren oder sogar unmöglich machen. Zum Teil werden die
Begriffe in den verschiedenen Rechtsgebieten von der Rechtsprechung
unterschiedlich ausgelegt und angewendet.
Verschiedene Normen
Im Laufe der Jahrzehnte kamen dabei verschiedene Normen und Ver-
ordnungen zum Einsatz – und sind es zum Teil bis heute:
Wohnflächenverordnung (WoFIV)
: Diese Verordnung muss verbind-
lich auf Wohnraum angewendet werden, der nach dem 31.12.2003
gefördert wurde.
Zweite Berechnungsverordnung (II. BV)
: Auch diese Verordnung
beschäftigte sich mit öffentlich gefördertem Wohnraum; darüber hin-
aus hat diese Berechnungsmethode weite Verbreitung im Mietrecht,
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Recht